Stell’ dir vor, es ist Besetzung …

Die große »revolutionäre« Demo zum 1. Mai erreicht Berlin Neukölln, etwa 18 000 Menschen zählt die Polizei, während die Veranstalter von 33 000 Beteiligten ausgehen. Großer Schwarzer Block, mehrere Hundert Vermummte, von Bannern umgeben. Dann folgt der erste Lautsprecherwagen. Ein Redner der »Interventionistischen Linken« fordert irgendwelche sozialen Reformen und räumt jeweils ein, das sei »dann aber immer noch nicht der Sozialismus«. Doch die Forderungen sind schon okay. Dann spricht ein anderer Aktivist über Gentrifizierung. Das Thema der zu hohen Mieten ist zentral in diesem Jahr – die »Radikale Linke Berlin« fordert in ihrem Demoaufruf ein soziales Zentrum. Immer mehr Demonstrierende laufen am Lautsprecherwagen vorbei nach vorne. Die Menge bewegt sich in Richtung Karl-Marx-Straße. An der Straßenecke brechen Leute die Tür des leerstehenden C&A-Gebäudes auf. Die Scheiben bersten. Einige haben Besen dabei und kehren die Scherben weg, mit Pyrotechnik wird Rauch erzeugt. Jemand wirft einen Bengalo in die geöffnete Tür, einer fliegt auch in die Menge. Die Demo zieht weiter, nur ganz wenige bleiben stehen, um sich die Sache genauer anzuschauen. Kein Eingreifen der Polizei, minutenlang. Kein Mensch geht in das Gebäude. Keiner macht den Anfang. Offenbar will sich niemand verantworten müssen. Etwas scheint mit der Kommunikation nicht geklappt zu haben. Wären die ersten Reihen des Demonstrationszugs stehengeblieben, dann wären wohl auch die richtigen Leute für eine Besetzung in der Nähe gewesen. Womöglich wurden einige von diesen aber auch wegen Vermummung von der Polizei festgenommen. Es ist fraglich, ob die Besetzung länger als eine Nacht gehalten hätte. Aber sie hätte ein wichtiges Symbol sein können – als konkrete emanzipatorische Aktion der radikalen Linken.