Drohende Gewalteskalation in Burundi

Der Drang zu den Waffen

In Burundi strebt der Präsident eine dritte Amtszeit an, was zu ethnisierten politischen Konflikten führt. Es werden Massaker befürchtet.

Man kann von der Chronik einer angekündigten Katastrophe sprechen. Noch bevor der Staatspräsident des ostafrikanischen Staats Burundi, Pierre Nkurunziza, am 25. April ankündigte, seine Wiederwahl und damit den Erhalt der Macht anzustreben, waren Tausende Menschen außer Landes geflohen, aus Angst vor dem Ausbruch poli­tischer und ethnisierter Gewalt. Seitdem hat sich die Situation dramatisch zugespitzt. Am Montagnachmittag wurden erneut vier Menschen bei Protesten gegen die Regierung in der Hauptstadt Bujumbura durch Schusswaffeneinsatz der Polizei getötet. Damit wuchs die Zahl der Getöteten seit Ende April auf mindestens zehn.
8 000 Menschen waren nach Angaben des Flüchtlingswerks UNHCR bereits Mitte April geflohen. Vergangene Woche waren es dann über 20 000 Menschen. Sie suchen Schutz in Tansania im Osten, wo sie als »illegale Ausländer« behandelt werden, oder im nördlichen Nachbarland Ruanda. Andere flohen in die westlich angrenzende Demokratische Republik Kongo (DR Kongo). Allein 4 000 Menschen beantragten den Flüchtlingsstatus in der kongolesischen Provinz Südkivu. Diese gilt jedoch selbst nicht gerade als Hort der Stabilität, nach dem Jahr 1997 fanden dort zahlreiche Massaker statt und noch immer treiben bewaffnete Gruppen in dem Gebiet ihr Unwesen.

Seit Beginn des Frühjahrs wuchsen die Spannungen in Burundi. Das Land mit heute zehn Millionen Einwohnern war in der Vergangenheit zunächst deutsche, später belgische Kolonie. Im Juli 1962 erlangte Burundi zusammen mit Ruanda die Unabhängigkeit. Der 51jährige Präsident Nkurunziza ist seit 2005 an der Macht. Ende Juni wird das Staatsoberhaupt gewählt; falls ein zweiter Wahlgang nötig ist, findet die Stichwahl Ende Juli statt. Zuvor wird am 26. Mai das Parlament neu gewählt, im August sind Kommunalwahlen. Aber allein auf die Präsidentschaftswahl kommt es an, wie das Verhalten der politischen Eliten aus dem Regierungslager wie der Opposition erkennen lässt. In der bisherigen Praxis waren die beiden Parlamentskammern oft willige Vollstrecker präsidialer Entscheidungen.
Die geltende Verfassung verbietet es, dass ein Präsident für mehr als zwei Amtszeiten beziehungsweise länger als zehn Jahre im Amt bleibt. Doch Nkurunziza, ein ehemaliger Sportler und ­fanatischer Christ, der zu den evangelikalen »wiedergeborenen Christen« gehört und früher als Prediger tätig war, pflegt eine eigenwillige Auslegung des Verfassungstextes. 2005 wurde er vom damals zur Beendigung der Bürgerkriegsära zusammengetretenen Übergangsparlament gewählt. Erst bei der Wahl 2010, die er gewann, durften die Wahlberechtigten Burundis selbst abstimmen. Deswegen zähle das erste Mandat ihm zufolge nicht, die zweite Amtszeit werde dadurch zur ersten. Nichts garantiert natürlich, dass er sich nur mit einer weiteren fünfjährigen Amtszeit zufrieden geben wird.

Nkurunzizas Partei, der »Nationalrat für die Verteidigung der Demokratie – Kräfte für die Verteidigung der Demokratie« (CNDD-FDD), entstand 1994 als bewaffnete Oppositionsbewegung der Hutu-Bevölkerung, er führte eine Rebellengruppe an. In Burundi wie in Ruanda ist das Verhältnis zwischen den beiden größten Bevölkerungsgruppen, den Tutsi, zu denen sich in beiden Ländern rund 15 Prozent zählen, und der Mehrheit der Hutu, sehr angespannt. Dabei handelt es sich nicht um verschiedene Ethnien, sondern um soziale Gruppen. Doch die Kolonialmächte der beiden Gebirgsländer im östlichen Afrika, zunächst das Deutsche Reich und später Belgien, hatten die soziale Frage erfolgreich ethnisiert. Die historisch durchlässigen sozialen Gruppen, auf welche die Kolonialmächte in der Feudalgesellschaft der beiden Länder stießen, analysierten sie als unterschiedliche »Rassen«. Hutu, die vor allem in der Landwirtschaft arbeiteten, galten ihnen als hierarchisch niedriger stehend und intellektuell unterlegen; Tutsi, vornehmlich Viehzüchter, wurden zur aristokratischen, später intellektuellen Elite erklärt. Soziale Kategorien wurden so auf Dauer rassifiziert und damit auch Spannungen zwischen den Gruppen. In Ruanda endete dies auf tragische Weise im Genozid, dem im Frühjahr 1994 in nur 100 Tagen zwischen 800 000 und eine Million Menschen zum Opfer fielen, mehrheitlich waren dies Angehörige der Tutsi sowie oppositionelle Hutu.
Die historischen Hintergründe sind in Burundi zwar ähnlich, doch die Fronten verliefen hier lange Zeit anders als im Nachbarstaat. Die alte Tutsi-Elite blieb nach der Unabhängigkeit in Burundi an der Macht. In Ruanda fanden hingegen schon ab 1959, vor der formalen Übergabe der Souveränität durch Belgien an eine einheimische Regierung, erste Massaker an Tutsi statt. In Burundi wiederum massakrierten Militärangehörige der Tutsi 1972 Zehntausende Hutu, um zu verhindern, dass es auch hier zu einem Machtwechsel zugunsten der Hutu-Mehrheit kommt. 1993 wurde zwar Melchior Ndadaye als erster aus den Reihen der Hutu-Bevölkerung kommender Prä­sident demokratisch gewählt, doch nach drei Monaten im Amt wurde er ermordet. Es folgte eine Phase wechselseitiger »ethnischer« und politischer Massaker, die in unterschiedlicher Intensität bis 2006 andauerte und rund 300 000 Opfer forderte. Beobachter sprachen von einem »schleichenden Genozid« im Vergleich zu Ruanda. 2008 drohte die Gewalt zeitweilig wieder aufzuflammen.

Die politischen Auseinandersetzungen um die Bestrebungen des Präsidenten nach Machterhalt lassen viele daher erneut eine Eskalation der Gewalt befürchten. Nkurunziza vertrat lange Zeit einen ethnisierenden Diskurs. Zwar hat der »ethnische Faktor« in den vergangenen Jahren in der Politik des Landes an Bedeutung verloren und der Präsident an Rückhalt in der enttäuschten Hutu-Bevölkerung. Wobei er unter der Landbevölkerung, die mitunter von Nahrungsmittelzuwendungen abhängig ist, klientelistische Netzwerke unterhält und noch eine gewisse soziale Basis hat. Doch die »Jugendliga« seiner Partei, die Imbonerakure, mobilisiert ihre Anhänger mit ähn­lichen Parolen und einem ähnlichen Drang zu den Waffen, wie es rassistische Hutu-Bewegungen in beiden Nachbarländern in der Vergangenheit taten. Und die Imbonerakure schrecken vor Gewalt nicht zurück. Vermutlich geht ein Massaker im burundischen Grenzgebiet von Cibitoke Anfang dieses Jahres, bei dem mindestens 47 Menschen starben, auf das Konto regierungsnaher Milizen. Der Angriff war zusammen mit einer bewaffneten Gruppe von Hutu-Extremisten aus dem Osten der DR Kongo erfolgt.
Die katholische Kirche von Burundi – die in den neunziger Jahren auch die damaligen Massaker kritisierte –, die USA und die Europäische Union warnten Nkurunziza im März eindringlich davor, ein neues Mandat anzustreben. Dessen ungeachtet berief er am 25. April einen Kongress seiner Partei ein, auf dem er sich als Kandidat aufstellen ließ. Zuvor waren 130 hochrangige Funktionäre des CNDD-FDD, die angeblich dagegen gestimmt hätten, entlassen worden.
Die burundische Regierung wirft ihrerseits der Protestbewegung »aufständische Bestrebungen« und »Terrorismus« vor und droht, mit harter Hand vorzugehen. Die drei einflussreichsten Radiosender im Land wurden abgeschaltet. Zwar sandten die USA einen Emissär, um zwischen den Oppositionskräften – vier Parteien rufen zu anhaltenden Protesten auf – und dem Regierungslager zu vermitteln. Doch die Zeichen scheinen auf Sturm zu stehen.
Am Dienstag entschied der burundische Verfassungsgerichtshof, dass eine dritte Amtszeit Nkurunzizas möglich sei. Der stellvertretende Präsident des Gerichts war zuvor geflohen, er hatte von »enormem Druck« gesprochen.