Rassistische Hetze im Netz

Online-Stürmer auf Facebook

Gruselige Geschichten von Kindesentführern, Brunnenvergiftern und Menschenhändlern bedienen sich uralter Stereotype zur Verleumdung und Dämonisierung. Im Internet verbreiten sich diese rassistischen Anekdoten besonders über einschlägige Facebook-Gruppen.

In seiner 1962 veröffentlichten Kurzgeschichte »Das Judenauto« erzählt Franz Fühmann nicht nur davon, wie leicht Kinder Vorurteile adaptieren, sondern nimmt auch vieles von dem vorweg, was sich heute in rassistischen Facebook-Gruppen abspielt. Der Protagonist, ein neunjähriger Junge, hört von einer Klassenkameradin, dass Juden in einem gelben Auto herumführen und Kinder jagten. Das passt zu dem, was er von den Erwachsenen schon öfter über Juden gehört hat, und deswegen reagiert er panisch, als er am nächsten Tag auf dem Schulweg ein großes Auto sieht. Den Klassenkameraden erzählt er anschließend, wie messerschwingende Juden ihn mit diesem Auto verfolgten und er ihnen mit knapper Not entkam. Er ist mit seinen Schilderungen kurz der ganz große Star – bis die neue Mitschülerin, für die er schwärmt, lacht und sagt, dass es sich um den im übrigen nicht gelben Wagen ihres Vaters gehandelt habe und man ihn eigentlich zur Mitfahrt einladen wollte, er aber weggelaufen sei. Die Reaktion des zum Gespött gewordenen Jungen ist dann nicht nur typisch für seine Zeit, sondern auch für diejenigen, die sich in oben erwähnten Facebook-Gruppen ihre Vorurteile nicht durch schnöde Fakten kaputtmachen lassen wollen: »Und plötzlich wusste ich: Sie waren daran schuld!«, heißt es am Ende. »Juden!«
Aus Fühmanns gelbem Judenauto ist heute ein weißer Transporter geworden, der als Hoax mit Rädern durch meist lokale Hassgruppen unterwegs ist, als Unterhaltung, wenn die Aufregung über das lokale Asylbewerberheim zu verebben droht: Ausländer oder Asylbewerber sollen laut gern verbreiteten Warnungen darin sitzen und entweder Kinder entführen, Katzen fangen oder, in einer ganz neuen Version, aus welchen Gründen auch immer, Briefkästen klauen. Dazu wird oft ein Foto eines weißen Lieferwagens mit ausländischen Kennzeichen gepostet – und schon ist in den Gruppen die Aufregung groß, natürlich ohne auch nur eine Sekunde darüber nachzudenken, dass die ganze Geschichte stinkt, denn: Die, ach Quatsch: Die! klauen unsere! Briefkästen und die da oben machen nix!

Was einfach wie ein weiteres Knalltüten-Posting klingt, hat in Wirklichkeit Methode. Mit aufgeregten Warnungen sollen vor allem Eltern verunsichert werden. Dabei machen sich die Verbreiter dieser alarmistischen Texte zunutze, dass die meisten Internetnutzer auf Buzzwords reagieren, ohne auch nur eine Sekunde Meldungen gegenzuchecken. Und so macht bis heute eine Story die Runde, die vermutlich aus Ostdeutschland stammt und davor warnt, dass »Zigeuner« bei H & M ein Kind in einer Umkleidekabine gefangen, betäubt, umgezogen und ihm die Haare abrasiert hätten. Zum Glück habe »die Mutti« es noch rechtzeitig entdeckt und so verhindert, dass es »zum Organhandel verurteilt« wurde. 2014 war diese Story, wie die auf Facebook-Fakes spe­zialisierte Seite Mimikama.at berichtete, bis Gütersloh gekommen und dort derart massenhaft verbreitet worden, dass die örtliche Polizei sich schließlich gezwungen sah, eine Meldung mit dem Titel »Angeblich entführtes Kind – Räuberpistole entbehrt jeglicher Grundlage« herauszugeben.
Ob diese Information diejenigen erreicht, die unter solche Meldungen auf Facebook derbe, rassistische Kommentare posten, ist sehr fraglich – im Zweifel wird sie eher als Bestätigung gesehen, dass »da doch was dran« ist, denn Menschen, die in Hassgruppen pausenlos mit Nachrichten darüber, was »die da oben uns verschweigen«, befeuert werden, glauben der Lügenpresse und staatlichen Stellen vermutlich ohnehin nichts mehr.
Und so verbreitet sich auch eine ganz neue, besonders abgefeimte Hoax-Meldung wie rasend in den Gruppen, in denen »besorgte Bürger« ja »bloß gegen Asylbewerberheime« sind und dies keinesfalls aus rassistischen Gründen. Das von Mimikama »Findermeldungen« genannte Genre arbeitet mit gefälschten Fotos, die in aller Regel schwarze Menschen zeigen (und die natürlich aus dem Zusammenhang gerissen und mit neuem Text versehen wurden). Darunter stehen Schlagzeilen wie »Flüchtling aus Mali findet verlorenen Koffer einer deutschen Rentnerin« oder »Flüchtling aus Syrien findet 50 Euro und übergiebt (sic) sie feierlich dem Rathaus«, plus Schilderungen, wie der ehrliche Finder das jeweilige Fundstück zurückgab. Diese Findermeldungen sollen angeblich in Zeitungen erschienen und damit Teil einer staatlichen Imagekampagne für Asylbewerber sein. Dass sie inhaltlich fehlerhaft sind, ist Teil des Konzepts: Leser sollen genau diese Fehler – also zum Beispiel eine im Text genannte Straße, die vor Ort gar nicht existiert – finden und sich empören, wie plump »die Lügenpresse« fälsche. Dass die Bilder in Wirklichkeit aus Zeitungen geklaut und in einen völlig anderen Zusammenhang gestellt wurden – der junge Mann aus Syrien war dem Original-Zeitungsartikel zufolge von einem Busfahrer nicht mitgenommen wurden, weil er nur einen Fünfziger dabei hatte, und verpasste deswegen einen wichtigen Termin beim Jobcenter – hat Methode. Die Richtigstellungen der betroffenen Medien liest niemand, der in einer Hassgruppe aktiv ist, und so sind die anonymen Fälscher auf der sicheren Seite. Sie können weiter daran arbeiten, Hass zu verbreiten, unbedarfte Menschen zu verunsichern und diejenigen, die ihren Pamphleten Fakten gegenüberstellen, zu diskreditieren. Weil: Lügenpresse.