Bundesjugendspiele abschaffen!

Gelobt sei, was Frust macht

Dieser Text ist aus einer Perspektive von 1,56 Meter über Bodenniveau geschrieben und kann daher Spuren von persönlicher Meinung zum Thema Schulsport enthalten.

Der größte Nutzen von Onlinepetitionen besteht zumeist in der Selbstvergewisserung der Initiatoren und Unterzeichner, dass soundsoviele Tausend Menschen der gleichen Meinung sind wie man selbst. Im besten Fall trifft man einen Nerv und sorgt für eine öffentliche Debatte.

Dieses Ziel hat Christine Finke, Betreiberin des Blogs »Mama arbeitet«, mit ihrer Petition zur Abschaffung der Bundesjugendspiele bereits erreicht, die sie startete, nachdem ihr Sohn, wie sie twitterte, heulend von der Sportveranstaltung nach Hause gekommen war. »Für viele Schüler bedeuten diese Spiele eine alljährlich wiederkehrende öffentliche Demütigung«, begründet sie ihre Forderung; dem widersprechen nicht einmal ihre Kritiker, die sich schnell zu Wort meldeten: Kinder müssten eben lernen, mit Niederlagen umzugehen, heißt es da etwa (was stark an »Ein paar Klapse haben mir auch nicht geschadet« erinnert, wie man es von Befürwortern der Prügelstrafe kennt), und schließlich lebten wir in einer Leistungsgesellschaft, basta.

Danke, jetzt weiß ich wenigstens, warum ich nie den Ehrgeiz entwickelt habe, zu irgendeiner Elite zu gehören: Den hat mir wohl der Schulsport ausgetrieben, der für mich als vertikal Herausgeforderte ohnehin wöchentlicher Frustgarant war. Die Bundesjugendspiele samt ihrer Bewertung nach Geburtsjahrgang waren da »nur« der jährliche Tiefpunkt. Für die Sportlehrerin lag es übrigens an mangelnder Technik und nicht daran, dass ich zwei Köpfe kleiner war als die Gleichaltrigen, wenn ich mal wieder die Hochsprung­latte riss, unter der ich locker hätte hindurchlaufen können. Womit sie immerhin das Vorurteil bestätigte, dass die Sportskanonen es nicht so mit physikalischen Gesetzen und ähnlichem haben.

Ein Argument, das allerdings auch die Fans des 1951 von Carl Diem, vormals Organisator der Nazi-Olympiade 1936, ins Leben gerufenen Schulturniers aufgreifen. »Manche sind in Mathe gut, manche in Kunst und manche in Sport«, meint etwa eine Katharina Mahrenholz auf NDR Info. Offenbar waren Naturwissenschaften und Mathematik nicht so ihre Stärke, sonst wüsste sie nämlich, dass schlechte Sport- und gute Mathenoten einen geradezu zum Mobbingopfer prädestinieren. Und auch Mahrenholz preist die charakterstärkende Wirkung von Enttäuschungen auf die kindliche Seele; man würde sie gerne fragen, ob sie selbst Kinder hat und denen am Frühstückstisch eröffnet, dass der lange geplante Zoobesuch aus pädagogischen Gründen ausfällt.

Aber Moment mal – gleiche Leistungsanforderungen trotz unterschiedlicher Voraussetzungen, kennt man das nicht irgendwoher? Tatsächlich gilt dieses Prinzip nicht nur für die Bundesjugendspiele, sondern für die Schule allgemein. Chancengleichheit nennt man das wohl, wenn Kinder aus »bildungsfernen« Familien dank Zensuren und selektivem Bildungssystem von klein auf lernen, wo ihr künftiger Platz in der Gesellschaft ist. So lange das als selbstverständlich erscheint, werden Finkes Kritikern die Argumente nicht ausgehen, und so gilt: Wer nicht von Klassengesellschaft reden will, sollte von Bundesjugendspielen schweigen.