Der französische Front National bemüht sich um Seriösität, aber immer wieder sorgen Mitglieder für Skandale

Die simulierte Unsicherheit

Während sich Marine Le Pen international ein seriöses Image zuzulegen sucht, stehen sechs junge Aktivisten des rechtsextremen Front National vor Gericht, weil sie mindestens 20 Autos abgefackelt haben.

Hilf dir selbst, dann ist dir am besten geholfen. Dies sagten sich offenbar sechs junge Aktivisten des französischen Front National (FN) im Alter zwischen 19 und 26 Jahren. Um die allgegenwärtige »Unsicherheit« zu belegen, zündeten sie in zwei Départements im Pariser Umland, den Bezirken Seine-et-Marne und Val-d’Oise, mindestens 20 Autos einfach selbst an. Kurz darauf twitterte einer von ihnen, der 25jährige Adrien Desport, am 11. April drauf los, das »Unsicherheitsgefühl« in der Nachbarschaft werde angesichts »ständig steigender Kriminalität« nun unerträglich.
Ihre aktive Selbsthilfe ging nun sogar der Parteiführung zu weit. Wie verlautbarte, war es ein Mitglied der Leitung, das auf Anraten von Parteivorsitzenden Marine Le Pen die Sache zur Anzeige brachte – wohl um einem Auffliegen der jungen Parteiaktivisten zuvorzukommen. Diese Strafanzeige führte zur Eröffnung eines Verfahrens, am Dienstag und Mittwoch vergangener Woche wurden die Beteiligten in Polizeigewahrsam genommen und verhört. Am 15. Juli soll ein Prozess gegen sie stattfinden.
Adrien Desport, ehemals stellvertretender Bezirksvorsitzender der rechtsextremen Partei, muss die Zeit bis dahin in Untersuchungshaft verbringen. Er hatte bereits im vergangenen Jahr als Spitzenkandidat bei der Kommunalwahl für Schlagzeilen gesorgt. Da die Leitmedien ein kurzes Gedächtnis haben, erinnerte keine überregionale Zeitung daran, doch die Wahlbewerbung von Desport in Mitry-Mory – in der Nähe des Pariser Großflughafens von Roissy – war skandalumwittert. Desport hatte den früheren Chef der konservativen Partei UMP – jüngst in Les Répu­blicains umbenannt –, den in der Nähe wohnenden Jean-François Copé, offen wegen dessen jü­discher Herkunft angegriffen. Sein Großvater habe »Kopelewitsch« geheißen, verbreitete Desport damals über die sozialen Medien, und »in dem Haus dieser Familie isst man kein Schweinefleisch«.
Marine Le Pen kann solche Affären nicht gebrauchen, denn sie will hoch hinaus. Wer nach der Staatsmacht greift oder an ihr teilhaben möchte, muss auch auf internationalem Parkett ein Minimum an »staatsmännischen« Kompetenzen an den Tag legen. Denn ohne eine Strategie auch für die zwischenstaatlichen Beziehungen kann ein politischer Machtanspruch nicht glaubwürdig vorgetragen werden.
Gerade auf internationaler Ebene konnte der FN in den vergangenen Tagen und Wochen einige Fortschritte verzeichnen. Am Montagabend kündigte Marine Le Pen triumphierend an, nach mehreren vergeblichen Anläufen im Juni und Oktober vorigen Jahres habe ihre Partei es nun doch geschafft, eine Fraktion im Europäischen Parlament zu konstituieren. Dazu werden mindestens 25 Abgeordnete aus sieben EU-Ländern benötigt. An der Mindestzahl an beteiligten Na­tionalitäten scheiterte die Fraktionsgründung bislang, da der FN nur über vier zuverlässige und hinreichend vorzeigbare Partner verfügte, wie die FPÖ aus Österreich und den Vlaams Belang aus Belgien. Zusammenschlüsse mit der deutschen NPD, Jobbik aus Ungarn oder der griechischen Partei »Goldene Morgenröte« schloss die französische Partei hingegen aus.

Am Montag verkündete die FN-Vorsitzende den Namen ihrer neuen Fraktion: »Europa der Nationen und Freiheitsrechte« (Europe des nations et des libertés). Aus welchen zwei bislang noch in ihren Reihen fehlenden EU-Staaten die neu hinzukommenden Abgeordneten für die Fraktion stammen, wurde bis Redaktionsschluss nicht offiziell bekannt. Es sickerte jedoch durch, dass wohl mindestens eine Überläuferin aus den Reihen der nationalistischen und rechtskonservativen britischen Partei UKIP von Nigel Fa­rage dazugehört.
Auf internationalem Parkett ist Marine Le Pen derzeit auch sonst sehr aktiv. Am 26. Mai wurde die französische Politikerin zum wiederholten Male vom russischen Parlamentspräsidenten Sergej Naryschkin empfangen. Dieses Mal unter Ausschluss der Medien, eine angekündigte Übertragung des Treffens durch das russische Fernsehen wurde abgesagt. Einem Kommuniqué der Duma, des russischen Parlaments, zufolge beglückwünschte Naryschkin den FN zu seinem Abschneiden bei den französischen Bezirksparlamentswahlen im März und bezeichnete die Partei als Ausdruck »der Zeit und des Geistes des modernen Frankreich« sowie als »eine der wichtigsten politischen Kräfte in Europa«.
In der letzten Maiwoche hielt Marine Le Pen sich dann für mehrere Tage in Ägypten auf. Begleitet wurde sie dabei von dem Europaparlamentarier Aymeric Chauprade. Dessen Stern ist offensichtlich wieder im Aufstieg begriffen. Im Spätsommer vorigen Jahres war er bei der Parteivorsitzenden in Ungnade gefallen und aus den vorderen Reihen der extremen Rechten verschwunden. Chauprade, der auf eine strategische Annäherung sowohl an die russischen Macht­haber als auch an die israelische Rechte setzt – gegen einen als Hauptfeind definierten sunnitischen Islam –, hatte sich auch für eine militärische Beteiligung Frankreichs an Luftangriffen gegen den »Islamischen Staat« (IS) im Nahen Osten ausgesprochen. Dies kam nicht bei allen in der Partei gut an, die mehrheitlich auf einen Kurs setzt, der zwar die Militärschläge gegen den IS gutheißt, aber eine aktive Beteiligung Frankreichs ablehnt.
Nun ist Chauprade wieder da. Er knüpfte die wesentlichen Kontakte bei dem Besuch in Kairo. Dort traf Marine Le Pen unter anderem mit dem amtierenden Ministerpräsidenten Ibrahim Mah­lab in dessen Amtssitz zusammen. Aus diesem Anlass bezeichnete Marine Le Pen den für brachiale Repression stehenden ägyptischen Präsidenten Abdel Fattah al-Sisi als »einen unserer solidesten Schutzwälle gegen die Muslimbrüder«.
Spektakulärer war, dass Marine Le Pen auch an der Universität al-Azhar, einer alten, strukturkonservativen und regierungsnahen Institution des sunnitischen Islam, vom dortigen Großscheich Ahmad al-Tayyib empfangen wurde. Hinterher behauptete die Vorsitzende des französischen FN, beide hätten »in zahlreichen Punkten Übereinstimmung« erzielt oder verzeichnet. So bei der Notwendigkeit der Terrorismusbekämpfung, aber auch bei dem Wunsch, junge Muslime aus nordafrikanischen Ländern von der Auswanderung abzuhalten.
Anders stellte es hingegen, im Auftrag al-Tayyibs, dessen Stellvertreter Abbas Shoman dar. Er habe Marine Le Pen nur auf ihren Wunsch hin empfangen, wie er Menschen aller weltanschaulichen Richtungen empfange, um ihnen den »wahren Islam« zu zeigen und falsche Interpretationen zu widerlegen.
Marine Le Pen traf auch mit einem Oberhaupt der koptischen Christen zusammen und brachte dabei ihre Beunruhigung »über die Lage der Christen in Syrien und im Irak« zum Ausdruck. In beiden Ländern schlug sich der Front National auf die Seite des jeweiligen massenmörderischen Ba’ath-Regimes, jenes von Saddam Hussein vor 2003 und jenes noch existierenden von Bashar al-Assad. Jeweils mit der Begründung, diese beschützten die orientalischen Christen. Vor diesem Hintergrund gedenkt die französische extreme Rechte etwa auch des soeben verstorben früheren irakischen Vizepräsidenten Tarik Aziz, dessen christlicher Hintergrund hervorgehoben wird.

Weniger positive Schlagzeilen, zumindest aus eigener Sicht, macht unterdessen der Altvorsitzende Jean-Marie Le Pen, der am kommenden Samstag 87 Jahre alt wird. Mitte voriger Woche wurde gegen ihn ein Strafverfahren wegen Steuerhinterziehung eröffnet. Gegenstand sind die im Frühjahr 2013 bekannt gewordenen Geheimkonten in der Schweiz, auf denen er seit Anfang der neunziger Jahre 2,2 Millionen Euro gelagert haben soll. Le Pen senior hat die Existenz dieser Konten eingeräumt, bestreitet aber jegliche Straftat in diesem Zusammenhang.
Nicht deswegen, sondern wegen der inner­parteilichen Konflikte seit April (Jungle World 22/2015) waren ihm Anfang Mai die Mitgliedsrechte entzogen worden. Dagegen hat Jean-­Marie Le Pen nun geklagt. Die Gerichtsverhandlung fand am Freitag voriger Woche in Nanterre statt, das Urteil soll am 2. Juli gefällt werden. Unterdessen hat die Parteiführung am Freitagabend voriger Woche bereits neue Fakten geschaffen. Das Amt des Ehrenvorsitzenden, das Jean-Marie Le Pen seit seinem Abgang von der Parteispitze 2011 bekleidete – und das ihm aus eigener Sicht auf Lebenszeit zustand –, wurde kurzerhand abgeschafft und aus den Statuten gestrichen.