Das Betreuungsgeld wird bleiben

Kohle statt Kita

Trotz des Bundesverfassungsgerichtsurteils wird das Betreuungsgeld wohl in etlichen Bundesländern überleben. Für die CSU ist das ein Sieg.

Für den bayerischen Ministerpräsidenten Horst Seehofer (CSU) war die vorletzte Juliwoche nur auf den ersten Blick keine gute. Das Bundesverfassungsgericht hat das von ihm vorangetrie­bene Betreuungsgeld für Eltern von Kleinkindern kassiert. Doch die Regelung wird wohl in etlichen Bundesländern überleben. Und so kann Seehofer trotz der Niederlage in Karlsruhe im konservativen Lager einen Sieg verbuchen.
Das Betreuungsgeld war eines der zentralen Projekte der CSU in der schwarz-gelben Regierung. Es wurde im August 2013 gleichzeitig mit dem Rechtsanspruch auf einen Kitaplatz für ­unter Dreijährige eingeführt. Wer den nicht in Anspruch nahm, bekam bislang 150 Euro im Monat. Auf den Weg gebracht wurde die Sozialleistung von der damaligen antifeministischen Bundesfamilienministerin Kristina Schröder (CDU), die begeistert dafür warb – die aber keineswegs die frauenpolitischen Positionen der Christdemokraten und Christdemokratinnen repräsentierte.
SPD, Grüne und Linkspartei lehnten und lehnen die Zahlung für die individuelle Kleinkindbetreuung kategorisch ab. Sie halten es für falsch, den Nachwuchs systematisch von frühkindlicher Bildung fernzuhalten. Anspruch haben zwar Männer und Frauen auf die Leistung, tatsächlich wird sie aber fast nur von Müttern beantragt. Das ist auch Sinn der Sache: Für Erzkonservative wie Seehofer und Schröder ist das Betreuungsgeld ein hervorragendes Instrument für ihren Abwehrkampf gegen eine zeitgemäße oder gar emanzipatorische Frauen- und Familienpolitik. Dass das Betreuungsgeld mittlerweile von fast einer halben Millionen Menschen bezogen wird, ist für die Befürworter ein vermeintlich schlagendes Argument dafür, dass viele Mütter die Kinderbetreuung der Berufstätigkeit vorziehen. Doch von Wahlfreiheit zwischen Kinderzimmer und Beruf, von der die Anhänger der 150-Euro-Zahlung gerne reden, kann überhaupt keine Rede sein. Studien wie die der Technischen Universität Dortmund und des Deutschen Jugendinstituts München haben nachgewiesen, dass der überwiegende Teil der Bezieherinnen sich aus materieller Not für das Geld und gegen die Kita entscheidet.
Obwohl kategorisch dagegen, bestand die SPD nach der Bundestagswahl 2013 bei den Koalitionsverhandlungen mit der Union nicht auf der Abschaffung des Betreuungsgeldes. Stattdessen wartete sie darauf, dass das Bundesverfassungsgericht der Klage des SPD-regierten Hamburg folgen und die Hausbetreuungsprämie kassieren würde. Dass sie sich gegen die politische und für die juristische Auseinandersetzung entschieden hat, rächt sich jetzt – auch wenn Hamburg die Klage gewonnen hat. Der Stadtstaat hatte nicht gegen die »Herdprämie« und damit nicht gegen den reaktionären Geist des Betreuungsgeldgesetzes geklagt. Stattdessen ging es vor Gericht um Formalien. Die Verfassungsrichter befanden, dass der Bund nicht zuständig für das Betreuungsgeld sei und es deshalb nicht mehr an Eltern zahlen dürfe, die künftig einen Antrag stellen. Eltern, die die Prämie bereits beziehen, bekommen es für den bewilligten Zeitraum. »Das Betreuungsgeld ist der falsche Weg und hat keine Zukunft«, kommentierte Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig (SPD) das Urteil verhalten.

Das ist Wunschdenken. Der ideologische Kampf um das Betreuungsgeld ist mit dem Urteil nicht zu Ende, sondern wird auf anderer Ebene fortgeführt. »Wir werden in jedem Fall ein Betreuungsgeld ›bayerischer Art‹ für ›unsere‹ Eltern auf den Weg bringen«, erklärte die Vorsitzende der CSU-Familienkommission und Landtagsabgeordnete Kerstin Schreyer-Stäblein. Mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts ändere sich nur die Zuständigkeit. »Das Anliegen bleibt aber weiterhin bestehen«, betonte sie. Für Seehofer ist das Betreuungsgeld ein »Markenkern bayerischer Familienpolitik«. Durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts werden rund 900 Millionen Euro im Bundeshaushalt frei. Was damit geschieht, entscheidet die Bundesregierung im September. Landespolitiker wie der niedersächsische SPD-Ministerpräsident Stephan Weil, Sachsens CDU-Sozialministerin Barbara Klepsch und Politiker aus anderen Regionen fordern, dass das Geld an die Länder verteilt wird. Damit könnte etwa in Niedersachsen der Kita-Ausbau vorangetrieben und in Sachsen und anderswo das Betreuungsgeld weitergezahlt werden.
Ursprünglich hatte die CDU – abgesehen von den Erzkonservativen um Kristina Schröder – dem Betreuungsgeld nur widerstrebend zugestimmt. Nach dem Urteil aus Karlsruhe hat sich die Stimmung gewandelt. Saarlands CDU-Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer will das Betreuungsgeld beibehalten, obwohl sie einst dagegen war. In Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz will die Union mit Varianten des Betreuungsgeldes in die Wahlkämpfe 2016 ziehen. Die rheinland-pfälzische CDU-Landesvorsitzende Julia Klöckner etwa fordert eine »Landesfamilienprämie«. Horst Seehofer wird das mit großer Genugtuung zur Kenntnis genommen haben.