Willkommen

Andreas Bausewein hat den Anschluss verpasst, die Zeichen der Zeit nicht richtig gedeutet. Während alle guten Deutschen damit beschäftigt waren, Kleiderbündel zu schnüren, Sprachkurse zu organisieren und Flüchtlinge mit salbungsvollen Reden willkommen zu heißen, schrieb der Oberbürgermeister Erfurts einen offenen Brief an die Bundesregierung, in dem er unter anderem forderte, dass für Flüchtlingskinder aus als sicher eingestuften Herkunftsländern die Schulpflicht ausgesetzt werden solle. Weil doch die Schulen überfordert seien und die Kinder am Ende ja sowieso wieder abgeschoben würden. Es empörten sich unter anderen: Sigmar Gabriel (SPD), Astrid Rothe-Beinlich (Grüne), Birgit Klaubert (Linke) und Twitter (Internet).
Nicht darüber, dass die Kinder am Ende abgeschoben werden, sondern darüber, dass sie vorher die Schule nicht besuchen dürfen. Deutschland ist schließlich das Land der Dichter und Denker, Bildung ist uns sehr, sehr wichtig. In Berlin heißen die Schulklassen, in denen Kinder ohne Deutschkenntnisse gesammelt werden, übrigens »Willkommensklassen«, was lustig ist, wenn man den von Bausewein angemahnten »ständigen Wechsel, wenn die Kinder ausreisen«, bedenkt. Kein Artikel wird über diese Klassen geschrieben, in dem die hohe Lernbereitschaft der Flüchtlingskinder unerwähnt bliebe. Die Welt beispielsweise schwärmt, dass »eine Null-Bock-Haltung, wie sie sich bei den Pubertierenden in den ›normalen‹ Klassen« oft zeige, hier nicht zu spüren sei. Das lässt auf gutes Material schließen, was wichtig ist, damit die Flüchtlinge von heute »die Facharbeiter von morgen« (Nahles) sein können.
Die Kinder in meiner Klasse haben in jedem Fall besser als Bausewein verstanden, was die Stunde geschlagen hat: Mit niedergeschlagenen Augenlidern erklären sie neuerdings, dass sie, wenn sie Ärger mit der Schule, also mir, haben, wüssten, wie dankbar sie eigentlich sein müssen, dafür, dass sie gemeinsam mit ihrer Familie leben können und zur Schule gehen dürfen und es überhaupt besser haben als die Flüchtlingskinder in ihren kalten Turnhallen und Zelten. Und wie bitte erklärt man jetzt traurigen Zwölfjährigen, dass sie sich mitnichten bedanken müssen, sich gar niemals bedanken sollten für eine Schule und überhaupt ein Leben, die sie so nicht bestellt und trotzdem bekommen haben, nur weil andere Kinder ein noch viel traurigeres Leben nicht bestellt und dann doch bekommen haben? Sicher, unter den gegebenen Umständen ist Schule vermutlich das Beste, das Flüchtlingskindern hier passieren kann, so, wie unter den gegebenen Umständen Erwerbsarbeit das Beste zu sein scheint, das ihren Eltern – oder dir oder mir – hier passieren kann. Das bedeutet nicht, dass eines von beidem gut ist oder auch nur der Umstand, dass derlei das Beste sein soll, irgendwie erträglich.