In der Zentralafrikanischen Republik begehen UN-Soldaten Verbrechen

Stabilisieren und verletzen

In der Zentralafrikanischen Republik stationierte Blauhelmsoldaten sollen Gewalt an der Zivilbevölkerung verübt haben. Der Chef der Mission wurde nun entlassen.

Es sind schwere Vorwürfe, die die Menschenrechtsorganisation Amnesty International (AI) gegen die in der Zentralafrikanischen Republik (ZAR) stationierte UN-Truppe erhebt: Laut einer Pressemitteilung von AI vom Dienstag vergangener Woche habe ein Polizeioffizier der Multidimensional Integrated Stabilization Mission (Minusca) ein Mädchen vergewaltigt. Außerdem hätten UN-Soldaten ohne Not einen Jungen und dessen Vater erschossen.
Am 2. August dieses Jahres war die Verhaftung eines Milizenführers in dem überwiegend von Muslimen bewohnten Stadtteil PK 5 in der Hauptstadt Bangui fehlgeschlagen. In Kämpfen zwischen UN-Einheiten aus Kamerun und Ruanda und den Milizen kam ein UN-Soldat ums Leben, neun weitere wurden verletzt. Während der Razzia habe sich ein zwölfjähriges Mädchen im Badezimmer ihres Hauses versteckt, wo sie von einem bisher unidentifizierten UN-Soldaten gefunden, herausgezerrt und ausgezogen worden sei. »Dann«, so zitiert AI das Mädchen, »warf er mich auf den Boden und legte sich auf mich.« Eine Krankenschwester fand bei einer späteren Untersuchung medizinische Belege dafür, dass die Erzählung der Betroffenen zutreffe.
Darüber hinaus beschuldigt die Menschenrechtsorganisation UN-Soldaten, tags darauf auf Zivilisten geschossen und dabei einen 16jährigen Jungen und seinen Vater getötet zu haben. Ein Nachbar, der den Vorgang beobachtet hat, sagte AI, die Soldaten hätten »auf alles, was sich bewegt hat, geschossen«. Jugendliche im Stadtteil PK 5 hatten Barrikaden gebaut, um zu verhindern, dass die Minusca-Truppen sich im Bezirk frei bewegten, und schossen auf die UN-Soldaten. Der Vater und sein Sohn seien allerdings in einer Feuerpause getötet worden.

Am Mittwoch nach der Veröffentlichung der Pressemitteilung reagierte der UN-Generalsekretär Ban Ki-moon auf die in seinen Worten »furchtbaren Verbrechen der sexuellen Gewalt« und entließ den Chef der Minusca, Babacar Gaye, einen General der senegalesischen Armee. Es waren nicht die ersten Vorwürfe dieser Art gegen UN-Soldaten in der ZAR. Wie ein Sprecher von Ban Ki-moon erklärte, wurde das UN-Personal seit seiner Stationierung im vergangenen Jahr elf Mal der sexuellen Nötigung und des Missbrauchs beschuldigt. Auch die im Land stationierten französischen Truppen haben sich Menschenrechtsgruppen zufolge seit Dezember 2014 während eines halben Jahres des Missbrauchs von Jungen in Bangui schuldig gemacht.
Es läuft problematisch für die UN in der ZAR. Minusca wurde im Juli des vergangenen Jahres vom UN-Sicherheitsrat mit der Aufgabe betraut, Zivilisten zu schützen in den Auseinandersetzungen zwischen den überwiegend muslimischen Séléka-Rebellen und ihren Gegnern, der christlich dominierten, Anti-Balaka genannten Koalition. Außerdem soll sie den Übergang zu einer zivilen Regierung unterstützen, die Wahrung der Menschenrechte überwachen und Demobilisierung und Reintegration der Milizen organisieren. Doch der Friedensprozess im Land scheint stillzustehen. Tausende vor dem Konflikt geflohene Menschen sind noch nicht in ihre Herkunftsorte zurückgekehrt und auf Seiten der Geberländer von Entwicklungshilfe ist ein stark abnehmendes Interesse am Konflikt zu verzeichnen, was auch die Finanzierung des Wiederaufbaus betrifft.
Im Zentrum des Landes, so berichteten die UN Anfang diesen Monats, kommt es immer wieder zu Auseinandersetzungen zwischen Séléka- und Anti-Balaka-Milizionären, während die ehemaligen Kämpfer der Séléka im Osten der ZAR eine »signifikante militärische Präsenz« hätten. Zudem operiert im südöstlichen Landesteil die Lord’s Resistance Army (LRA), eine Warlord-Gruppe, die es auf den Sturz der Regierung in Uganda abgesehen hat. Über 5 000 Menschen sollen 2014 in den Kämpfen ihr Leben verloren haben.

Die postkoloniale Geschichte der ZAR ist geprägt von Diktaturen, Putschen und Kriegen. 1965, fünf Jahre nach der Unabhängigkeit von Frankreich, putschte sich der Oberbefehlshaber der Armee, Jean-Bédel Bokassa, an die Macht. Er regierte das Land diktatorisch und lenkte nach der Auflösung des Parlaments und dem Verbot politischer Parteien die Geschicke der ZAR durch Erlasse. Seine Herrschaft nahm mit den Jahren immer bizarrere Formen an. 1976 erklärte er die Republik zur Monarchie und krönte sich selbst zum Kaiser. Erst nachdem sich Frankreich – bis dahin der wichtigste Partner des Diktators – nach Massakern an protestierenden Schülern von ihm distanzierte, konnte Bokassa 1979 durch einen Putsch vertrieben werden. Es folgten Jahrzehnte der Militärherrschaft. Auch in Zeiten der nominell zivilen Regierung hatten die Armee und ihre Kommandeure die Macht inne.
Die derzeitige Krise nahm ihren Anfang im Dezember 2012, als es den Séléka-Rebellen gelang, den Norden des Landes zu überrennen und im März 2013 die Macht in der Hauptstadt zu übernehmen. Doch aufgrund innen- und außenpolitischen Drucks trat der Rebellenführer Michel Djotodia im Januar des folgenden Jahres zurück und machte Platz für die Geschäftsfrau und ehemalige Bürgermeisterin von Bangui, Catherine Samba-Panza, als Übergangspräsidentin. Tausende Menschen hatten bis dahin in den Auseinandersetzungen zwischen Séléka und Anti-Balaka ihr Leben verloren. Durchweg richtete sich die Gewalt vor allem gegen Zivilisten, die verdächtigt wurden, aufgrund ihrer Konfession die Gegenseite zu unterstützen. Zeitweise befanden sich Militärangehörige dreier Eingreiftruppen im Land: eine Truppe der Afrikanischen Union, die im April 2014 den größten Teil der UN-Mission stellte; ungefähr 2 000 französische Soldaten, die vor allem die Hauptstadt Bangui und den Flughafen sichern sollten; sowie eine Eingreif­truppe der EU, die Ende März 2015 ihren Rückzug abschloss.

Die Milizen finanzieren sich unter anderem aus Geschäften mit europäischen und chinesischen Firmen. Im Juli veröffentlichte die NGO Global Witness einen Bericht darüber, wie Einnahmen aus dem Holzexport nach Europa den Krieg am Laufen hielten. Die Organisation schätzt, dass 2013 ungefähr 3,4 Millionen Euro als Schmiergeld, zum Passieren von Straßensperren, für bewaffnete Eskorten und den Schutz von Einschlagplätzen gezahlt wurden. Der Bericht stellte besonders die Aktivitäten der deutschen Firma Johann D. Voss, der französischen Tropica-Bois und dreier Händler heraus, die angeblich eine herausragende Rolle bei der Finanzierung der Rebellen gespielt haben. Wie die Deutsche Welle berichtet, sind Frankreich, Deutschland und China die größten Käufer von Holz aus der ZAR.
Im Oktober sollen in der ZAR unter der Aufsicht der Vereinten Nationen Wahlen zum Parlament und zur Präsidentschaft abgehalten werden. Doch Beobachter bezweifeln, dass dies unter den gegebenen Umständen sinnvoll ist: Die Demilitarisierung kommt nicht voran, Hunderttausende Menschen befinden sich im Exil und die Milizenführer weiterhin auf freiem Fuß.
Der Konflikt in der ZAR hat längst nicht mehr die Aufmerksamkeit der sogenannten Weltgemeinschaft. Nicht nur aufgrund der Vorwürfe des sexuellen Missbrauchs steht die UN-Mission nun vor schwierigen Aufgaben. Nötig sind vor allem eine wirksame Entwaffnung und Demobilisierung der Milizen, eine juristische Verfolgung der Kriegsverbrechen und die Wiedereingliederung der vielen Flüchtlinge innerhalb und außerhalb des Landes. Ein business as usual hätte nicht nur das Scheitern der internationalen Interventionen zur Folge, sondern vor allem fatale Konsequenzen für die Bewohner der ZAR.