Die russische Intervention stärkt Putin

Russland regelt’s

Vor einem Monat begann der russische Militäreinsatz in Syrien. Dem gingen eine offizielle Anfrage des syrischen Präsidenten Bashar al-Assad, und die Legalisierung des militärischen Vorgehens im Ausland durch den russischen Föderationsrat ­voraus.

Alles muss seine Ordnung haben und internationalem Recht entsprechen, darauf ist die russische Führung in der Außendarstellung ihres Vorgehens streng bedacht. Seit dem 30. September haben Flugzeuge der russischen Streitkräfte etwa 800 Einsätze in Syrien geflogen, außerdem erfolgten Raketenangriffe von Schiffen im Kaspischen Meer. Nach Angaben des russischen Generalstabs wurden dabei mehrere Hundert Kämpfer des »Islamischen Staats« (IS) getötet und zahlreiche Stützpunkte zerstört. Ein Teil der Raketen ging allerdings auf iranischem Gebiet nieder.
Bislang betreibt Russland seine Militäroperation lediglich aus der Luft, ein Bodeneinsatz ist nicht vorgesehen. Bis zu 2 000 russische Armeeangehörige halten sich in Syrien auf. Deren Präsenz verursacht zwar Kosten, aber alles in allem bewegen sich die Ausgaben im Rahmen von ei­nigen Hundertausend Dollar pro Tag, so dass der ohnehin gebeutelte russische Staatshaushalt nicht übermäßig belastet wird. Mit relativ geringem Aufwand sichtbare Erfolge erzielen, so lautet offenbar die Devise.
Am einfachsten lässt sich diese Aufgabe auf virtuelle Weise im russischen Staatsfernsehen lösen. Dort erscheint Russland als Friedensmacht, dessen Diplomatie es zu verdanken sei, dass die Länder des Westens einst vor einer großangelegten Intervention in innersyrische Angelegenheiten absahen. Mit seinem umsichtigen militärischen Einschreiten sorge Russland nun selbst für die effektive Bekämpfung einer internationalen Terrororganisation, deren Tätigkeit in Russland selbst verboten ist. Mit dieser Formulierung müssen russische Medien per Gesetz jegliche Erwähnung des IS und anderer als extremistisch eingestufter Organisationen illustrieren, ganz so, als sei deren Tätigkeit in der restlichen Welt gern gesehen. Als einkalkulierter Nebeneffekt dieser ­rosigen Medienrealität stiegen die Beliebtheitswerte von Präsident Wladimir Putin auf knapp 90 Prozent. Selbst nach der Annexion der Krim fiel der Zuspruch geringer aus. Russland ist wieder wer in der Welt, das wird in der Bevölkerung mit Sympathiebekundungen honoriert.

Oberstes Ziel des Militäreinsatzes in Syrien ist es aber nicht, ein gutes Bild für den nationalen Gebrauch abzugeben. Über unerfreuliche innenpolitische Belange angesichts der sich immer deutlicher auswirkenden Wirtschaftskrise spricht der Präsident derzeit generell nicht gerne, er hat ein größeres Faible für geopolitische Belange. Das stellte er unlängst auf dem Waldaj-Forum unter Beweis, das als internationale Austauschplattform für Politiker, Wissenschaftler und Journalisten angelegt ist. Die Ukraine kam in Putins Rede erst gar nicht vor, stattdessen wandte er sich an den Westen. In Syrien schwebt ihm die Option für eine länderübergreifende Kooperation vor, mit Russland als einer der treibenden Kräfte einer internationalen Antiterrorkoalition. Es ist ein Versuch, Russlands Diplomatie international aufzuwerten und als Friedensbringer jene Defizite wettzumachen, die sich infolge der Annexion der Krim und des bewaffneten Konflikts im Donbass in hinderlichen Wirtschaftssanktionen und einem Image als Kriegstreiber niederschlagen.
In Washington, Berlin oder Paris tut man sich mit den Ambitionen Russands nicht leicht. Es hagelte Kritik, als bekannt wurde, dass die russischen Streitkräfte weniger IS-Stellungen attackierten als gegen Assads Truppen kämpfende Oppo­sitionelle. Im offiziellen Jargon verschmelzen diese zu einem Subjekt. So erklärte Putin vor seinem Auftritt bei der Uno wenige Tag vor Beginn der Militäroperation in einem Interview mit dem amerikanischen Fernsehsender CBS, es gebe in Syrien nur eine legitime Armee, nämlich die von Präsident Assad. Zwar werde auf internationaler Ebene von einer Opposition gegen ihn gesprochen, »aber tatsächlich kämpft Assads Armee gegen terroristische Organisationen«. Unlängst reiste der syrische Präsident, der Damaskus seit Beginn des Bürgerkriegs nicht mehr verlassen hatte, zu einer zuvor streng geheimgehaltenen Stippvisite nach Moskau. Er unterstützt das Assad-Regime und konnte sich in der Vergangenheit sicher sein, mit Syrien über einen zuverlässigen Partner im Nahen Osten zu verfügen, aber das schließt nicht aus, dass Russland Assad gegebenenfalls im Stich lässt, sollte es dafür plausible Gründe geben.

Am Freitag vergangener Woche scheint die russische Regierung ihren Zielen einen kleinen Schritt näher gerückt zu sein. Das Wall Street Journal berichtete, dass im Weißen Haus die Bereitschaft bestünde, Assad für eine Übergangs­zeit im Amt zu behalten. Damit wäre aus russischer Perspektive einer der Hauptkonfliktpunkte bei den Verhandlungen zur Syrien-Krise, an denen neben den USA und Russland auch die Türkei, Saudi-Arabien und weitere Länder beteiligt sind, wenn nicht beseitigt, so doch zumindest abgeschwächt.
Trotz bislang 26 getöteter Soldaten und einem vermeintlichen Selbstmordopfer, einem 19jähriger Söldner, der sich Ende Oktober angeblich selbst das Leben genommen haben soll – dessen Angehörigen zweifeln die offizielle Version der Todesumstände an –, finden sich in der Öffentlichkeit nur wenige Stimmen, die Russlands Militäreskapade in Syrien kritisieren. Dabei birgt diese durchaus auch Risiken. Mit seiner offenen Unterstützung schiitischer Kräfte provozierte Putin heftige Kritik seitens Saudi-Arabiens, das mit Dumpingpreisen für Öl den russische Marktanteil zu senken versucht. Auch Terroranschläge als Rache für die Bombardierung sunnitischer Stellungen sind nicht auszuschließen. Daher wird die russische Führung alles dransetzen, dass aus Russland stammende Jihadisten, deren Zahl bei mindestens etwa 2 000 liegt, nicht zurückkehren.