Neonazis in Dortmund ändern ihre Strategie

Die PR-Nazis aus Dortmund

Drei Jahre nach dem Verbot des »Nationalen Widerstands Dortmund« ist die Stadt noch immer die Heimat einer der umtriebigsten Neonazi-Szenen in Westdeutschland. Doch die Nazis haben ihre Strategie geändert und fallen immer seltener durch Angriffe auf. Sie setzen auf mediale Provokationen und haben damit Erfolg.

Im August 2012 sprach das nordrhein-westfälische Innenministerium Verbote gegen mehrere neonazistische Kameradschaften aus, unter anderem gegen den »Nationalen Widerstand Dortmund« (NWDO). Was darauf folgte, ist schnell erzählt: Wenige Wochen nach dem Verbot trat ein Großteil der Kameraden in die kurz zuvor gegründete Partei »Die Rechte« ein. Als Kreisverband der Partei knüpften die Neonazis an ihre alten Aktivitäten an, reorganisierten ihre Strukturen und traten 2014 zu den Kommunalwahlen an. Am Wahlabend feierten die Nazis ihren Erfolg, einen Sitz im Rat errungen zu haben, mit einem Angriff auf das Rathaus. Linke sprachen danach vom Comeback des NWDO und befüchteten Angriffe, wie sie in der Zeit bis 2012 regelmäßig von den Nazis ausgingen. Doch weitere große Attacken blieben aus. Zu Bedrohungen und Aggression gegen tatsächliche und vermeintliche Linke und Antirassisten kommt es zwar noch immer. So gab es vor wenigen Monaten eine Attacke mit Stahlkugeln, die die Scheiben des Dortmunder Büros der Piratenpartei durchschlugen. Aber im Großen und Ganzen verzichten die Rechtsextremen derzeit aus taktischen Gründen auf Angriffe.

Die Strategie der Neonazis hat sich geändert. Gewalttätige Übergriffe sorgten für Strafverfahren und Prozesse. Diesem Ärger will man aus dem Weg gehen. Bei »Die Rechte« setzt man auf lokale Themen und medienwirksame Provokationen. Vom Januar an führten die Nazis wöchentlich mindestens eine Kundgebung gegen Flüchtlingsunterkünfte im Dortmunder Stadtgebiet durch. Jede Woche hetzten sie in einem anderen Vorort. Gelang es Antifaschisten in den ersten Monaten noch, in deutlicher Überzahl gegen die 30 bis 50 Nazis zu protestieren, flachte der Protest im Laufe der Zeit merklich ab. Im Juni waren die Gegendemonstrationen zahlenmäßig auf das Niveau der Nazis abgerutscht. Allerdings, und das ist der Unterschied zu Orten wie Freital oder Heidenau, blieben die Nazis in der Regel unter sich. Anwohner kamen nur vereinzelt bei den Rechten vorbei, äußerten auch ihre Zustimmung zu den Positionen der Neonazis, aber zählbaren Zulauf bekam die Partei durch diese Aktionen nicht.
Auch der Versuch, »Bürgerinitiativen gegen Asylmissbrauch« in den Stadtteilen zu gründen, scheiterte. Hierfür haben die Nazis diverse Facebook-Seiten gebastelt, die sich mit Flüchtlingsunterkünften in den jeweiligen Stadtteilen befassen. Die Inhalte für die Seiten liefert das professionell gestaltete Nachrichtenportal der Neonazis. Einige Hasskommentare von Stadtteilbewohnern finden sich zwar auf den Facebook-Seiten der »Initiativen«, es gelingt den Organisatoren allerdings nicht, den Hass der »besorgten Bürger« aus dem Netz auf die Straße zu tragen. Und so finden sich auch bei Kundgebungen der »Bürgerinitativen« nur die üblichen Verdächtigen aus der Dortmunder Neonaziszene ein. Die Kundgebungen in den Vororten und die vor allem auf Dortmunder Nachrichten ausgelegten Meldungen im Netz zeigen aber deutlich, dass die Nazis sich auf Lokalpolitik eingeschossen haben.

Weitaus erfolgreicher als mit ihrer Agitation gegen Flüchtlingsunterkünfte sind die Dortmunder Nazis mit der Inszenierung von Skandalen. Im November 2014 fragte »Die Rechte« im Stadtrat, wie viele Juden in Dortmund lebten und in welchen Stadtteilen. Dafür ernteten sie ein bundesweites Medienecho. Spätestens seitdem haben die Nazis verstanden, dass sie mit kleinen, öffentlichkeitswirksamen Aktionen die meiste Aufmerksamkeit erzielen. Ihr bevorzugtes Instrument dafür ist der rechte sogenannte »Stadtschutz«. Uniformiert mit einheitlichen gelben T-Shirts, die ein Dortmunder Gericht lediglich als mit einem Junggesellenabschied vergleichbar einstufte, ziehen kleine Gruppen von Nazis durch die Stadt, um für »Recht, Sicherheit und Ordnung« zu sorgen. Mit zwei Aktionen in den vergangenen Wochen haben die Neonazis es geschafft, sich erneut ins Rampenlicht zu katapultieren. Nachdem es mehrere Schlägereien in Dortmunder U-Bahnen gegeben hatte, patrouillierten die Rechten einen Nachmittag lang in den Nahverkehrszügen und fotografierten sich dabei. Der örtliche Verkehrsbetrieb war alamiert und wollte solche Aktionen nicht dulden. Durch die Medien ging ein Aufschrei. Noch erfolgreicher waren die Nazis mit dem Besuch eines Autobahnparkplatzes, der unter Schwulen als beliebter Treffpunkt gilt. In einem fünfminütigen Video zeigen die Nazis ihre Streife und wie sie im Umfeld des Parkplatzes Menschen ansprechen, um ihnen mitzuteilen, dass Sex in der Öffentlichkeit strafbar sei. Neben einem medialen Echo ernteten die Rechten dafür allerdings auch viel Spott und Drohungen aus der Schwulen-Community. Ein zweites Mal wurden die Nazis bislang nicht auf dem von ihnen so bezeichneten »Schwulenparkplatz« gesehen.
Die jüngste Provokation der Nazis war ein »Heidenau-Rabatt« in ihrem Online-Versand. Der vom »Die Rechte«-Stadtrat Michael Brück betriebene Handel bot für alle Besteller aus der Sächsischen Schweiz Rabatte an. Anti-Asyl-Aufkleber, Sturmhauben, Pfefferspray und Stahlkugeln für Zwillen, die »in keinem deutschen Haushalt fehlen sollten«, wurden angeboten. Die Provokation Brücks glückte: Am Tag nach der Ankündigung berichtete der Westdeutsche Rundfunk über die Rabattaktion.
Der Vorfall zeigt erneut: Die Dortmunder Nazis agieren geschickt. Nachdem sie von Stadtgesellschaft und Medien über Jahre heruntergespielt wurden, springen diese nun, um ihre Sensibilität für das Thema zu zeigen, über jedes Stöckchen, das die Nazis ihnen hinhalten. Meistens allerdings sind die Berichte von kurzatmiger Empörung geprägt. Eine echte Bereitschaft, gegen die Neonazis aktiv zu werden, fehlt in der Zivilgesellschaft meist. Kritische Stimmen halten die sozialdemokratisch geprägte Zivilgesellschaft für schlichtweg unfähig. So werfen antifaschistische Gruppen der SPD eine mangelnde inhaltliche Abgrenzung von rassistischen Positionen vor. Wenn zum Beispiel Oberbürgermeister Ullrich Sierau schnellere Abschiebungen fordere und behaupte, durch die migrantisch geprägte Nordstadt müsse man mit dem »Stahlbesen durchkehren«, übernähmen die Sozialdemokraten Positionen der Neonazis. Ein weiteres Problem ist, dass die diversen Gremien, die sich mit Neonazismus und Rassismus auseinandersetzen, von der SPD nur mit Mitgliedern aus der dritten und vierten Reihe besetzt werden, die in ihrer Partei nur geringen Einfluss haben.

Beim Fußball-Bundesligisten Borussia Dortmund hat sich die Situation mittlerweile geändert. Verein und Fans wurden über Jahre für ihre Duldung von Neonazis in der Fankurve kritisiert. Mittlerweile positioniert sich der Club allerdings deutlich gegen rechts. Auch bei den Fans hat eine Veränderung stattgefunden. Regelmäßig finden sich Spruchbänder gegen rechts und für Geflüchtete auf der Südtribühne. Nazis werden auch mal handfest von Spielen ausgeschlossen. Den Tummelplatz Bundesliga-Fußball mit seiner Fernsehpräsenz mussten die Dortmunder Nazis aufgeben. Verstärkt versuchen es die mit der Hooligan-Gruppe »Borussenfront« verbandelten Rechten nun bei der zweiten Mannschaft des Vereins in der viertklassigen Regionalliga.
Am kommenden Wochenende steht für die Dortmunder Nazis aber ein ganz anderes Auswärtsspiel an: Auf dem Gelände eines NPD-Mitglieds im sächsischen Neuensalz veranstalten die Rechten aus der Ruhrgebietsmetropole ein Rechtsrockkonzert. Szenegrößen wie die Lunikoff-Verschwörung und Uwocaust sollen auftreten. Das Konzert dient als Auftakt für die Mobilisierung zum »Tag der deutschen Zukunft«, der nach Stationen in mehreren Städten nächstes Jahr erstmals in Dortmund stattfinden soll. Außerdem werden die Dortmunder Nazis sich wohl einige Tipps bei den Kameraden aus Sachsen einholen, wie man rassistische Massenproteste initiiert.