Paul Zone im Gespräch über die siebziger Jahre in New York zwischen Glam und Punk

»Glam war ein Türöffner«

New York zwischen Glam und Punk: Der Fotograf und Musiker Paul Zone gibt in »Playground« Einblick in seine Jugend.

Playground« ist nicht der erste Bildband über die Blütezeit von Glam und Punk in New York City. Wann wurde Ihnen klar, dass Ihre Fotografien als Bildband erscheinen müssten?
2007 besuchte ich eine Fotoausstellung von zehn New Yorker Fotografinnen und Fotografen, die ich seit den Glam- und Punktagen, also den mittleren siebziger Jahren, kannte. Einem Freund erzählte ich, dass ich mich zwar darüber freuen würde, dass all diese Bilder in der Ausstellung gezeigt werden; aber es waren dieselben Fotos, die man seit 35 Jahren immer und immer wieder zu sehen bekam. Ich fand es seltsam, dass es keine Bilder gab, die ich noch nicht kannte. Der besagte Freund wiederum erinnerte sich an ein altes Album mit meinen Fotos und an die Leute, die auf diesen Bildern zu sehen waren. Ja, es stimmte, einige meiner Freunde waren damals gerade im Begriff, Bands zu gründen, Blondie und die Ramones zum Beispiel. Und schon hatte ich eine neue Aufgabe: Ich begann alle meine Fotos und Negative zusammenzusuchen und zu sortieren. Zu meiner großen Überraschung hatte ich viel mehr Bilder als ich dachte. Ich verbrachte ein ganzes Jahr in der Dunkelkammer eines Freundes aus Los Angeles damit, Fotos zu reproduzieren und zu vergrößern. 2008 hatte ich in dessen Galerie eine Ausstellung, zur Eröffnung kamen 400 Leute. Inklusive jeder Menge Filmstars und Popmusikerinnen und –musiker aus den vergangenen fünf Jahrzehnten. In den folgenden zwei Jahren hatte ich Ausstellungen und Shows in vielen großen europäischen Städten wie Rom, Barcelona, Berlin, Amsterdam und in Kanada. In den USA wollte ich keine Ausstellung mehr machen, bis ich ein Buch zum Vorstellen hätte. 2014 war es dann soweit.
Glücklicherweise hatten Sie Ihre Kamera oft im richtigen Moment dabei. War Ihnen als Jugendlicher bewusst, dass sich in New York etwas kulturell Bedeutendes anbahnte?
Darüber habe ich damals nicht nachgedacht. Ich wollte Fotos von Live-Auftritten meiner Freunde und Lieblings-Bands machen, hatte aber keine offizielle Erlaubnis, von der ersten Reihe aus fotografieren zu dürfen wie die »echten« Fotojournalisten. Also musste ich von meinem Sitz aus Bilder machen. Ich war immer froh, wenn ich befreundete Bands aus meiner Nachbarschaft fotografieren konnte. Sie spielten in kleinen Läden, wo man quasi immer in der ersten Reihe stand. Der einzige Unterschied zu Stars wie Kiss bestand für mich darin, dass meine Freunde gerade erst anfingen und vom Ruhm noch weit entfernt waren. In New York City spielte sich die Glam-Ära mit Bands wie den New York Dolls in den frühen Siebzigern nur in kleinen Clubs ab. Vielleicht kamen um die 100 Leute zu den Shows, diese Art der Musik war nicht kommerziell erfolgreich wie in Großbritannien. In Amerika liefen David Bowie oder T. Rex nicht im Fernsehen und wurden auch nicht im Radio gespielt. Auch nachdem das erste Album der New York Dolls herausgekommen war, vergrößerte sich das Glam-Publikum nicht zu einer Szene nennenswerten Ausmaßes. Um 1974 herum verschwand Glam langsam von der Bildfläche, viele meiner Freundinnen und Freunde machten andere Musik, meine Brüder und ich gründeten die Band The Fast. Mit dem Fotografieren machte ich einfach weiter. Dass viele Leute, mit denen wir auf denselben Partys abhingen, später mal berühmt werden sollten, war ja nicht abzusehen.
An welche obskuren Situationen erinnern Sie sich?
Ich habe Fotos bei einer der ersten Shows des Elektro-Duos Suicide in ihrem Kellerstudio gemacht. Außer mir, meinen Brüdern und einer Handvoll Freunde war niemand da. Das war schon sehr merkwürdig.
Besonders gern mag ich die Bilder von Joey Ramone im Haus meiner Eltern, wo wir um fünf Uhr morgens nach einer Nacht im CBGB’s einfielen und meine Mutter alle zum Frühstück einlud.
Ihr Bildband erzählt mindestens zwei Geschichten: Die vom Underground im New York der siebziger Jahre, und Ihre eigene. Hatten Sie das von Anfang an im Sinn?
Es sollte eigentlich ein Fotobuch über die verschiedenen New Yorker Szenen wie Glam, Punk und Disco werden. Aber dann bemerkten die Mitarbeiter meines Verlags, dass ich erst zwischen 14 und 16 Jahre alt war, als ich die meisten Fotos gemacht hatte. Zusammen mit den Storys, die ich erzählen konnte, fanden sie das so interessant, dass sie mich überzeugten, eine ausführliche Autobiographie zu schreiben, die das Buch ergänzen sollte. Ich ging bis zum Anfang zurück und schrieb die Geschichte des Jungen aus der Vorstadt auf, der sich auf die aufregende Reise nach Manhattan begibt und in den New Yorker Underground eintaucht.
Wieso ist die damalige Zeit auch heute noch faszinierend?
Die New Yorker Punk-Szene hatte ja nicht nur großen musikalischen Einfluss, sondern veränderte auch die Mode und Kultur. So etwas passiert nicht allzu häufig. Mir fallen nur ein paar historische Beispiele ein: Elvis’ Rockabilly-Phase Anfang der Fünfziger, Surf Music, Motown, die British Invasion, Psychedelic, die Hippie-Generation und Progressive Hardrock. Letzterer war im Übrigen das, was uns dazu brachte, mit Glam zu rebellieren und als Resultat Punk in den USA zu erfinden. Es gab natürlich noch ein paar Genres seit Punk, aber ich finde wirklich nicht, dass irgendetwas vergleichbar starke Auswirkungen hatte.
Seit einer Weile wird viel über »gender blending« diskutiert. Ihr Buch erweckt den Anschein, als wäre dieses Thema in den Siebzigern kein großer Aufreger gewesen. Sie und Ihre Brüder hatten männliche und weibliche Partner, ohne dass sie das besonders hervorheben. Die New York Dolls trugen Frauenkleider und Make-up, Jayne County war ursprünglich Wayne. War der Umgang mit sexueller Identität damals wirklich so einfach, oder, wie Ihr Buchtitel suggeriert, spielerisch?
Glam öffnete mit exaltiertem Style die Türen für das Spielen mit Geschlechterrollen, und Kokain öffnete die Türen für sexuelles Experimentieren. 1969 war der Stonewall-Aufstand im West Village (bis in die sechziger Jahre führte die Polizei regelmäßig Razzien in Bars und Clubs mit homosexuellem und Transgender-Publikum durch. Bei einer Razzia am 28. Juni 1969 im New Yorker Stonewall Inn in der Christopher Street kam es zu gewalttätigen Auseinandersetzungen, viele Beteiligte konnten sich der Verhaftung widersetzen, Anm. d. Red) und öffentlich zu zeigen, dass man schwul ist, wurde nicht mehr als kriminell angesehen. Zwei Jahre später wurde Homosexualität als Geisteskrankheit aus den Medizinbüchern gestrichen. Meine Freundinnen und Freunde waren Künstler, Schauspieler, Designer, Musiker und Schriftsteller und offen gegenüber allen Leuten. Es scheint in allen Zeiten und Kulturen so zu sein, dass Künstlertypen zumindest tolerant, meistens aber sehr experimentierfreudig in puncto Sex sind. Ich denke auch nicht, dass das heute anders ist als vor 40 Jahren.
Die Leute auf Ihren Fotos sind alle irre jung.
Es macht mich sehr traurig, dass meine Brüder und viele unserer Freunde leider nicht viel älter geworden sind als auf den Fotos – was die Bilder noch wertvoller für mich macht. Und natürlich freue ich mich, Fotos von Leuten zeigen zu können, die glücklicherweise noch leben. Man muss ja bedenken, dass diese Bilder noch niemand vorher gesehen hat: Weder in Ausstellungen, Büchern oder im Internet. Aber so ist das, wenn man älter wird: Man verliert so viele, die man liebt und mit denen man aufgewachsen ist. Sich an all die Geschichten zu erinnern und sie aufzuschreiben, war viel härter für mich, als die Fotos anzuschauen. Es war mir vorher nicht klar, wie sehr mich das belasten würde.
Zwei Ihrer Brüder sind an den Folgen von Aids gestorben. Wie ging die Künstlerszene damals mit den verheerenden Auswirkungen von Aids um?
Die frühen Achtziger waren schrecklich für die kreative Szene, wir haben so viele talentierte Leute verloren … In den Neunzigern war es immer noch schwierig, aber dank des medizinischen Fortschritts kann man mit HIV inzwischen besser leben.
In »Playground« sieht man nicht nur Musiker­innen und Musiker, Sie haben auch Designerinnen wie Anna Sui, Maler, Filmemacher und andere Künstler fotografiert.
All diese Leute waren wichtig in der Punk- und Glam-Szene. Alle haben voneinander gelernt. Ich wollte unbedingt und vor allem Bilder und Geschichten von den Leuten ins Buch bringen, die nicht sehr bekannt geworden sind oder keinen großen Einfluss auf den Massenmarkt hatten. Nur weil es einige sozusagen nicht geschafft haben, heißt das ja nicht, dass sie nicht andere inspiriert haben – und auf ihre Weise wichtige Rollen gespielt haben oder immer noch spielen.
Ihre Band Man 2 Man entstand aus der Punkband The Fast. War das nicht ungewöhnlich für einen Elektro-Disco-Act?
The Fast waren zwischen 1976 und 1982 in New York City sehr bekannt, wir tourten häufig durch die Staaten und veröffentlichten einige recht erfolgreiche Platten bei kleinen Labels. Leider ergatterten wir keinen Major-Plattenvertrag, durch den wir vielleicht so berühmt geworden wären wie Blondie und die Ramones … wer weiß. Anfang ’84 lösten mein Bruder Miki und ich The Fast auf und traten als Duo in Clubs in Manhattan auf. Wir änderten den Bandnamen in Man 2 Man und ließen unserer Liebe zu amerikanischem Disco-Sound und europäischer elektronischer Musik freien Lauf. Unsere erste selbstproduzierte und -vermarktete Single wurde Nummer eins in Mexiko; die nächste Single »Male Stripper« hat unser Freund Man Parrish auf einem Achtspurgerät in seinem Schlafzimmer aufgenommen. Als die Single 1986 auch in England veröffentlicht wurde, avancierte sie zum meistverkauften Dance-Club-Hit in Europa! Im Jahr darauf eroberte »Male Stripper« die Charts weltweit – und ich fand gar nicht, dass wir uns verändert hatten. Wir waren immer noch die Glam- und Punk-Typen aus New York City, die die Musik machten, die sie liebten.
Fühlen Sie sich eigentlich als Vorläufer von Bands wie Frankie Goes To Hollywood?
Mitte der Achtziger kam alles, was mein Bruder und ich interessant fanden, aus Großbritannien: Frankie Goes To Hollywood, Erasure, Pet Shop Boys, Depeche Mode und so weiter. Unser guter Freund Bobby »O« Orlando produzierte damals ein paar Acts, aus denen kurze Zeit später Hi-NRG entstand: The Flirts und Divine. O half uns mit unseren Demos, als aus The Fast Man 2 Man wurden.
Hierzulande ist es derzeit sehr angesagt, an die späten Siebziger und frühen Achtziger in West-Berlin zu erinnern – an die Musik, die Leute, die Drogen … Es gibt diesen Spruch: »Wenn du dich an die Achtziger erinnerst, bist du nicht dabei gewesen.«
Der Spruch geht doch eigentlich so: »Wenn du dich an die Sechziger erinnern kannst, warst du nicht dabei« – aber doch, ich erinnere mich sehr gut an die achtziger Jahre. In meinem Buch erzähle ich, dass ich schon Ende der Siebziger die Finger von Drogen gelassen habe und die gesamten Achtziger über clean war. Wir hätten mit Man 2 Man nicht so erfolgreich sein können, wenn ich nicht alle meine Sinne beisammen gehabt hätte.

Paul Zone: Playground. Growing Up in the New York Underground. Verlag Glitterati Inc, New York 2014, 208 Seiten, 47 Euro