Martin Sonneborn im Gespräch über die EU

»Wir stehen für moderne Turbopolitik«

Die Partei für Arbeit, Rechtsstaat, Tierschutz, Elitenförderung und basisdemokratische Initiative (Die PARTEI) ist seit 2014 im Europäischen Parlament vertreten. Die Jungle World sprach mit dem ­Vorsitzenden Martin Sonneborn über Demokratie, Europa und Altersheimreife.

Seit einem Jahr sind Sie Mitglied des Europaparlaments. Macht ihnen der Job noch Spaß? Es gibt natürlich spaßige Momente, wenn zum Beispiel mein Nachbar Korwin-Mikke im Parlament den Arm zum Deutschen Gruß hebt und »Ein Volk, ein Reich, ein Ticket!« ruft, wenn Par­lamentspräsident Chulz mit ausgesprochen windigen Mitteln eine TTIP-Abstimmung verhindert, in der die einzelnen SPD-Abgeordneten Farbe bekennen müssten. Oder wenn der 150 Kilogramm schwere CDU-Abgeordnete Elmar Brocken einen Wutanfall bekommt. Vorige Woche kam es am Rande der Griechenland-Debatte zu einem kleinen Skandal, als der belgische Abgeordnete Guy Verhofstadt laut wurde und den anwesenden griechischenMinisterpräsidenten Alexis Tsipras anschrie. Ist so ein Spektakel nicht eine willkommene Abwechslung im drögen Sitzungsalltag? Ich mag es nicht, wenn Liberale sich echauffieren. Der Kollege Verhofstadt war meines Erachtens aber zu Recht aufgebracht, weil er finan­ziell an den Privatisierungen in Griechenland und dem Ausnehmen des Landes beteiligt ist. Und wer sieht schon gern seine Profite gefährdet? Können Sie nachvollziehen, weshalb so viele Ihrer Kollegen schlecht auf die Griechen zu sprechen sind? Die konservative Mehrheit im Parlament mag es nicht, wenn man mit linken Regierungen verhandeln muss. Außerdem sperrte sich Griechenland gegen die anstehende weitere neoliberale Umformung Europas. Und die SPD leidet daran, dass sie den konservativen Kurs – aus Angst und zum Teil wider besseres Wissen – mitträgt. Hat Deutschland gegen Griechenland geputscht? Nein, das ist einfach der Siegeszug einer neoliberalen Weltsicht, die ausblendet, dass es andere Möglichkeiten gibt, Ökonomie und Gesellschaft zu organisieren, menschenfreundlichere. Während ganz Europa die unnachgiebige Linie der Bundesregierung gegenüber Griechenland kritisiert, wird die CDU von den Deutschen mehr denn je geliebt. Ist das deutscher Nationalismus oder bloß Heuchelei? Ich fürchte, eine solide Mehrheit der Wähler in Deutschland besteht aus Spiegel-Forum-Kommentarschreibern, Bild-Zeitungslesern, und Pegida-Sympathisanten. Deswegen wollen wir ja die Macht übernehmen und das System geringfügig umformen. In Deutschland haben linke Gruppen zu Solidaritätsdemonstrationen für Griechenland und einem »Nein« im Referendum aufgerufen. Hat sich »Die PARTEI« daran beteiligt? Nein. Das ist nicht unsere Art. Wir stehen für moderne Turbopolitik. Bei PARTEI-Demonstrationen sorgt K.I.Z für musikalische Untermalung, wie am Donnerstag voriger Woche in Berlin zu sehen war. Ihre Sitznachbarin im Parlament, Frau Le Pen, hat sich ja über das Ergebnis des griechischen Referendums gefreut. Sie nannte es eine »Lektion der Demokratie«. Dürfen die europäischen Rechten nun die »Rückkehr der Völker« feiern? Das wird die Zukunft zeigen. Ich fand es auffällig, dass die fundierteste Kritik an TTIP und Griechenland-Kurs im EU-Parlament von links- und rechtsaußen kam. Welche Hoffnung verbinden Sie mit der griechischen Regierung? Dass sie die harten Zeiten irgendwie übersteht. Schon um Schäuble zu ärgern! Ich hoffe, dass er langsam altersheimreif wird. In einer entsprechenden Einrichtung in die Ecke gerollt, den Blick auf die Wand gerichtet – es wäre eine Erlösung für viele Europäer. Sie sind angetreten, die EU umzukrempeln. Wie weit sind sie mit ihrem Vorhaben? Ich habe gesagt, ich will die EU umkrempeln und ein Kerneuropa mit 27 Satellitenstaaten schaffen. Und da liegen wir voll auf Kurs! Die europäische Krise ist ja nicht nur eine Finanzkrise, sondern auch eine Sinnkrise. Nimmt ihr Parteiprogramm mit der Forderung »Ja zu Europa, nein zu Europa!« diese Dialektik bewusst auf? Ja und nein. Beziehungsweise. Selbstverständlich.