NSU-Prozess: Sturm, Stahl und Heer müssen bleiben

Heer, Sturm, Stahl, hiergeblieben!

Nach mehr als zwei Jahren beantragen Beate Zschäpes Anwälte Wolfgang Heer, Anja Sturm und Wolfgang Stahl im Münchner NSU-Prozess, ihre Bestellung zu Pflichtverteidigern aufzuheben.

Am Montag dieser Woche, zu Beginn des 219. Verhandlungstags des Münchner NSU-Prozesses, will Richter Manfred Götzl gerade den ersten Zeugen aufrufen, da meldet sich Wolfgang Heer, einer der Pflichtverteidiger von Beate Zschäpe, zu Wort. »Ich habe mir diesen Schritt reiflich überlegt«, betont er gleich zu Anfang seiner Wortmeldung und beantragt dann, seine Bestellung zum Pflichtverteidiger aufzuheben. Dies sei nicht nur sein Wunsch, sondern gelte auch für seine beiden Kollegen, Wolfgang Stahl und Anja Sturm. Alle drei wollen Beate Zschäpe nicht mehr verteidigen. Man sei sich zwar bewusst, so Heer, dass der Antrag das Verfahren gefährde, und habe sich das Vorgehen »reiflich« überlegt. Aber eine optimale Verteidigung sei unter den »gegenwärtigen Bedingungen nicht mehr möglich«. Mehr könne er aufgrund der »anwaltlichen Verschwiegenheitspflicht« nicht mitteilen.
Dem Vorsitzenden Richter Manfred Götzl wirft Heer derweil vor, es mit der Wahrheit nicht so genau zu nehmen. Unwahr sei die Aussage Götzls, dass Sturm, Heer und Stahl bezüglich der Bestellung eines vierten Pflichtverteidigers (PV) Skepsis geäußert hätten, weil dadurch das »Binnenverhältnis« zwischen den Verteidigern und der Angeklagten Zschäpe geschwächt werden könne. Heer sagt am Montag: »Ich habe zu keinem Zeitpunkt einen vierten PV abgelehnt.« Als Beweis fordert er vom Vorsitzenden Richter die Zusammenfassung der Anwaltsgespräche schriftlich abzufassen und zur Einsicht zur Verfügung zu stellen. Heer sagt, er habe Götzl mehrfach gewarnt. Doch dies sei umsonst gewesen. Die Warnungen habe der Vorsitzende Richter »in den Wind geschlagen«. Konkreteres, etwa wovor er ihn gewarnt haben will, sagt er nicht. Heer weigert sich, auch auf ausdrücklichen Hinweis, dass diese Gespräche nicht der Schweigepflicht unterliegen können, diesen kryptischen Vorwurf in irgendeiner Form zu erläutern.

Danach meldet sich Wolfgang Stahl, der zweite Pflichtverteidiger, und schließt sich den Ausführungen Heers an. Er sagt, das Problem sei erst an diesem Morgen »virulent geworden«. Zu guter Letzt bestätigt die dritte Pflichtverteidigerin, Anja Sturm, dass auch sie nicht mehr will: »Die Gründe sind Frau Zschäpe bekannt.« Beate Zschäpe, so berichten Prozessbeobachter, wirkt auf einmal sehr gelöst. »Es scheint fast, sie lächle«, schreibt die Zeit. Über ihren neuen Pflichtvertei­diger teilt sie am Montagmorgen mit, dass sie dem Antrag ihrer drei bisherigen Verteidiger nicht entgegentreten werde.
Erst vor einigen Wochen hatte Beate Zschäpe vergeblich versucht, Anja Sturm von ihrem Pflichtmandat zu entbinden. In ihrem Schreiben an das Gericht behauptete sie, dass ihre Anwälte mit der niederlegung des Mandats gedroht hätten, falls Zschäpe ihre Strategie ändern und eine Aussage zu einzelnen Vorwürfen machen sollte. Ihre Anwälte bestritten die Vorwürfe vehement, und als Kompromiss wurde Anfang Juli der Münchner Anwalt Mathias Grasel als vierter Pflichtverteidiger benannt. Bereits im vorigen Jahr wollte die Hauptangeklagte ihre drei Pflichtverteidiger loswerden. Das Vertrauensverhältnis sei zerrüttet, ließ Zschäpe damals verlautbaren.
Die damalige Antwort der drei Anwälte auf die Vorwürfe ihrer Mandantin zielt das Gericht nun zur Begründung heran, um den Antrag zur Enthebung abzulehnen. Die Sprecherin des Oberlandesgerichts München verweist darauf, dass Heer, Stahl und Sturm vor einem Jahr die Hinweise Zschäpes auf einen Vertrauensbruch als unbegründet zurückgewiesen hatten. Außerdem sei für eine Entpflichtung auch dann eine detaillierte Begründung notwendig, wenn die Verteidiger einen solchen Antrag stellen.
Nachdem der Antrag zur Entpflichtung gestellt ist, verliest der Vorsitzende Richter Götzl einen Brief von Beate Zschäpe. Die Angeklagte fordert darin eine Änderung der Sitzordnung auf der Anklagebank. Sie wolle mit ihrem neuen Pflichtverteidiger vorn in der Nähe der Richterbank sitzen, gefolgt von den alten Anwälten. Verteidiger Heer lehnt jedoch ab: »Ich werde meinen Platz nicht räumen.« Oberstaatsanwalt Jochen Weingarten drückt sein Bedauern aus, »sich unter erwachsenen Menschen mit der Frage der Sitzordnung befassen zu müssen«.
Nach der Mittagspause berichtet der Vorsitzende Richter Götzl, dass die drei Pflichtverteidiger ihm gegenüber geäußert hätten, zu dritt der Mandantin noch »Grenzen setzen« zu können. Nun, so hätten sie gesagt, sei dies nicht mehr möglich, sie befürchteten, die Beiordnung eines vierten Verteidigers könnte Zschäpe zu weiteren Entpflichtungsanträgen animieren.
Noch am Montagabend bezeichnen in ihrem Blog »Nebenklage NSU-Prozess« die zwei Anwälte der Nebenklage, Björn Elberling und Alexander Hoffmann, »solche Hinterzimmergespräche« als einen »Verstoß gegen die anwaltliche Schweigepflicht«. Auch der neue Pflichtverteidiger wies noch während der Prozesses darauf hin, dass seine Mandantin nichts von den Gesprächen zwischen dem Gericht und den drei alten Verteidigern gewusst habe. Dass über ihre angebliche Aussagebereitschaft gesprochen worden sei, habe bei Zschäpe »naturgemäß zu Befremden« geführt.

Es sei »unwürdig«, schreiben Eberling und Hoffmann, dass die »Befindlichkeiten« Zschäpes wieder einmal zu einer Verzögerung des Prozesses führen. Vor allem ihr Wunsch, so platziert zu werden, dass sie »der Presse« nicht das Gesicht zuwenden muss, wenn sie sich mit Grasel bespricht, stößt auf großes Unverständnis. Elberling und Hoffmann schreiben, der Antrag auf Entpflichtung ziele möglicherweise darauf, »nach dem unwürdigen Schauspiel über den Entbindungsantrag Zschäpes wenigstens das noch verbleibende Ansehen von Heer, Stahl und Sturm zu retten«. Aus ihrer Sicht ist klar, »dass alle drei alles getan haben, damit ihr Antrag keinen Erfolg haben kann«. Das Verhalten von Wolfgang Heer halten sie für zumindest »widersprüchlich«. Nach Ansicht der beiden Nebenklageanwälte ­bestehe trotzdem »derzeit keinerlei Grund zu der Befürchtung, der Prozess könne ›platzen‹«.
Den Spekulationen, Beate Zschä­pe werde möglicherweise doch noch aussagen, hat dieser Gerichtstag hingegen wieder Auftrieb gegeben. »Ob nun eine Aussage von Zschäpe unmittelbar bevorsteht, ist Spekulation bis hin zum Wunschdenken. Doch noch nie zuvor waren die Hinweise darauf so verdichtet wie in diesen Tagen«, schreibt Tom Sundermann in der Zeit. Er vermutet hinter dem Manöver am Montag, dass die drei Pflichtverteidiger ihre »Verteidigungsarbeit aus 219 Prozesstagen« retten wollen. »Sollte die Angeklagte tatsächlich aussagen«, so Sundermann, »wäre jeder bisher von der Verteidigung gestreute Zweifel, jeder Widerspruch in den Zeugenbefragungen vergessen und nutzlos.«
Am Dienstag setzt sich Zschäpe mit ihrem Antrag auf Änderung der Sitzordnung durch. Später wird der Prozess einmal mehr unterbrochen – diesmal hat die Angeklagte beantragt, ihren Pflichtverteidiger Wolfgang Heer zu entlassen.