K.I.Z disst alle Partypatrioten

Wie der Kirchenbesuch nach dem Puff

An K.I.Z scheiden sich die Geister: Sind die vier jungen Männer aus Berlin grandiose Satiriker, politische Brandstifter oder geniale Selbstvermarkter?

Auch die Big Player wie Universal Music seien von der »blanken Angst« beherrscht, sagt Tarek von K.I.Z, ein Album könne noch vor seinem offiziellen Erscheinen im Internet zugänglich gemacht werden. Die interessierten Musikjournalisten hören die neuen Songs deshalb unter kontrollierten Testbedingungen. Es herrscht Ruhe, während »Hurra, die Welt geht unter«, das jüngste Album von K.I.Z, genau einmal in voller Länge in einem Konferenzraum in Berlin-Kreuzberg vorgespielt wird. Fast unmöglich, sich in diesem abgesicherten Durchlauferhitzer einen genauen Eindruck von den Beats, den Lyrics und deren Themen zu verschaffen. Vielleicht tut dem Album aber genau diese Vorläufigkeit des Höreindrucks gut, denn so bleibt der unerwartete Tonfall präsent.
Ganz unverständlich und unüblich ist das Verfahren des Managements zumindest nicht. Immerhin wird das kommende Release im Internet seit Wochen auf allen Kanälen der Band aufwendig in Szene gesetzt. Dort kursiert eine Vielzahl von Videos, in denen die vier Bandmitglieder Maxim Drüner, Nico Seyfrid, Tarek Ebéné und Sil-Yan Bori in faschistoider Uniformierung die Rede an ihre Fans richten, um sie über den Fortgang der Albumproduktion sowie bevorstehende Großereignisse des Festivalsommers zu informieren. Im Hintergrund der dazugehörigen Schwarzweißaufnahmen marschieren die Massen zum Rhythmus einer der Bandgeschichte gewidmeten chorischen Hymne. »Fun fact am Rande: Die Bilder von den Militärparaden sind von guten westlichen Demokratien geklaut. Das sind Bilder vom 14. Juli in Frankreich, das sind Bilder aus der Schweiz und Deutschland – nach ’45«, kommentiert Maxim im Gespräch mit dem Splash-Magazin. Eine ebenso kluge wie erprobte Art der Inszenierung: Dass K.I.Z mit rechten Ästhetiken spielen, ohne ihnen ideologisch anheimzufallen, hat sich spätestens seit dem Album »Sexismus gegen rechts« von 2009 herumgesprochen. Das Album schlug auch deswegen im Feuilleton ein, weil es die Nähe zwischen Political Correctness und deren beliebiger Vereinnehmbarkeit ästhetisch herausstellte. Je nach Vorlieben der Presse werden K.I.Z seitdem ein intellektuell verdrehter Anspruch oder die Pflege eines brachialen running gag unterstellt, über den sich die Fangemeinschaft immer wieder aktivieren lässt.
Aber vielleicht muss man sich auch gar nicht zwischen dem »Superironieschutzschild« (Maxim) und ernsthafter politischer Stellungnahme entscheiden. Diesen Eindruck legt »Hurra, die Welt geht unter« in der Testhörsituation nahe, mehr noch als jede vorangegangene Veröffent­lichung von K.I.Z. Direkt und ohne doppelten Boden wird die gesellschaftliche Wirklichkeit beschrieben. In »Geld« etwa, dem zweiten Song des Albums, werden alltäglich erfahrene Trennlinien schlicht aufgezählt: angefangen damit, dass man sich bestimmte Dinge nicht leisten kann, bis hin zum damit verbundenen Gefühl des Ausschlusses und der Demütigung. In diesem Zusammenhang tauchte etwa auf »Urlaub fürs Gehirn« (2011) immer wieder die Figur eines unternehmenstüchtigen Managers auf, dessen absurde Selbstgerechtigkeit sich wunderbar zu- und überspitzen ließ.
Auf dem neuen Album konzentrieren sich die Texte auf Beobachtungen der sozioökonomischen Gegensätze und schildern in zum Teil regelrecht realistischer Erzählweise Szenen von trister Armut und Hilflosigkeit oder aussichtsloser Hoffnung auf Anerkennung: »Adidas mit drei oder vier Streifen«, »Aldi oder Feinkost«, »Klassenfahrt oder nicht«.
Inhaltlich ist die erste Hälfte des Albums bestimmt durch den Zusammenhang aus Obrigkeitsglauben, Unterwerfung und Arbeit. Er betrifft den Manager ebenso wie den Arbeiter: »Du und dein Boss habt nix gemeinsam bis auf das Deutschlandtrikot«, heißt es in »Boom Boom Boom«. Wut aber ist ein hilfreiches Gefühl: »Der Gedanke, das sind die Bösen, führt nicht zu den Guten. Er hilft aber zumindest dabei, sich klarzumachen, dass es grundlegende Widersprüche und Ausbeutung gibt. Er führt raus aus der Vorstellung einer fröhlichen Gemeinschaft, raus aus dem ›Wir sind Wir‹. Das ist ein Riesenunterschied zu einer üblichen Ungerechtigkeitsdebatte. Man kann auch Songs über ein Gefühl machen, das als Kapitalismuskritik vielleicht nicht alles ist. Einfach, weil das Gefühl da und stark ist«, sagt Maxim und verdeutlicht so nicht zuletzt, dass K.I.Z Wut nicht mit Gesellschaftsanalyse gleichsetzen.
Überhaupt prägt das Gefühl der Wut viele Songs des Albums – mit einer Direktheit, die sich nicht um Imagepflege beziehungsweise planvolles Vorgehen zu scheren scheint. Stärker als gewohnt werden textlich autobiographische Sichtweisen eingenommen, die Wut kehrt sich deshalb auch phasenweise in unterschwellige Traurigkeit.
Wie aber kann Wut sich derart konkretisieren, wenn sie gleichzeitig Teil eines Massenspektakels ist? Bei Rock am Ring spielen K.I.Z vor 50 000 Menschen, die ganz sicher zum Großteil nicht wegen einer kathartischen Lossagung von den Zwängen des Kapitalismus jubeln. Ebensowenig kommen am Weltfrauentag 1 500 als Frauen verkleidete Männer ins Astra Berlin (die diesjährige Variante des traditionellen K.I.Z-Konzerts für ein ausschließlich weibliches Publikum), um ihre Unzufriedenheit mit der eigenen Heteronormativität zu bearbeiten. Hier wird kein Wissen einer politischen Subkultur geteilt und bestätigt, eher schon konfrontiert die Band ihr Publikum mit Partykrachern, in deren Vieldeutigkeit sich jeder selbst zurechtfinden muss.
Im Astra spielten K.I.Z, wenn auch noch nicht die gut gehüteten neuen Stücke, zumindest »Ich bin Adolf Hitler« vom Mixtape »Ganz Oben« (2013) erstmals live. In Referenz auf die in der amerikanischen HipHop-Kultur bekannte Form solcher Bekenntnisse thematisieren K.I.Z in dem Song den fortwährenden Personenkult in der Diskussion über den Faschismus. Guido Knopps Erzählungen über Hitlers Hunde lassen ebenso grüßen wie die alte Mär von ein paar fehlgeleiteten Einzelpersonen.
Ein komplexer Text, der sich aber nicht zuletzt auch hervorragend im Sinne seines Titels mitgrölen lässt. Tarek sagt über den Abend im Astra: »Es war so ein absurder Auftritt: Alle diese ›starken, selbstbewussten Frauen‹, die ›Ich bin Adolf Hitler‹ schreien. Bei dem Rock-am-Ring-Konzert gab es dann im Anschluss noch Sprechchöre: ›Nazis raus! Nazis raus!‹ Um sich zu bekräftigen. Wie der Kirchenbesuch nach dem Puff.«
Diese Absurdität wird von der Band nicht als unangenehmer Nebeneffekt in Kauf genommen, sie wird genossen und aufrechterhalten. Dabei gibt es ein überraschendes und ermutigendes Vertrauen in die Konzertbesucher, das vielleicht in der Zeit der ersten Alben gewachsen ist. Damals mussten K.I.Z sich mit dem Jugendschutz und einer drohenden Zensur aus­einandersetzen. »Wir freuen uns einfach, wenn die Leute unseren blöden Witz mitmachen«, sagt Niko.
In dieser Haltung liegt ein grundlegender Unterschied zu den mittlerweile bis in die Tautologie diskutierten Strategien performativer Künste, mit ihrer Warenförmigkeit umzugehen. K.I.Z führen ihrem Publikum das bekannte Dilemma nicht als intellektuelle Pointe vor, wählen auch nicht den gängigen Weg, darüber aufzuklären, um letztlich doch nur die eigene künstlerische Souveränität zu sichern. Sie geben sich ihrer Warenförmigkeit hin, inszenieren sich auf Konzerten als Stars der Kulturindus­trie, die sich nur für affektive Projektionen, nicht aber für politische Allianzen eignen. »Es macht Spaß, eine Hymne auf sich zu schreiben. Es ist der Inbegriff von Werbung, man kann überall ästhetisch anknüpfen. Natürlich sind Leute dabei, die würden auch kommen ohne die Musik. Außerdem gibt es auch unter den Linken Mitläufer«, sagt Tarek.
Wer anerkennt, dass seine Kunst eventuell bedeutungslos sein könnte, braucht nicht ständig das politische Konzept zu modifizieren. Im Diskurs der Gegenwartskünste gilt weiterhin der Anspruch der Nicht-Konsumierbarkeit der eigenen ästhetischen Produkte. »Uns könnt ihr nicht haben«, heißt es immer wieder. In der Folge wird das Politische als Struktur von Kunst formalisiert. Die konkrete inhaltliche Kritik wird so aus dem Spektrum möglicher Äußerungsweisen verbannt, weil sie sich mit der bestehenden Logik der Verhältnisse als lediglich Anmerkung zu dieser gemein zu machen droht. Für »Hurra, die Welt geht unter« bleibt demgegenüber die Beschreibung der Wirklichkeit und die an dieser erlebten Aggression als ein integraler Teil der widerspruchsvollen Produktionsverhältnisse erhalten.
So kann durchaus Ernsthaftigkeit gegenüber den Themen des Albums bestehen bleiben, die sich nicht durch die Inszenierung, die Blödheit des Witzes und seine exzessive Feier aufhebt. Die gesellschaftskritischen Anliegen zeigen sich als dringlich, gerade weil sie in einem Kontext der Verwertung stehen, jenseits von dessen idealistischer Bereinigung im Kunstverständnis. Dieses Spannungsverhältnis aufrechtzuerhalten, könnte die große Stärke von »Hurra, die Welt geht unter« werden – vor ­allem dann, wenn die Songs mit ihrer deutlich düsteren musikalischen Grundierung gemeinsam mit schranzigeren Stücken auf der Bühne gespielt werden. Nico dazu: »Ich denke mal, das wird der Party nicht den Drive nehmen.«
Ein jetzt schon sehenswertes Beispiel dessen liefert das Video zur ersten Singleauskoppelung »Boom Boom Boom«, das von der Welt und Noisey wegen seiner militärischen Ikonographie bereits hinlänglich als etwaiger Aufruf zum Terrorismus diskutiert wurde. Die Uni­formen aus den Werbevideos zur Ankündigung des neuen Albums finden hier erneut Verwendung, wenn die Band sich mal als Stadtguerilla der siebziger Jahre, als Söldner gegenwärtiger Kriege im Nahen Osten oder als Mitglieder des Ku-Klux-Klans verkleidet. Als doppeltes Zitat sowohl der täglichen Angstszenarien der Berichterstattung wie auch der eigenen musikgeschäftlichen Strategien brechen die Bilder mit der selbstbewussten politisches Setzung des Textes, demzufolge ein großes Erschießungskommando für all die rassistischen Patrioten und freiwilligen Untertanen des Kapitals fällig wäre.
Sie zeigen diesen Anspruch als Geste, die sich in ihrem ewigen Wiederholungscharakter sinnentleert. Die eigene politische Sprecherposition ist nicht sauber, nicht als das Andere der umfänglichen kapitalistischen Logik zu halten und der einfach nur gerechte Kampf nicht zu haben. Was das Video dabei aber in keinem Moment untergräbt, ist das Bedürfnis nach einer radikalen Veränderung, die sich nicht in die bestehenden Verhältnisse integrieren ließe. Ein Bedürfnis, das sich nicht als melancholischer Traum, sondern als harte Konfronta­tion mit einer unerträglichen Wirklichkeit voller Stumpfsinn und Zweckrationalität äußert. So verstanden ist der Song alles andere als harmlos, er ist nicht ironisch im Sinne einer innerer Distanzname von seiner Dringlichkeit: »Ihr Pa-pa-pa-partypatrioten/seid nur weniger konsequent als diese Hakenkreuzidioten/die gehen wenigstens noch selber ein paar Ausländer töten/anstatt jemand zu bezahl’n um sie vom Schlauchboot zu treten«.

K.I.Z: Hurra, die Welt geht unter (Vertigo Berlin/­Universal Music)