Die EU wünscht sich ein stabiles Mazedonien

Muppets gegen die Proteste

Seit Monaten wird in Mazedonien demonstriert. Zunächst sah es so aus, als müsste die Regierung des korrupten Ministerpräsidenten Nikola Gruevski zurücktreten, doch nun hat auch sie ihre Anhänger mobilisiert.

Nicht einmal beim Eurovision Song Contest erfüllt Mazedonien die europäischen Standards. Die Punkte aus Mazedonien wurden im Nachhinein annulliert, weil sie komplett aus dem Televoting hervorgingen, statt je zur Hälfte aus dem Televoting und der Bewertung einer nationalen Jury. In diesem Sinne war Mazedonien dem Eurovision Song Contest sogar zu demokratisch. Ein Phänomen, das dem politischen Alltag in Mazedonien entgegensteht.
Seit dem Machtantritt der nationalistischen VMRO-DPMNE im Jahr 2006 ging es mit den demokratischen Institutionen und bürgerlichen Freiheiten steil bergab. Die Übergänge zwischen Regierung und organisiertem Verbrechen sind fließend, kritische Journalisten wie Tomislav Kezarovski werden aus fadenscheinigen Gründen inhaftiert. Während Mazedonien in der Bewertung der NGO Reporter ohne Grenzen bei der Pressefreiheit im Jahr 2007 noch auf Rang 36 und damit im soliden europäischen Mittel lag, belegt das Land nun Platz 117 und ist das am schlechtesten eingestufte Land des westlichen Balkans.
Vor einigen Monaten begannen Studenten gegen diese Verhältnisse auf die Straße zu gehen. Die Proteste drohten im Sand zu verlaufen, bis Zoran Zaev, der Vorsitzende der sozialdemokratischen Oppositionspartei SDSM, im Februar begann, sogenannte Bomben zu zünden. Dabei handelt es sich um die Veröffentlichung aufgezeichneter Gespräche zwischen hohen Regierungsmitgliedern. Bei den Gesprächen geht es mitunter um Korruption, Amtsmissbrauch, Wahlbetrug, das illegale Abhören von rund 20 000 Bürgern und den vertuschten Mord an dem 22jährigen Martin Neskovski durch einen Polizeibeamten.
Am 9. Mai brachte die Regierung zudem die albanische Minderheit gegen sich auf, als sie eine sogenannte Antiterroraktion in Kumanovo durchführte. Bei dem Einsatz starben acht Polizisten und zehn Albaner, die der UÇK angehört haben sollen (Jungle World 20/15). Drei Tage nach den Kämpfen traten Innenministerin Gordana Jankulovska, Verkehrsminister Mile Janakieski und der Leiter des Geheimdienstes, Sasho Mijalkov, zurück. Letzterer ist der Cousin des amtierenden Ministerpräsidenten Nikola Gruevski. Dies nährte die Hoffnung, dass es mit der Regierung bald vorbei sein könnte. In der Opposition wird vermutet, durch den sogenannten Antiterroreinsatz sollten ethnische Spannungen geschürt werden, um von den Skandalen der Regierung abzulenken. Die mazedonische Zeitschrift Fokus berichtete von einem französischen PR-Berater, welcher der Regierung empfohlen haben soll, »einen kleinen Krieg« anzuzetteln, um von innenpolitischen Problemen abzulenken.

Derweil passierte das Gegenteil dessen, was die Regierung sich erhofft hatte. Am 17. Mai kam es vor dem Parlament zu den größten Demonstrationen gegen die Regierung seit der Unabhängigkeit Mazedoniens. 40 000 Menschen versammelten sich vor dem Regierungssitz und neben den mazedonischen wehten auch viele albanische Flaggen. Im Laufe des Abends entstand eine kleine Zeltsiedlung im Zentrum der Haupstadt Skopje. Die gute Stimmung hielt aber nicht lange an. Bereits einen Tag später mobilisierte die Regierung Zehntausende Anhänger, die vor das Parlament zogen.
Eine Regierungsgegnerin kommentierte auf Twitter: »Das ist die mazedonische Muppet Show«, eine Anspielung darauf, dass die Regierung Demonstranten aus allen Landesteilen nach Skopje gebracht hatte. Das Regime um Nikola Gruevski schuf in den vergangenen Jahren abertausende Stellen, die nach Parteibuch vergeben wurden. Wegen des schwachen Arbeitsmarktes sind diese Stellen die Lebensgrundlage für Hunderttausende der insgesamt zwei Millionen Einwohner; dieses Klientelsystem ist die Machtgrundlage des mazedonischen Regimes. Die Regierungsanhänger kopierten die Proteste vom Vortag bis ins Detail. Der bemerkenswerteste Unterschied war, dass kaum albanische Flaggen wehten, dafür aber umso mehr russische.
Die Proteste der Regierungsgegner haben inzwischen an Schwung verloren. Es gibt zudem Spannungen innerhalb der Opposition. Die Sozialdemokraten waren bereits an der Macht und haben damals nicht durch Korruptionsbekämpfung auf sich aufmerksam gemacht. Manche Demonstranten befürchten, dass das korrupte System Gruevski durch ein korruptes System Zaev ersetzt werden könnte. Allerdings, so argumentieren viele Demonstranten, die sich nicht von der SDSM vereinnahmen lassen wollen, habe diese sich wenigstens an grundlegende demokratische Spielregeln gehalten und Mazedonien nicht in eine Diktatur geführt. Dennoch ist die Angst davor, dass es nach einem Regierungswechsel wieder »Wer hat uns verraten, Sozialdemokraten« heißen könnte, allgegenwärtig bei den Studenten sowie den linken und libertären Kräften innerhalb der Opposition.

Die russische Regierung betrachtet die Ereignisse in Mazedonien mit großer Sorge. Nikola Gruevski hat sich Russland in den vergangenen Monaten angenähert, lehnt die internationalen Sanktionen ab und hofft darauf, dass das Pipeline-Projekt »Turkish Stream« durch Mazedonien führen wird. Nachdem das Pipeline-Projekt »South Stream« an den Wettbewerbshütern der EU gescheitert ist, soll »Turkish Stream« eine alternative Route für russisches Gas an der Ukraine vorbei ermöglichen. Mit Griechenland und Ungarn könnte die Pipeline durch zwei EU-Staaten führen, die in letzter Zeit mit einer engeren Bindung zu Russland liebäugeln. Da käme es Russland nicht gelegen, wenn eine neue Regierung in Mazedonien das Projekt frühzeitig beenden würde.
Der russische Außenminister Sergej Lawrow hat inzwischen eine Reihe von Verschwörungstheorien in die Welt gesetzt, um die Proteste zu diskreditieren. Angeblich seien diese von den USA inszeniert worden, um den Bau der Pipeline zu verhindern. Zudem plane »der Westen«, Mazedonien zwischen den Nachbarländern Bulgarien und Albanien aufzuteilen. Diese Aussagen haben humoristisches Potential, werden aber von den russischen Staatsmedien ernsthaft verbreitet. Dem »Westen« jedenfalls kann man nicht vorwerfen, in den vergangenen Jahren etwas gegen die Einschränkung demokratischer Rechte in Mazedonien unternommen zu haben.
Aufgrund der Angst vor ethnischen Spannungen in Mazedonien galt Stabilität mehr als Demokratie und grundlegende bürgerliche Freiheiten.So betonte der deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier vorige Woche bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit seinem albanischen Amtskollegen Ditmir Bushati: »Jeder Rückfall in einem Staat des westlichen Balkans kann Auswirkungen auf die Nachbarschaft haben.« Eine ernstzunehmende Kritik an der Regierung in Skopje indes folgte nicht. Auch hier galt wieder: Stabilität vor Demokratie.

Um die Regierung zu Neuwahlen zu zwingen, gibt es noch eine Option, die bislang kaum diskutiert wurde. Das politische System in Mazedonien ist territorial zwischen mazedonischen und albanischen Regionen aufgeteilt. Ministerpräsident Gruevski ist auf den albanischen Koalitionspartner DUI angewiesen. Diese Partei könnte die Koalition platzen lassen und Neuwahlen erzwingen. Allerdings steckt die DUI genauso tief im Korruptionssumpf wie die VRMO-DPMNE. Das könnte auch der Grund sein, warum der ehemalige UÇK-Kommandant Ali Ahmeti das Bündnis nicht auflöst, obwohl das immer mehr Parteianhänger von ihm fordern.
Sollte die Regierung zurücktreten, wäre das nur ein erster Schritt. Im Grunde müsste der Beamtenapparat komplett reformiert werden. Bislang macht Gruevski keine Anstalten zurückzutreten. Sollte die Rechtsstaatlichkeit nach Mazedonien zurückkehren, drohen ihm und vielen anderen Regierungspolitikern Gerichtsverfahren und Haftstrafen. Da scheint es die bessere Option zu sein, die Proteste in einem Palast auszusitzen.