Auf zum Fehlstart

Großbritannien beherbergt etwa 60 Millionen Menschen und kann auf eine reiche Tradition radikaler politischer Theorie und sozialer Kämpfe zurückblicken. Man sollte also meinen, dass es einer sich erneuernden Linken möglich sein müsste, dort einen Kandidaten für den Vorsitz der Labour Party zu finden, der eine sozialdemokratische Wirtschafts- und Sozialpolitik propagiert, ohne den Tod Ussama bin Ladens als »Tragödie« zu betrachten, sich mit Repräsentanten der Hamas zu verbrüdern und Putins Mythen über den Ukraine-Konflikt nachzuplappern. Aber man muss wohl anders an die Sache herangehen: Jede Fraktion der Linken bekommt die Repräsentanten, die sie verdient. Für die Labour Party heißt das im September, dass entweder überraschend jemand gewinnt, der die wirtschaftsliberale Politik und damit den Niedergang weiter vorantreibt, oder man sich unter Jeremy Corbyn auf einen anderen Weg des Niedergangs begibt.
Bedauerlicherweise handelt es sich bei der linken Sozialdemokratie, ob sie sich nun in einer traditionellen Partei wieder formiert oder eine neue gründet, um die mit Abstand größte Fraktion der Linken. Und das Problem ist nicht auf Großbritannien beschränkt, vergleichbare Ansichten werden unter anderem in der Linkspartei und bei Syriza vertreten. Reaktionäre außenpolitische Positionen wie die Corbyns sind nicht der harmlose Spleen ansonsten aufrechter Klassenkämpfer. »Die Internationale erkämpft das Menschenrecht«, sang man früher, oder in der englischen Version: »The Internationale unites the human race«. Ohne eine klare Haltung zum Islamismus und autoritären Herrschaftsmodellen à la Putin kann die Linke bestenfalls nationale Umverteilungspolitik betreiben, und selbst das ist fraglich, denn im globalisierten Kapitalismus dürfte auch Keynesianismus in einem Land umöglich sein. In europapolitischer Hinsicht hält Corbyn sich alle Optionen offen. Sahra Wagenknecht, zwar noch nicht Fraktionsvorsitzende, aber bereits mediale Repräsentantin der Linkspartei, will über »einen Plan B« und »Alternativen zur Einheitswährung« nachdenken, dieser Trend dürfte sich in den kommenden Jahren im linkssozialdemokratischen Mainstream durchsetzen. Wie sie die im Grundgesetz festgelegte »Schuldenbremse« ausbremsen, die Bundesbank unter Kontrolle bringen und andere Voraussetzungen für eine alternative Wirtschaftspolitik schaffen will, erläutert Wagenknecht nicht. Was bleibt, ist ein Europa der Vaterländer. Auch in anderen Fragen nähern sich außenpolitische Positionen des linkssozialdemokratischen Mainstreams denen der Rechtspopulisten, so ist nur noch umstritten, ob die USA die Massenflucht aus dem Nahen Osten verursacht haben oder gezielt als Waffe gegen Europa einsetzen. Der Neustart der europäischen Linken wird so von Anfang an zum Fehlstart.