Die rot-grüne Koalition in Hamburg

Grüner wird’s nicht

Sechs Wochen dauerten die Koalitions­verhandlungen, seit voriger Woche regiert in Hamburg ein rot-grüner Senat.

Olaf Scholz ließ sich am Abend der Bürgerschaftswahl am 15. Februar auf der Wahlparty der SPD feiern. Zwar hatte die zuvor allein regierende Partei mit 45,6 Prozent der abgegebenen Stimmen knapp die absolute Mehrheit verpasst, aber Hamburgs Bürgermeister ließ keinen Zweifel aufkommen: Er wolle mit den Grünen koalieren, wie er es im Wahlkampf für diesen Fall angekündigt hatte. Scholz stellte aber auch klar, dass es nur um »einen grünen Anbau an den erfolgreich regierenden Senat« gehen könne. Die Grünen seien schließlich nur von 12,3 Prozent gewählt worden.
Wäre die Alternative für Deutschland (AfD) nicht mit 6,1 Prozent der Stimmen in die Hamburgische Bürgerschaft eingezogen, hätte die SPD die Mandatsmehrheit bekommen und die Grünen wären in der Opposition geblieben. So aber stellen sie seit dem 15. April drei Senatoren. In der Opposition befinden sich neben der AfD auch die CDU, die bei der Wahl 15,9 Prozent erzielte, und die Linkspartei, die 8,5 Prozent der Stimmen ­erhielt. Die Wahlbeteiligung verzeichnete mit 56,5 Prozent einen neuen Tiefstand für Hamburg. Der unspektakuläre Wahlkampf war von der Frage beherrscht, ob die SPD alleine oder mit einem Koalitionspartner ihre wirtschaftsfreundliche Standortpolitik fortführen würde. Am 9. April präsentierten die Spitzen der Delegationen von SPD und Grünen nach sechswöchigen Verhandlungen einen 115seitigen Koalitionsvertrag.

»Hamburg wird weiter gut regiert«, verkündete der SPD-Landesvorsitzende und Verhandlungsführer Scholz mit breitem Lächeln: »Wir haben sehr sorgfältig, sehr lange und sehr gut miteinander verhandelt.« Dass er erneut Erster Bürgermeister werden würde, musste er gar nicht erst erwähnen, ebenso wenig, dass der Koalitionsvertrag sich über weite Strecken wie ein SPD-Parteitagsbeschluss liest. Katharina Fegebank, die Landesvorsitzende der Grünen, die zu dieser Wahl erstmals als Spitzenkandidatin angetreten war, hatte da schon mehr zu tun, als sie versuchte zu versichern, die Vereinbarung trage »eine sehr deutliche grüne Handschrift«. »Mit diesem Koalitionsvertrag wollen wir Hamburg in den kommenden fünf Jahren moderner, vielfältiger und vor allem grüner machen.« Es sei gelungen, »die traditionelle Stärke der SPD mit frischen Ideen der Grünen zu einem neuen Ganzen« zusammen­zufügen. Diese nach PR-Agentur klingende Ausdrucksweise ist keine Besonderheit der Politikwissenschaftlerin Fegebank, sondern der übliche »Grünsprech«, nicht nur in Hamburg.

Sie berichtete über eine »Ökologisierung des Hafens« als einen grünen Erfolg, weil ein paar Landstromanschlüsse für Containerschiffe geplant sind. Darüber hinaus soll der Binnenverkehr im Hafen vermehrt auf Schiffe und Schiene verlegt werden und es soll angeregt werden, dass die Hafenspeditionen schadstoffärmere LKWs einsetzen. Nicht so gerne sprechen Hamburgs Grüne über die geplante neunte Elbvertiefung. Gegen die haben sie sich immer ausgesprochen, wenn sie in der Opposition waren, während ihrer beiden Regierungsbeteiligungen in Hamburg – Rot-Grün von 1997 bis 2001 und Schwarz-Grün von 2008 bis 2010 – haben sie sich an der Umsetzung und Planung der jeweiligen Elbvertiefungen beteiligt.
»Die Koalitionspartner sind sich über die Beurteilung einer weiteren Elbvertiefung uneinig«, wird auf Wunsch der Grünen im Koalitionsvertrag unverbindlich konstatiert, während auf Betreiben der SPD festgeschrieben wurde, alle beteiligten Ressorts würden »alle nötigen Maßnahmen ergreifen, um die zügige bauliche Umsetzung der Fahrrinnenanpassung zu erreichen«. Als Entschädigung für diesen rabiaten Eingriff in das Ökosystem Elbe wird der Anteil, den die »Stiftung Lebensraum Elbe« von der Hafengeld genannten Liegegebühr erhält, von vier auf fünf Prozent ­erhöht. Damit können dann Studien über die ökologischen Schäden finanziert werden. Um die Umsetzung der Elbvertiefung wird sich der parteilose Wirtschafts- und Hafensenator Frank Horch kümmern. Er war einer der Autoren der Studie »Hamburg 2030«, in der die Handelskammer als politische Zielvorgabe forderte, Hamburg solle »das wirtschaftliche und politische Zentrum Nordeuropas« werden – durch den Ausbau von Infrastruktur und Handelswegen. Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung im Januar 2011 war Horch noch Präses der Hamburger Handelskammer, wenige Wochen später berief ihn der frisch gewählte Scholz zum Wirtschaftssenator. Diesen Posten hat Horch nun weiter inne und garantiert auch als Person eine kapitalfreundliche Politik im Sinne der Handelskammer.
Hans-Jörg Schmidt-Trenz, derzeitiger Hauptgeschäftsführer der Handelskammer, reagierte trotzdem ungehalten »auf die explizite Uneinigkeit bei der Frage der Fahrrinnenanpassung«, die ihm trotz ihrer Konsequenzlosigkeit zu weit geht. Auch die im Koalitionsvertrag enthaltene Willenserklärung, »den Radverkehrsanteil in den zwanziger Jahren auf 25 Prozent zu steigern«, stört ihn, obwohl es dabei um nicht viel mehr geht als um die Schaffung einer Koordinationsstelle zum Radwegebau und Sanierungsmaßnahmen. »Gegenüber der ausgerufenen Fahrradstadt muss die Logistikmetropole Vorrang genießen, wenn die Wurzeln unseres Wohlstands weiter gedeihen sollen«, fordert Schmidt-Trenz.
Positiver wurde der Koalitionsvertrag sowohl von den Hamburger Umwelt- als auch von den Industrieverbänden aufgenommen. Manfred Braasch vom BUND sieht die Möglichkeit, »nach den schwierigen Jahren der SPD-Alleinregierung wieder eine Umweltpolitik zu betreiben, die diesen Namen auch verdient«. Ob diese über einige wenige Vorzeigeprojekte und mehr Mittel für symbolische Naturschutzmaßnahmen hinausgeht, ist jedoch fraglich. Zumal der neue grüne Umweltsenator Jens Kerstan nicht müde wird zu betonen, es gehe um die »vielen kleinen Projekte«, die vereinbart worden seien, und nicht um große Grundsatzentscheidungen. Letztere verbleiben ohnehin in den Ressorts der SPD-Senatoren und bei der Richtlinienkompetenz des Ersten Bürgermeisters Scholz. Der Vorsitzende des Hamburger Industrieverbands, Michael Westhagemann, erklärte denn auch freimütig, er sei »positiv überrascht, mit welcher Konsequenz Er Bürgermeister am richtigen Kurs festhält«. Und resümierte zufrieden: »Wichtige Zielsetzungen bisheriger Senatspolitik werden auch mit grüner Regierungsbeteiligung fortgeführt.«

Die fortschreitende Verarmung in der Stadt spielt im Koalitionsvertrag keine Rolle. So wie Sozialsenator Detlef Scheele (SPD) den kurz nach der Bürgerschaftswahl veröffentlichten Armutsbericht des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes ignorierte, so ist von Armutsbekämpfung im Ko­alitionsvertrag nicht die Rede. Dabei ist die Zahl der von Armut bedrohten, vor allem weiblichen, Personen aus Hamburg im ausgewerteten Berichtsjahr 2013 im Vergleich zum Vorjahr von 14,8 auf 16,9 Prozent gestiegen. »Soziale Gerechtigkeit war im Wahlkampf kein Thema, muss aber in den Koalitionsverhandlungen ganz oben auf der Agenda stehen«, hatte Joachim Speicher vom Paritätischen Wohlfahrtsverband gefordert.
Im Februar sagte Katharina Fegebank, noch in Wahlkampfstimmung: »Wir wollen, dass sich die Politik in der neuen Legislatur um dieses Thema kümmert.« Bei der Präsentation des Koalitionsvertrags war ihr die Armutsbekämpfung schon kein Wort mehr wert. Drei Tage später, bei der Mitgliederversammlung der Grünen, die dem Vertrag mit einer Zweidrittelmehrheit zustimmte, kündigte Fegebank an, »jetzt aus der Komfort­zone Opposition herauszukommen«, um »eine moderne und grüne Zukunft für Hamburg zu ­gestalten«. Bei der Vereidigung des Senats war sie sichtlich aufgeregt, als sie von Scholz zur Wissenschaftssenatorin und zur zweiten Bürgermeisterin ernannt wurde. Stolz und mit roten Wangen hielten sie und ihre Parteifreunde Kerstan und Justizsenator Till Steffen die Ernennungsurkunden in die Kameras.