Quim Arrufat von der linken Partei CUP im Gespräch über Linke und Nationalismus in Katalonien

»Die Gesellschaft ist bereit dafür«

Quim Arrufat war von 2012 bis 2015 einer der drei Abgeordneten der CUP im katalanischen Parlament. Er ist in der Partei für internationale Beziehungen zuständig und lehrt Politikwissenschaft an der Universität Barcelona. Mit ihm sprach die Jungle World über die Rolle der CUP nach den Wahlen und ihre Forderung nach Unabhängigkeit.

Bis 2012 war die CUP vor allem eine lose Wählervereinigung aus dem Umfeld der sozialen Bewegungen. Nun ist sie im Zentrum der Aufmerksamkeit. Was bedeutet das für die CUP?
Das war ja kein strategischer Plan von uns, sondern Zufall. Doch es stimmt, dass wir seit 2012 viel mehr in die Öffentlichkeit gelangt sind und enorme Unterstützung erfahren haben. Das liegt auch daran, dass wir ein neues Konzept von Politik vertreten, eine Mischung aus politischen Kampf in den Institutionen und sozialer Bewegung auf der Straße. Aber es kam auch für uns überraschend. Plötzlich hängt alles von den Anarchos und Okupas ab. (lacht)
Habt ihr keine Sorge, Teil des politischen Spiels zu werden, das ihr selbst kritisiert?
Die Frage ist doch, um was geht es im Parlament? Darum, ob wir die Steuern ein wenig anheben? Oder reden wir über die Krise, in der wir uns befinden? Wir sind sehr selbstkritisch mit unserer parlamentarischen Arbeit, da wir diese Institutionen als Teil des Problems betrachten. Wir sagen immer, dass wir einen Fuß auf der Straße und einen im Parlament haben müssen. Und wir sehen die Gefahr, dass der institutionelle Teil zu groß wird. Trotzdem kann der Weg nicht sein, den institutionellen Teil zu reduzieren, sondern stattdessen, den anderen zu stärken.
Wenn ihr den Konservativen Artur Mas unterstützt, sind eure nichtnationalistischen Wähler sauer. Wenn nicht, sind die Nationalisten sauer. Wie geht ihr mit diesem Dilemma um?
Den Unabhängigkeitsprozess zu demokratisieren und die soziale Frage stärker zu berücksichtigen, ist mit Artur Mas unmöglich. Aber man darf nicht vergessen, dass nicht wir, sondern Junts pel sí gewonnen haben. Wir sind die kleinste Kraft im Parlament, auch wenn es gerade anders erscheint. Wir werden so oder so nicht in der Regierung sitzen. Unser Vorschlag ist, dass der presidencia coral (mehrköpfiges Präsidium, Anm. d. Red.) stattdessen die Pluralität der Bewegung widerspiegeln soll. Diese Situation muss kein Dilemma sein, man kann sie auch als Chance betrachten, um den Horizont in der Unabhängigkeitsbewegung zu erweitern, um den Prozess mit der Frage nach sozialer Gerechtigkeit zu verbinden, gerade in einem Land, in dem ein Drittel der Bevölkerung von sozialer Exklusion bedroht ist.
Ist die von euch geforderte Republik überhaupt möglich? Besteht nicht die Gefahr, dass die nationale über der sozialen Frage steht?
Unsere fast schon historische Mission ist es, ein nationales Projekt für die popularen Klassen zu begründen, also das Nationale mit dem Sozialen zu verbinden. Dieses Projekt hatte schon immer viele Feinde, sei es der spanische Staat oder die katalanische Bourgeoisie. Uns ist klar, dass wir hier nicht die Revolution machen werden. Aber zusammen mit der ERC können wir eine linke Mehrheit im Parlament stellen und die demokratische Konstruktion der katalanischen Republik beginnen – aber aus der Opposition, wir werden uns nicht mit Junts pel sí zusammentun.
Was versteht ihr unter nationaler Konstruktion, die auch in eurem Programm steht?
Zum einen gibt es den politischen Prozess des Aufbaus einer Republik in Katalonien. Aber Katalonien ist nicht unsere Nation, das sind die Katalanischen Länder (siehe Seite 3). Für Katalonien fordern wir eine plurale Republik, basierend auf demokratischen und sozialen Rechten, die nicht nationalistisch ist und keine Sprache oder Kultur über eine andere stellt. Auf der anderen Ebene wollen wir für die Gesamtheit der katalanischen Länder die nationale Konstruktion, also ein nationales Bewusstsein wieder aufbauen, im kulturellen, sprachlichen und territorialen Sinne.
Was genau bedeutet Unabhängigkeit für euch?
Wir arbeiten mit zwei Konzepten: Souveränität und Unabhängigkeit. Um Souveränität zu erlangen, ist ein Staat unabdingbar. Aber die Existenz eines Staates bedeutet keineswegs Souveränität, wie man an den Beispielen Griechenlands und Portugals sehen kann. Daher fordern wir zudem Unabhängigkeit, um wirkliche Souveränität zu erlangen. Die Unabhängigkeit soll uns formal und politisch unabhängig vom spanischen Staat machen, die Souveränität muss man gegen die Finanzmärkte durchsetzen. Sie sind es, die uns bedrohen, nicht der spanische Staat. Hier im Süden Europas, der von den Finanzmärkten, der Troika und den ihnen untergebenen Staaten kolonisiert ist, ist für uns der Kampf für die Souveränität, also die Gründung einer Republik, am sinnvollsten. Diese wird sich nicht von Beginn an radikal von der derzeitigen Gesellschaft unterscheiden, aber mit der Logik der Finanzmärkte brechen. Und wir glauben, dass es möglich ist, weil dahinter eine Gesellschaft steht, die bereit dafür ist. Es erscheint uns unmöglich, im Rahmen des spanischen Staates einen echten Wandel zu erkämpfen. Wir wollen ein komplett anderes Land aufbauen, basierend auf radikal anderen Ideen und Werten, und das geht nur außerhalb Spaniens.
Seht ihr euch denn als Nationalisten?
Nein. Wir befinden uns gerade in einem großen Wandel in der linken Unabhängigkeitsbewegung. Der katalanische Nationalismus war stets ein Projekt des Widerstandes und der Verteidigung. Im Kampf gegen den anderen, der viel mächtiger ist, stellst du radikale Forderungen auf. Wenn du dich aus dem Widerstand herausbewegst und ein Konzept für die gesamte Gesellschaft entwickelst, kannst du aber nicht mehr Nationalist sein. Der Nationalismus hier ist dabei, seine nationalistischen Elemente abzustreifen. In den achtziger Jahren war die Einsprachigkeit eine der Hauptforderungen der Unabhängigkeitsbewegung. Heutzutage ist der gesamten Unabhängigkeitsbewegung bewusst, dass die katalanische Republik verschiedene offizielle Sprachen haben wird, im Zweifel sogar mehr als zwei. Wir aus der Linken sind seit drei Jahren damit beschäftigt, hier einen antikapitalistischen, katalanischen, aber zugleich nichtnationalistischen politischen Raum zu kreieren, mit einem multinationalen und multikulturellen Konzept für eine souveräne Republik im Süden Europas, die sich Catalunya nennt. Es geht um eine neue politische, nicht nationale Identität und um eine antikapitalistische Reorganisierung breiter Schichten der Bevölkerung. Wir beziehen uns dabei auf das kurdische Konzept des demokratischen Konföderalismus. Das wollen wir auch in Katalonien einrichten.
Für den Großteil der Linken in Deutschland sind Nationalismus und befreite Gesellschaft unvereinbar. Hier scheint das anders zu sein.
Die Frage ist doch, wer bestimmt, wer Nationalist ist. Warum nennt ihr die rechten Türken Nationalisten und nicht die Kurden, die doch für ihre nationale Befreiung kämpfen? Wären wir weniger Nationalisten, wenn wir uns auf die Seite des spanischen Staates stellen und seine Grenzen akzeptieren, die aus Kriegen entstanden sind? Nein. Aber wenn wir Unabhängigkeit fordern, sind wir plötzlich die Nationalisten und die anderen Demokraten. Es ist sehr kompliziert. Aber niemand von uns bezeichnet sich als Nationalist. Wenn überhaupt, dann vertreten wir einen multikulturellen Nationalismus oder Linksnationalismus.
Was sagt ihr aber zu der Kritik, dass die Definition von Nation anhand von Sprache und Kultur soziale Ungleichheiten verdeckt und eine falsche Einheit schafft?
Für uns ist klar, dass die Idee einer katalanischen Republik nur mit sozialen Rechten und radikaler Demokratie zu verwirklichen ist. Aber das ist zugleich ein Kampf um die nationale Hegemonie. Ein Kampf darum, worin die Idee eines unabhängigen Kataloniens besteht. Wir streben an, dass diese Idee Teil eines sozialen und demokratischen Projektes wird.
Wird es bald einen katalanischen Staat geben?
Ich weiß es nicht. (lacht) Die Kurden haben ein Sprichwort: Unsere einzigen Freunde sind die Berge. Das sehe ich hier ähnlich.