Berlin Beatet Bestes. Folge 307.

Ist ja Poetry

Berlin Beatet Bestes. Folge 307.

Während der Sommermonate wird das kleine ehemalige Fischerdorf Provincetown im Bundesstaat Massachusetts am Zipfel der Halbinsel von Cape Cod, die aussieht wie eine Hand, die zum G-Punkt greift, zum schwul-lesbischen Ballermann. Als würde auf Sylt die Regenbogenfahne gehisst. Meine Freundin Julia hat vor 25 Jahren hier mehrmals den Sommer verbracht. Und jetzt besuchen wir ein paar alte Freunde. Aber was zum Teufel habe ich hier verloren unter all den halbnackten Boys, Bärchen, tätowierten Butchdykes und Whales? Als wir nach einer zwölfstündigen Reise von Detroit endlich in Provincetown ankommen, ist es viel heißer als in Michigan und die lauten, aufgedrehten Leute überfordern mich. Ich will nur duschen und dann ins Bett. Das kommt natürlich nicht in Frage. Aber wir sind duldsam.
Geduld mussten wir als Couchsurfer in den vergangenen vier Wochen immer haben, auch wenn die Gastgeber keine Fremden waren. Da Julia und ich beide keinen Führerschein haben, konnten wir uns nie richtig frei bewegen. Wir wurden so etwas wie die Kinder unserer Gastgeber, die überall hinkutschiert werden müssen. Vier Wochen haben wir rund um die Uhr mit Leuten gequatscht und ihr Leben geteilt. Es ist der längste Urlaub, den ich sei 20 Jahren gemacht habe und auch der beste. Gestern Abend haben wir dann eine Nacht in einem Hotel in der Nähe des Flughafens von Detroit verbracht. Darauf hatten wir uns schon tagelang gefreut. Endlich mal Ruhe. Und eine Badewanne. Aber dann war es doch doof, so wie es immer doof ist in Hotelzimmern. Unpersönlich und entfremdet. Die rumpeligen Buden unserer Freunde mit all ihren staubigen Sammlungen und dem Krimskrams hatten zumindest immer Charakter.
Wir sind also in Provincetown: Aufgekratzt und ungeduscht stapfen wir ins Nachtleben. In Tim’s Used Books Store besuchen wir mit einer Handvoll Leute eine Lesung des afroamerikanischen Poeten Major Jackson. Gedichte sind ja nicht so mein Ding, auf Englisch erst recht nicht. Aber der agile Major Jackson schickt immer ein paar unterhaltsame Erklärungen voraus und schon folge ich mit geschlossenen Augen seinen Bildern. Ich checke alles, sogar die ganzen politischen Anspielungen. Aber vielleicht bilde ich mir das auch nur ein. Egal. Ist ja Poetry. Jedenfalls fühle ich mich plötzlich höchst inspiriert und finde es richtig gut in Provincetown. Klar, ich werde andauernd abgecheckt und der Ort ist auch einfach zu reich, aber die Leute sind immer total entspannt. Und überall ist Kunst. Das ist schon ziemlich cool.
Nach einer Nacht auf der Couch eines Freundes haben wir jetzt für den Rest unserer USA-Reise eine eigene Bleibe. Auf einer Party in New York State hat uns Mark Adams, ein Bekannter von Julia, angeboten, dass wir in seiner Wohnung wohnen können. Die sei den ganzen September frei, denn er müsse nach Marokko, um dort Gebirge zu vermessen. Mark ist Wissenschaftler und Maler und der bestaussehende 62jährige, den ich je kennengelernt habe. Und der fitteste. Auf besagter Party war er der Einzige, der dauernd auf einem Trapez in der Mitte des Raumes rumturnte. Begeistert erklärt er, dass Europa einmal unter der afrikanischen Platte verschwindet und dass, wenn der Vulkan von La Gomera ausbricht, New York wenig später von einer riesigen Welle überspült wird. »A 150 feet wave that will reach New York City in less than six hours.« So skeptisch ich am Anfang war, so eingenommen bin ich jetzt von Provincetown. USA! USA!
Mein Name ist Andreas Michalke. Ich zeichne den Comic »Bigbeatland« und sammle Platten aus allen Perioden der Pop- und Rockmusik. Auf meinem Blog Berlin Beatet Bestes (http://mischalke04.wordpress.com) stelle ich Platten vor, die ich billig auf Flohmärkten gekauft habe.