Bündnis »Raus aus der Scheiße, rein in die Stadt« im Gespräch über die antifaschistische Demonstration in Tröglitz am 1. Mai

»Die Dorfgemeinschaft stören«

Unter dem Motto »Raus aus der Scheiße – rein in die Stadt« lädt ein Bündnis anti­faschistischer Gruppen aus Halle am 1. Mai zu einer Demonstration nach Tröglitz. Der Ort in Sachsen-Anhalt ist in den Schlagzeilen, seit der Bürgermeister, der sich für die Unterbringung von Flüchtlingen eingesetzt hat, wegen Drohungen zurückge­treten ist und ein Brandanschlag auf die geplante Flüchtlingsunterkunft verübt wurde. Ein Vertreter der vorbereitenden Gruppen gab der Jungle World Auskunft.

Wer ist an der Vorbereitung der Demonstration in Tröglitz beteiligt?
Wir sind ein Bündnis von Antifa-Gruppen aus Halle. Obwohl Tröglitz nicht weit entfernt ist, haben die meisten von uns erst aus den Nachrichten erfahren, dass es das Dorf gibt. Allerdings kennen wir Ostdeutschland gut genug, um von den Ereignissen vor Ort nicht überrascht zu sein.
Warum wollt ihr in Tröglitz gegen diese Ereignisse demonstrieren, obwohl ihr offenbar keinen Bezug zu dem Ort habt?
Ganz einfach: Weil es niemand anderes gemacht hat. Wir haben nach dem Rücktritt des Tröglitzer Bürgermeisters im März eigentlich damit gerechnet, dass irgendjemand eine Demonstration in Tröglitz anmeldet und sich mit dem Mann solidarisch zeigt. Aber weder die Gewerkschaften noch die etablierten Parteien wurden aktiv. Erst nachdem Anfang April ein Brandanschlag auf die geplante Flüchtlingsunterkunft verübt worden war, gab es eine Demonstration gegen Fremdenfeindlichkeit, die von Tröglitzer Bürgern organisiert wurde. Daran beteiligten sich auch einige Mitglieder der Landesregierung. Insgesamt hatten wir aber den Eindruck, dass damit vor allem Imagepflege für Tröglitz und Sachsen-Anhalt betrieben werden sollte.
Beteiligt ihr euch nicht auch an dieser Imagepflege?
Das wollen wir gerade nicht tun. Wir wollen die Tröglitzer Verhältnisse denunzieren und die Dorfgemeinschaft noch ein wenig in ihrer Ruhe stören, bevor sie wieder zur Tagesordnung übergeht. Wir sind zwar nicht dazu in der Lage, in jedem ostdeutschen Drecksnest zu interve­nieren. Demonstrationen an ausgewählten Orten können aber ein kleines und bescheidenes Signal an die anderen Tröglitze sein. Die Antifa, vor der die Leute vor Ort aus irgendeinem Grund Angst haben, kann zeigen, dass sie bei besonders großen Sauereien auf der Matte steht.
Geht es euch nur darum, die Ruhe in Tröglitz zu stören?
Neben der Denunziation des braunen Klamauks geht es uns auch darum, die Landesregierung zu kritisieren, die einerseits einen fehlenden Dialog mit den Tröglitzern bedauert und andererseits überhaupt erst die Verantwortung dafür trägt, dass Flüchtlinge in so einem Landstrich untergebracht werden sollen. Denn so berechtigt die Empörung über die Ereignisse in Tröglitz ist, so heuchlerisch ist sie auch. Niemand, der die Verhältnisse in der ostdeutschen Provinz kennt, muss so tun, als sei er überrascht davon gewesen, dass sich in einem Ort wie Tröglitz ein Mob zusammentut, wenn Asylbewerber in die Nachbarschaft ziehen. Dass Sachsen-Anhalt zu den fremdenfeindlichsten Bundesländern gehört, ist nicht erst seit der vor kurzem veröffentlichten Studie bekannt, und dass es auf dem flachen Land immer noch ein wenig schlimmer ist, weiß auch jeder. Die Vorfälle von Tröglitz sind auch eine Folge der gängigen Praxis, Asylbewerber in Gegenden unterzubringen, die niemand kennt, wo niemand hinsieht und wo erst recht niemand hin will, der halbwegs bei Verstand ist.
Was hat eurer Meinung nach dazu geführt, dass die Situation in Tröglitz so eskaliert ist?
Wie gesagt: Es ist fast überall in der ostdeutschen Provinz vorstellbar, dass Einheimische mit Heugabeln und Benzinkanistern losziehen und die Unterbringung von Flüchtlingen zu verhindern versuchen. Tröglitz ist mit Sicherheit nicht einmal der ekligste Ort, den es im Osten gibt. Seine Medienaufmerksamkeit verdankt das Dorf skurrilerweise sogar der Tatsache, dass die Dorfgemeinschaft nicht ganz so homogen ist wie anderswo. Das Besondere an Tröglitz ist, dass es dort ein paar Leute gibt – unter anderem den zurückgetretenen Bürgermeister –, die sich dem Druck der Meute nicht gebeugt haben und für die Aufnahme der Flüchtlinge eingetreten sind. Das hat den Ort bundesweit in die ­Medien gebracht und offenbar einige Einheimische dazu ermuntert, einen Brandanschlag auf die geplante Asylbewerberunterkunft zu verüben.
Trotz dieser Besonderheiten kursiert der Satz »Tröglitz ist überall«. Ist er richtig?
Er stammt von Reiner Haseloff, dem Ministerpräsidenten von Sachsen-Anhalt. Er hat damit versucht, Ausländerfeindlichkeit als ein bundesweites Phänomen darzustellen, um den Osten reinzuwaschen. Natürlich gibt es auch in den alten Bundesländern Proteste gegen Asylbewerber und auch Brandanschläge. Aber sowohl in qualitativer als auch in quantitativer Hinsicht gibt es deutliche Unterschiede. Wir haben das für unseren Demonstrationsaufruf ausgerechnet: Umgerechnet auf die Bevölkerungszahl gibt es im Osten drei Mal so viele fremdenfeindliche Übergriffe wie im Westen. Der Ausländeranteil in den alten Bundesländern ist aber mindestens fünf Mal so hoch wie in den neuen. Das bedeutet, dass es für einen Ausländer in Sachsen-Anhalt 15 Mal gefährlicher ist als zum Beispiel in Hessen.
Als Sicherheitsmaßnahme fordert ihr, dass zumindest kein Asylbewerber mehr aufs platte Land gezwungen wird. Ist das nicht auch eine Kapitulation vor den Verhältnissen und damit ein Sieg für den Nazimob?
Gegenfrage: Ist es ein Sieg der Landesregierung, der Zivilgesellschaft oder der Antifa, wenn Asylbewerber in Tröglitz einquartiert werden und dort jeden Tag Anfeindungen ausgesetzt sind? Sollen sie in solche menschenunwürdigen Gegenden geschickt werden, nur damit sich ein paar Politiker und Antifas auf die Schulter klopfen und sagen können, dass sie nicht vor den Verhältnissen kapituliert haben?
Wir wissen natürlich, dass die Forderung nach einer menschenwürdigen Unterbringung von Flüchtlingen die Verhältnisse nicht zum Tanzen bringt. Aber das tun die Demonstrationen am 1. Mai in Kreuzberg auch nicht. Wir haben derzeit weder die Mittel noch die Möglichkeiten, die Verhältnisse in der ostdeutschen Provinz nennenswert zu verändern. Das haben noch nicht einmal der Staatsschutz und der Aufbau Ost geschafft. So gab es zum Beispiel vor kurzem von amtlicher Seite das Eingeständnis, dass die Sicherheit der Flüchtlinge in Tröglitz nicht garantiert werden könne. Wer trotzdem Asylbewerber dorthin schicken will, nur damit nicht vor den Nazis kapituliert wird, der hat in erster Linie ein instrumentelles Verhältnis zu den Flüchtlingen. Auch wenn wir dem Mob in Tröglitz alles Schlechte wünschen, würden wir ihn nicht mit der An­wesenheit von Asylbewerbern »bestrafen« wollen. Vielmehr denken wir, die Tröglitzer sind mit sich selbst genug gestraft. Allen anderen, die es nicht verdient haben, dort leben zu müssen, wünschen wir etwas Besseres.

Weitere Informationen unter http://rausausderscheisse.tumblr.com