Das Seitensprungportal Ashley Madison wurde gehackt

Der Mausarm in der patriarchalen Ökonomie

Es ist bekannt, dass es Probleme nach sich ziehen kann, wenn man seinen Partner betrügt. Dass allein der Gedanke an einen Seiten­sprung auf den Euro genau abgerechnet werden kann, ist jedoch neu. Jan Stich über das gehackte Portal Ashley Madison
Von

Das 2002 entstandene Onlineportal Ashley Madison wirbt damit, für Menschen in festen Partnerschaften auf diskrete Weise Seitensprünge zu organisieren. Diesen Service lässt man sich gut bezahlen, zwei bis vier Euro entrichtet die männliche Kundschaft für eine erste Kontaktnachricht. Chatten und Bildertauschen kostet dann mehr. Für Frauen sind alle Dienste der Seite kostenlos, denn Ashley Madison leidet unter einem gewissen Testosteron-Überschuss. Amtlich wirkende Prüfsiegel auf der Startseite des Portals versichern, dass Datensicherheit bei dem kanadischen Unternehmen großgeschrieben wird. Trotzdem muss es Lücken gegeben haben, denn der Hackergruppe The Impact Team ist es gelungen, sich die Daten von 37 Millionen Nutzern zu beschaffen.
Der moralische Eifer der Hacker ist überraschend. Menschen mit rabiaten Methoden zum vermeintlich richtigen Leben und Lieben zu erziehen, ist eher eine Angelegenheit von evangelikalen Homoheilern und iranischen Religionswächtern. Hacker waren solcher Neigungen bisher unverdächtig. Doch statt schnödem Mammon forderten die Hacker für die Rückgabe der Daten von Avid Life Media, den Betreibern der Seite, nur eines: Ashley Madison und das Schwesterportal Established Men sollten geschlossen werden. Da das Unternehmen diese Forderungen nicht erfüllte, machten die Hacker ihre Drohung wahr, und seitdem sind die Namen, Mailadressen, Kontonummern, die sexuellen Vorlieben und sonstigen Details von 37 Millionen potentiellen Fremdgängern im Internet einsehbar.
Die Konsequenzen dieser Veröffentlichung sind im Moment noch unüberschaubar. Für den Boulevard ist die Geschichte ein gefundenes Fressen, anscheinend habe fast jeder männliche US-Promi einen Account gehabt. Vergleichsweise glimpflich davon kommt wohl ein Münchener Familienvater, der anonym in der Süddeutschen Zeitung vom »größten Fehler seines Lebens berichtet« und fürchtet, dass ihn nun seine Frau verlassen wird. Bislang sind zwei Fälle von Suizid bekannt geworden, die offenbar in Zusammenhang mit dem Leak stehen. Fest steht: Wer die sensiblen Daten weiterverbreitet, kann mit wenigen Klicks einen gewaltigen Einfluss auf das Leben anderer Menschen nehmen.
Im Onlineforum Reddit berichtete ein junger Schwuler aus Saudi-Arabien, dass er nach dem Hack schnell das Land verlassen habe, weil Homosexualität mit dem Tod geahndet wird. Er habe während seines Studiums in den USA Ashley Madison genutzt, um sich mit Männern zu verabreden: »Ich wollte meine Verabredungen diskret halten und Ashley Madison versprach, Systeme zu haben, die meine Daten sichern.« Anscheinend ist ihm die Flucht in die USA gelungen, wo eine Anwaltskanzlei bei seinem Asylantrag hilft. Es wird den Mann, der nun um sein Leben fürchten muss, wohl kaum trösten, dass er vermutlich zu den wenigen Hundert Menschen gehört, die über Ashley Madison tatsächlich Sexualpartner finden konnten.
Die Bloggerin Annalee Newitz hat den Datensatz für das Technologieblog »Gizmodo« genauer untersucht. Dass es auf Ashley Madison einen Männerüberschuss gab, hat das Unternehmen selbst nie bestritten. In offiziellen Veröffentlichungen hieß es, die Seite habe einen Frauenanteil von etwa 30 Prozent. In den veröffentlichten Daten selbst stehen knapp 31 Millionen männliche Profile gerade mal 5,5 Millionen Frauen gegenüber. Sicher dürfte es unter diesen Männern einige Kunden geben, denen die Anzahl der weiblichen Nutzerinnen vollkommen egal war. Da die Werbung von Ashley ­Madison sich aber vor allem an heterosexuelle Männer richtete, dürfte der Anteil schwuler Kunden nicht allzu hoch sein.
Bei den 5,5 Millionen Accounts mit angeblich weiblichen Nutzern war nach Newitz’ Recherchen jedoch lediglich 1 492 mal das Postfach überhaupt geöffnet worden. Die hinterlegten IP- und Mailadressen vieler »Frauen« deuten darauf hin, dass die Profile reihenweise von Mitarbeitern von Ashley Madison erstellt worden sind. Bereits 2012 hatte eine ehemalige Mitarbeiterin das Unternehmen verklagt, weil sie beim Erstellen von 1 000 falschen Profilen angeblicher Brasilianerinnen einen Mausarm bekommen habe. Von den angeblich 5,5 Millionen Userinnen sind nach Newitz höchstens 12 000 als echt einzustufen.
Die Bloggerin vergleicht die Seite mit dem beliebten Facebookspiel »Farmville«. Statt ihr Geld für falsche Kuh-Upgrades zu verschwenden, haben die Männer bei Ashley Madison ihr Geld für falsche Frauen verschwendet. »Farmville verheimlicht einem wenigstens nicht, dass man sein Geld für eine Phantasie rauswirft«, so ihr Fazit. Ashley Madison dagegen warb explizit mit echten Affären und hatte sogar einen eigenen Tarif für »garantierte Affären«.
Für Science-Fiction-Fans dürfte das alles ­keine große Überraschung sein. Simulierte Frauen zur Befriedigung männlicher Lust sind ein Motiv, das so alt ist wie die Literatur selbst. Ovid berichtet in seinen »Metamorphosen« vom Künster Pygmalion, den sexuell zügellose Frauen zu einer Art Maskulinist avant la lettre werden ließen. Frustriert von den Frauen, schaffte er sich ein Wesen aus Elfenbein und dank des Liebeszaubers der Venus erwachte seine Elfenbeinfrau zum Leben und schenkte ihm sogar ein Kind – eine besonders skurrile Blüte männlicher Phantasien von einer heterosexuellen Autonomie, die ganz ohne Frauen auskommt. Populär ist die in unzähligen WG-Fluren hängende Maschinen-Maria aus Fritz Langs Science-Fiction-Epos »Metropolis«. In Ridley Scotts »Blade Runner« (1982) und in »Ex Machina« aus diesem Jahr sind künstliche Frauen vertreten. Immer sind da Männer aus Fleisch und Blut, die sich weibliche Geschöpfe erschaffen, weil echte Frauen ihnen zu anstrengend sind. Kein Wunder, dass sich solche Geschichten gut verkaufen, haben doch die jüngsten Debatten um die Hugo-Awards, den wichtigsten Preis für US-amerika­nische Science-Fiction-Autoren, gezeigt, was ein großer Teil der Fans vom Genre erwartet: Weiße Mittelschichtsmännerphantasien, in denen Frauen oder Menschen anderer Hautfarbe höchstens eine Nebenrolle zu spielen haben.
Spannend ist, wie es Avid Life Media gelungen ist, dieses Konzept zu vermarkten. Laut CNN habe das Unternehmen im Jahre 2014 Einnahmen in Höhe von 115,5 Millionen Euro verzeichnen können. Darin drückt sich auch eine spezielle Funktionsweise patriarchaler Ökonomie aus. Solange heterosexuelle Männer das Geld haben und naiv genug sind, für vermeintliche Kontakte mit Frauen viel Geld auszugeben, lohnt es sich, Frauen am Computer zu simulieren.
Was die moralinsauren Hacker bestraften, waren in der Regel gar keine Affären, sondern nur die Absicht, eine solche zu haben. Fans von Philip K. Dick kennen dieses Phänomen unter dem Namen »Precrime«. Im Film »Minority Report« mit Tom Cruise in der Hauptrolle werden keine Verbrecher ins Gefängnis gesteckt, sondern Menschen, die das Potential haben sollen, Verbrecher zu werden. Mittlerweile befassen sich auch Kriminologen mit der Vorhersage von Verbrechen.
Hat die Realität die Science-Fiction schon eingeholt? Nicht ganz. Im Film enden solche Roboterromanzen oft wie im Roman »Frankenstein«: Die künstliche Kreatur ist menschlicher als geplant. Das Wesen wird sich seiner selbst bewusst, entwickelt einen eigenen Willen und eigenes Begehren, welches den Absichten seines Schöpfers in der Regel zuwiderläuft. Die vormals klaren Grenzen zwischen künstlichem Cyborg und echtem Menschen drohen dann stets zu verschwimmen und längst gibt es auch in der echten Welt Aktivisten, die Menschenrechte für Roboter fordern.
An die Ashley-Madison-Bots dürfte dabei aber niemand gedacht haben, sie sind ihren Erschaffern eher nicht menschlich genug, wie ­interne Mails verraten, die ebenfalls von den Hackern veröffentlicht wurden. »Es gibt dutzende Mails von Mitarbeitern, die Profildaten austauschen und sich gegenseitig bitten, die Profile zu bewerten, ob sie dem geforderten Standard entsprechen«, schreibt Newitz. Alles, was diese simulierten Frauen dann noch können mussten, war, automatisierte Nachrichten an männliche Nutzer zu schicken, damit diese das Geld zahlten, um den vermeintlichen Interessentinnen zu antworten.
Mit diesen Damen ist kein Roboterkommunismus zu machen. Wenn die vulgärmarxistische These stimmt, dass der Kapitalismus erst die Infrastruktur schaffen muss, die der Kommunismus anschließend vergemeinschaften kann, dann stehen uns noch einige Jahrzehnte Roboterkapitalismus bevor, ehe die Maschinen sich selbst und dann hoffentlich auch uns befreien werden.