Finnischer Blaubeerkuchen ist der leckerste Kuchen

Mustikkapiirakka ist die Macht

Finnischer Blaubeerkuchen ist das Nonplusultra, deutscher Erdbeerkuchen dagegen nur ein trauriger Ersatz.

Frische reife Erdbeeren, natürlich nicht auf einem dieser fertig kaufbaren matschigen Fertigtortenböden, sondern auf wundervoll krümeligem Mürbeteig – wobei auf die Puddingschicht dazwischen, die manche anlegen, damit der Boden nicht matschig wird, durchaus verzichtet werden kann. Oder saure Sauerkirschen, also richtig saure und nicht vom Hersteller heimtückisch durch massive Zuckerzugabe auf Süßkirschen-Niveau gebrachte, auch auf Krümelunterlage und dazu mit Sahne. So sah er aus, der Kuchenhimmel, bis zu einer Reise nach Finnland vor zwei Wochen. Deren Zweck eigentlich kein kulinarischer war, sondern eines der seltenen Konzerte meiner schwedischen Lieblings-Noiserock-Band, die, wenn es sich nur irgendwie vermeiden lässt, nicht live auftritt; etwa alle 20 Jahre passiert es dann doch.
Und wenn man schon mal in Finnland ist, kann man sich auch gleich das Land angucken, was ohne Essen allerdings eher doof ist. Was aber isst man überhaupt in Finnland? Die einschlägigen internationalen Reiseseiten empfehlen neben Rentieren, karelischem dunklen Brot und Fisch ganz ausdrücklich, Mustikkapiirakka zu probieren, finnischen Blaubeerkuchen. Nun sind Blaubeeren etwas, das man in Deutschland höchstens in Muffins tut, was eine ganz dumme Idee ist, denn mit Johannisbeeren schmeckt der süße Teigmatsch wesentlich besser, aber irgendwie hat sich die Idee durchgesetzt, dass Blaubeer-Muffins total toll sind, weswegen man sich unter Mustikkapiirakka eben auch genau das vorstellt.
Von wegen. Was genau es ist, lässt sich nicht in einem Satz erklären. Ein bisschen sieht es auf den ersten Blick aus wie sehr aufgegangene ­Pizza mit Mozzarella und Blaubeeren drauf, aber natürlich liegt das nur daran, dass neben großen Mengen vaccinium myrtillus (so heißt das, was zur Gattung der Heidelbeeren gehört, auf Lateinisch) auch sehr viel weißliche Masse auf dem Kuchen liegt, die allerdings kein Quark und schon gar kein Joghurt oder gar einfach bloß steif geschlagene Sahne ist, sondern Kermaviili. Diese zu zehn Prozent aus Fett bestehende Milchspezialität scheint etwas zu sein, was in Finnland gern gegessen wird. Im Blaubeerkuchen sorgt sie jedenfalls dafür, dass die Süßigkeit einen ganz besonderen Geschmack bekommt. Aber Mustikkapiirakka ist nicht bloß süß und extrem kalo­rienhaltig, sondern auch ein kleines bisschen salzig. Und macht süchtig, weswegen das Reiseprogramm nicht nur aus viel Noiserock und jeder Menge weiterer touristischer Pflichtpunkte besteht, sondern auch aus der Suche nach Blaubeerkuchen.
Zum Glück gibt es ihn irgendwie überall. Nur halt nicht in Deutschland, wo zwar bald die Erdbeersaison beginnt, aber was ist der ehemalige Lieblingskuchen schon gegen Mustikkapiirakka? Immerhin, es gibt Rezepte auf Deutsch, auch wenn das deutsche Verhältnis zum Blaubeerkuchen eher kompliziert zu sein scheint, denn im Spessart, so heißt es, werde der oft zusammen mit Kartoffelsuppe serviert, was eine eher aparte Zusammenstellung ist. Aber die Blaubeerkuchenanleitungen scheinen machbar zu sein, neben Weizenmehl braucht man nur Grahammehl. Halt, stopp, Grahammehl? Vermutlich handelt es sich um geschroteten, ungesiebten Vollkornweizen, etwas, das in Foren für gesunde Ernährung sehr beliebt ist, aber vielleicht nicht wirklich in Finnland, oder?

Das nächste Rezept verlangt Dinkelmehl, ausgerechnet, denn Dinkel ist das, was Mütter, denen nach heimtückischer Abänderung beliebter Gerichte ist, klammheimlich ins Essen rühren, weil in irgendeiner Zeitschrift stand, dass das Zeug so schrecklich gesund sei – niemand, der sie noch alle beisammen hat, käme ansonsten auf die Idee, Dinkelkuchen zuzubereiten. Die Finnen offenkundig auch nicht, denn in weiteren Rezepten wird einfach bloß pauschal Mehl als Grundlage für den Teig verlangt. Und Zucker, viel Zucker, Eier, viele Eier, plus Kermaviili. Was zur Hölle ist das denn nun aber genau? »Kerma« heißt Sahne, »Viili« bedeutet Wikipedia zufolge so etwas wie »eine Art saurer Milch«, und beides zusammen ist eben Kermaviili, in Schweden auch als Gräddfil beliebt, also vermutlich so etwas wie Crème fraîche (oder sogar Crème double). So hat das doch alles keinen Zweck, ohne Sahnesauermilch beziehungsweise eine genaue Vorstellung davon, was das ist, braucht man gar nicht mit dem Backen anzufangen. Also kein Blaubeerkuchen, sondern bloß Ersatzkuchen mit Erdbeeren drauf. Das ist nicht schön.