Stimmungsmache gegen Migranten in Südafrika

Gemeinsam gegen alles Fremde

Nach xenophoben Pogromen verschärft die südafrikanische Regierung die Repression gegen Migranten.

In den vergangenen Wochen ist es in Südafrika erneut zu Pogromen gegen afrikanische und asiatische Migranten gekommen. Mindestens sieben Menschen wurden getötet, Zehntausende sind in behelfsmäßigen Flüchtlingslagern untergekommen, einige haben das Land mittlerweile verlassen. Attacken auf Ausländer sind in Südafrika keine Seltenheit, erst im Januar wurden in Soweto sechs Menschen von einem Mob umgebracht. 2008 kamen beim bislang größten Ausbruch migrantenfeindlicher Gewalt über 60 Menschen ums Leben.
Schwerpunkt der Pogrome waren diesmal die Townships und informellen Siedlungen von Durban und Johannesburg sowie die Gegenden der Innenstädte, aus denen sich die weiße Mittelschicht zurückgezogen hat. Die Täter sind meist junge schwarze Männer ohne Ausbildung oder Job, die die Gelegenheit zum Plündern nutzen und sich in der Gewissheit wähnen, den Volkswillen zu exekutieren. Denn allem Rainbow Nation-Kitsch zum Trotz ist Fremdenfeindlichkeit in Südafrika weit verbreitet. In einer Studie in der bevölkerungsreichsten Provinz Gauteng, zu der auch Johannesburg gehört, verlangten vergangenes Jahr 38 Prozent der Befragten, dass Südafrika alle Ausländer ausweisen solle. Die Begründungen sind dieselben, die man auch aus Europa kennt: Die Ausländer nehmen uns die Jobs weg und belästigen unsere Frauen.

Südafrika hat offiziell 25 Prozent Arbeitslosigkeit; in diesen Statistiken ist aber nur erfasst, wer als arbeitsuchend gemeldet ist. Schätzungen gehen deshalb von etwa 40 Prozent Arbeitslosen aus, ein Großteil davon ungelernt und funktionale Analphabeten. Besonders um schlecht bezahlte Jobs, die keine Ausbildung ­erfordern, konkurrieren Südafrikaner mit afrikanischen Einwanderern. Angehörige der Mittelschicht – gleich welcher Herkunft – sind davon nicht betroffen. Seit dem Ende der Apartheid ist Südafrika das beliebteste Einwanderungsland in Afrika, zwischen einer und zehn Millionen Migranten sollen im Land leben. Die Schätzungen variieren erheblich, weil viele keine Papiere haben.
In klassisch chauvinistischer Manier richtet sich der Hass vieler Einheimischer gegen die vermeintlichen Lohndrücker der migrantischen Konkurrenz, nicht aber gegen die eigenen Landsleute, die die ausbeuterischen Löhne zahlen. So war ein Auslöser der gegenwärtigen Welle von Pogromen offenbar die Entlassung von 200 streikenden südafrikanischen Lagerarbeitern im Township Isipingo bei Durban. Sie wurden durch ausländische Arbeitskräfte ersetzt, die bereit waren, zu einem geringeren Lohn zu arbeiten.
Ein anderer Bereich, in dem die ökonomische Konkurrenz zwischen Einheimischen und Migranten besonders ausgeprägt ist, sind die sogenannten Spaza-Shops, kleine Läden, die es in Townships an jeder Ecke gibt und in denen man Maismehl, Öl, Zigaretten und Mobilfunkguthaben kaufen kann. Viele Spaza-Shops werden von Immigranten aus Somalia, Eritrea oder Pakistan betrieben. Lange waren sie in den Townships die einzige Einkaufsmöglichkeit, doch mittlerweile haben auch dort die großen Supermarktketten ihre Filialen an Knotenpunkten eröffnet und bieten ein größeres Warensortiment zu günstigeren Preisen. Gegen diese Konkurrenz konnten sich die von Immigranten betriebenen Spaza-Shops noch am besten behaupten, während viele südafrikanische Ladenbesitzer pleite gingen. Eine ganze Reihe von Studien haben dieses Phänomen und die Ökonomie der Spaza-Shops untersucht. Offenbar gehen die migrantischen Ladenbesitzer geschickter vor, bündeln ihre Ressourcen, um im Großmarkt einzukaufen und Transporte gemeinsam zu organisieren, und können deshalb niedrigere Preise verlangen. Trotzdem hängt den ausländischen Ladenbesitzern der Ruf des unsauberen Geschäftsgebarens an und ihre Läden werden bei jeder sich bietenden Gelegenheit ausgeraubt oder geplündert, während die südafrikanische Konkurrenz verschont bleibt.

Dagegen wird individuell aufgerüstet, denn auch die südafrikanische Polizei ist für ihre Fremdenfeindlichkeit bekannt und soll in den vergangenen Wochen zuweilen bei Pogromen einfach zugesehen oder sich gar an Plünderungen beteiligt haben. Die Angriffe in Soweto Anfang des Jahres nahmen ihren Ausgang, als ein somalischer Ladenbesitzer einen 14jährigen bei einem versuchten Überfall erschoss. Die Ministerin für die Entwicklung von Kleinunternehmen, Lindiwe Zulu, ließ verlautbaren, ausländische Ladenbesitzer in Townships könnten keine friedliche Koexistenz mit südafrikanischen Unternehmen erwarten, wenn sie ihre Geschäftsgeheimnisse nicht mit Einheimischen teilten, und gab so Verschwörungstheorien weiteren Auftrieb.
Ein weiterer Faktor in der derzeitigen Gemengelage ist ein neotribalistischer Chauvinismus, der unter der Regierung Jacob Zumas zugenommen hat. Obwohl die traditionellen Stam­mes­chefs, die einen verfassungsmäßigen Sonderstatus genießen und vom Staat großzügig alimentiert werden, nur eine repräsentative Funktion ausüben sollten, haben sie in den vergangenen Jahren an politischer Macht gewonnen und werden vom Präsidenten und seinem Kabinett hofiert. Bei einem Treffen der Stammeschefs im März äußerte Zulu-König Goodwill Zwelithini, Ausländer sollten ihre Koffer packen und das Land verlassen. Obwohl er hinterher die Medien beschuldigte, seine Aussagen aus dem Kontext gerissen zu haben, werden einige seiner Anhänger sie als Freibrief verstanden haben. Auch wenn fremdenfeindliche Einstellungen in allen Teilen der Gesellschaft verbreitet sind, ist es kein Zufall, dass die Angriffe vor allem in Gebieten mit Zulu-Mehrheit auftraten.
Von Seiten des regierenden African National Congress (ANC) gab es keine Zurechtweisung des Zulu-Königs und es dauerte über eine Woche, bis Präsident Zuma eine öffentliche Verurteilung der Pogrome herausgab. Stattdessen gab es eine absurde Debatte, bei der Regierungsvertreter betonten, die Geschehnisse seien Ausdruck von »Afrophobie«, nicht aber von Xenophobie – was angesichts von Betroffenen aus Pakistan und Bangladesch wie ein schlechter Witz wirkt. Offenbar ist der Begriff Xenophobie semantisch zu nah am Rassismus, und den kann es und darf es nach Lesart des ANC nicht unter Schwarzen geben.

Doch bei aller internationalistischen Rhetorik, die vom ANC bei Empfängen ausländischer Würdenträger zu hören ist, erklären viele seiner Vertreter die Tatsache, dass sich die ökonomische Situation der armen schwarzen Mehrheit seit Apartheidstagen sogar verschlechtert hat – auch wenn einige Schwarze durch Parteiverbindungen zu Wohlstand gekommen sind –, mit illegaler Einwanderung und von Migranten verübter Kriminalität. Auch der in der Dreierallianz zusammen mit dem ANC und der kommunistischen Partei regierende Gewerkschaftsdachverband Cosatu gibt sich zögerlich. Zwar veranstaltete er zusammen mit dem ANC eine Großdemonstration gegen Fremdenfeindlichkeit, doch seine Arbeit ist von Protektionismus geprägt und es gibt kaum nennenswerte Versuche, geltende Tarifverträge auch für Arbeitsmigranten durchzusetzen. Nach den Pogromen von 2008 wurden Unternehmen aufgefordert, diese zu entlassen. Im Wesentlichen sind es einige NGOs, Migrantenorganisationen und die selbstorganisierte Armenbewegung Abahlali baseMjondolo (AbM), die versuchen, der Xenophobie etwas entgegenzusetzen und die Geflohenen in den Behelfslagern zu unterstützen.
Während das Thema für das offizielle Südafrika keine Dringlichkeit zu haben schien, hatte man offenbar die Konsequenzen im afrikanischen Ausland unterschätzt. Südafrikanische Lastwagen wurden in Mosambik kurz hinter der Grenze mit Steinen beworfen und mussten umkehren, Mitarbeiter südafrikanischer Firmen mussten aus dem Land ausgeflogen werden. Malawi forderte seine Staatsbürger auf, Südafrika zu verlassen, der Informationsminister von Simbabwe bezeichnete Zuma auf Twitter als Fremdenfeind und Nigeria rief seine Botschafter aus Südafrika zurück. In Nigeria, immerhin Südafrikas bedeutendster Handelspartner, werden derzeit Gesetzesänderungen diskutiert, die die Niederlassung von südafrikanischen Unternehmen erschweren könnten. Als Reaktion auf die unerwarteten ­diplomatischen Konsequenzen sagte Zuma in der vergangenen Woche, er habe »die Schnauze voll«, und kündigte ein härteres Vorgehen gegen Migranten an. Bereits im vergangenen Jahr waren die Einwanderungsbestimmungen verschärft worden, nun kündigte er eine schärfere Abschiebepraxis und vermehrte Grenzkontrollen an; Asylbewerber sollen außerdem künftig in Sammel­lagern untergebracht werden. Augenscheinlich ist das gegen Migranten gerichtete Bündnis aus Mob und Elite kein Spezifikum der kapitalistischen Zentren.