Die internationale Gemeinschaft berät über die Zukunft Syriens

Zombies im Imperial

Während die Luftangriffe Russlands die Welt vor vollendete Tatsachen stellen, überlegen UN und EU angestrengt, wie und mit wem es in Syrien weiter gehen soll. Schließlich wird es langsam auch den Europäern zu bunt. Nun darf sogar der Iran mitreden.

Immerhin eines war an dem Syrien-Treffen im altehrwürdigen Wiener Hotel Imperial noch so richtig imperialistisch: Unter den Vertretern aus 17 Nationen, der EU und der Uno befanden sich keine Syrer. Dabei ging es vordergründig vor allem um die Frage, wie das weitere Schicksal des syrischen Diktators Bashar al-Assad zu gestalten sei: Ob er bereits vor Verhandlungen abtreten müsse, erst danach oder mittendrin; oder ob er sich, so in nuce die Vorstellungen der Verbündeten Assads, Russlands und des Iran, möglicherweise bei einer Wahl mit geschätzten 95 Prozent Zustimmung einfach neu wählen lassen könne. Der Erfolg des Wiener Treffens maß sich daran, dass keiner der Beteiligten vorzeitig beleidigt die Veranstaltung verließ und man sich zwei Wochen später erneut in Wien treffen möchte. Das ist tatsächlich ein Fortschritt. Zwischen den völlig ergebnislosen Syrien-Verhandlungen von »Genf I« im Sommer 2012 und »Genf II« Anfang 2014 lagen immerhin anderthalb Jahre.

Ungefähr 30 000 Tote und einige Hunderttausend Flüchtlinge später geht es also immer noch um Assads weiteren Lebensweg, was sogar den höflichen Uno-Generalsekratär Ban Ki-moon in einem Interview entnervt sagen ließ, es sei »völlig ungerecht und unzumutbar, dass das Schicksal einer Person den gesamten politischen Verhandlungsprozess in Geiselhaft nimmt«. Das leicht bizarr anmutende Geschacher um Assads Zukunft hat zwei Ebenen: Einerseits ist es ein Kampf um Worte, andererseits liegt in der Person Assads tatsächlich das Schicksal des syrischen Regimes besiegelt. In dieser Ba’ath-Diktatur ist schlichtweg alles auf die Person des Präsidenten zugeschnitten, das ist ihr zentrales Merkmal. Assad ist nicht aufgrund persönlicher Qualifikationen syrischer Diktator geworden, sondern als Nachfolger seines Vaters. Er ist selbst aus dem engsten Führungszirkel heraus nicht zu ersetzen, ohne einen Zusammenbruch des ganzen Regimes zu riskieren. Und das ist seine Lebensversicherung in Moskau und Teheran.
Die Ebene der Rhetorik, der Gesten und Diplomatenworte haben Wladimir Putins Bomben und Irans kämpfende Revolutionsgardisten jedoch für ihren Schützling Assad stark beeinflusst. Die russische Militärintervention ist als fait accompli hingenommen worden, zugleich hat man die Islamische Republik Iran, von deren machtpolitischem Expansionismus sich quasi jeder Konflikt in der Region nährt, an den Verhandlungstisch gebeten. Währenddessen überboten sich die westlichen Politiker in rhetorischen Verrenkungen darüber, ob Assad vielleicht doch nicht sofort, sondern erst in einigen Monaten aus dem Präsidentenpalast weichen müsste. Selbst den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan brachte man vor den Wiener Verhandlungen dazu, Assad theoretisch für eine Übergangsfrist zu akzeptieren. Dieses Abrücken von den Prämissen der Genfer Verhandlungen durch die Amerikaner und ihre Verbündeten ist jedoch ein Scheinsieg, zumal für den Iran. Das gilt ebenso für die Einladung an den Verhandlungstisch, ein Platz, den nicht unbedingt das gesamte Establishment der Islamischen Republik gerne einnehmen möchte. Zwar verkündete der stellvertretende iranische Außenminister nach dem Wiener Treffen stolz, man habe der Forderung erfolgreich Widerstand geleistet, dass Assad binnen Jahresfrist abtreten solle. Nur was bringt das dem Iran? Der politische und militärische Erfolg des islamistischen Regimes lag über Jahrzehnte in der subversiven Destruktion; jetzt steht man im Scheinwerferlicht, muss sich einigermaßen höflich ausdrücken und alle erwarten plötzlich, dass man etwas Konstruktives bewirkt. Auf Dauer wird diese neue Rolle sehr anstrengend für die Ayatollahs werden.

Das Problem des Konfliktes in Syrien ist so simpel wie fatal und es bestand von Anfang an: Das Regime um Assad hat nichts, worüber es verhandeln könnte. Seine Unterstützer letztlich auch nicht. Ein bisschen Assad oder ein bisschen Vasall des Iran geht nun mal nicht. Daher ist es auch egal, ob man Assad weitere drei, sechs oder zwölf Monate Diktatorenzeit im Konsens bei einem Stückchen Imperial-Torte – das ist die Spezialität des Hauses – zugesteht. Wer sollte da was garantieren, vor allem aber: Wer würde sich daran halten? Und ganz zum Schluss: Was würden wohl die Syrer dazu sagen, die 2011 angefangen haben, gegen die Diktatur Assads zu demonstrieren – und das ganz ohne ausländische Jihadisten, amerikanische Panzerabwehrraketen und islamistische Warlords. Die kamen alle erst später. Dass es keine einvernehmliche Lösung für Syrien geben kann, dafür sorgt alleine schon das unerbittliche machtpolitische Agieren des Iran, der ein ihm genehmes Regime in Syrien bis zur letzten Patrone verteidigen wird, weil daran letztlich alle strategischen Ziele und Erwerbungen von 35 Jahren iranischer Außenpolitik hängen. Früher hat man so etwas übrigens Imperialismus genannt.
Es ist bezeichnend, dass man sich in Wien tatsächlich auf ein Abschlußdokument einigen konnte, in dem die territoriale Einheit Syriens betont wurde. Das sollte zu denken geben. Faktisch steht diese nämlich längst zur Disposition. Eine wie auch immer geartete Wahl würde in einem kriegszerstörten, von diversen Milizen, Warlords und nicht zuletzt Assads Geheimdiensten beherrschten Syrien zur Farce. Das weiß der russische Außenminister Sergej Lawrow und – vermutlich – selbst sein deutscher Amtskollege Frank-Walter Steinmeier. Je lauter das Bekenntnis zur Einheit Syriens, desto wahrscheinlicher dürften Verhandlungen über eine reale Teilung werden. Syrer, die dabei stören könnten, sitzen in Wien ja nicht einmal am Katzentisch.

Tatsächlich zeichnet sich gerade eine neue Entwicklung im Nahen Osten ab; das Verhältnis zwischen Russland und dem Iran einerseits und den USA vulgo dem »Westen« wandelt sich. Auf einmal kann die eine Seite auf Zeit spielen und sich zurücklehnen – man weiß sowieso nicht, was man tun wollte oder könnte –, während die andere Seite plötzlich anfangen muss, ihre Verluste zu zählen. Der Versuch Russlands, durch ein Mig- und Hubschrauberwunder aus dem Himmel die militärische Lethargie des Assad-Regimes über Nacht hinwegzuzaubern, ist gescheitert. An allen so plötzlich in den Offensivmodus geschalteten Frontabschnitten haben die Truppen des Regimes ihre anfänglichen geringen Geländegewinne auch schon wieder eingebüßt. Der »Islamische Staat« (IS), vorgeblich das Hauptziel der russischen Angriffe, marschiert vorwärts und bedrängt mittlerweile erfolgreich die Nachschublinien des Regimes in Richtung Aleppo.
Man mag sich die taktischen Probleme vorstellen, wenn Urdu sprechende pakistanische Söldner unter dem Kommando iranischer Offiziere, syrische Armeeeinheiten und diverse schiitische Milizen mit russischer Luftunterstützung zusammen auf dem Gefechtsfeld agieren sollen. Es ist eine Sache, die westliche Öffentlichkeit und ihre dialogorientierten Politiker mit großsprecherischen Gesten und der konsequenten Demonstration erbarmungsloser Gewaltanwendung zu erschrecken – reale Kriegführung ist etwas anderes. Der Unerbitterlichkeit der nahöstlichen Konflikte unterliegt nun auch Russland. Es ist nur eine Frage der Zeit, wann die ersten Rebellengruppen von ihren Gönnern am Golf doch mit Boden-Luft-Raketen ausgerüstet werden, auch wenn sich die USA weiterhin dagegen sperren. Ebenso wird der Sieg der AKP Auswirkungen auf dem Schlachtfeld im Norden Syriens haben, die islamistischen Rebellengruppen werden sich wohl über neue Waffenlieferungen und dynamische Unterstützung freuen. Dem Assad-Lager ist dagegen trotz der gesteigerten Frequenz der russischen Luftangriffe nicht einmal ein dringend benötigter Propagandacoup gelungen. Ein solcher etwa wäre der seit Beginn des russischen Eingreifens angekündigte Angriff auf den von IS-Kämpfern belagerten Luftwaffenstützpunkt Kweiris östlich von Aleppo. Das russisch-iranische Eingreifen hat das Potential zum Desaster.

Die nähere Zukunft in Syrien ist jedenfalls absehbar: Direkte Folge der russischen Intervention waren nach UN-Schätzungen zwischen dem 5. und 22. Oktober 120 000 weitere Flüchtlinge. Und in der Woche vor den Wiener Verhandlungen sorgte ein russisches Drohnenvideo für Furore, das eine zerstörte Stadtlandschaft zeigte, in der Panzer herumfahren und schießen. Das HD-Video war in seiner Optik und Aufmachung praktisch nicht von entsprechenden Videospielen zu unterscheiden. So sieht sie aus, die Gegenwart in den Bürgerkriegsgebieten Syriens und die Zukunft von noch einigermaßen unversehrten Gegenden wie der Innenstadt von Damaskus. Man wird jedoch zugeben müssen, dass das syrische Regime im Gegensatz zu seinen Lobrednern – und dazu gehörten seit Anfang des Konfliktes und partiell bis heute noch überraschend viele studierte deutsche Orientexperten und Politikkommentatoren, das verstörenste Beispiel dürfte derzeit Götz Aly sein – nie einen Hehl aus seinen Absichten gemacht hat. Ein von den Soldaten und Geheimdienstlern Assads 2011 vielfach in Daara’a oder Homs an Hauswände gesprayter Slogan lautete: »Assad, oder wir verbrennen das Land.« So einfach ist das.
Das Regime hat im übrigen seine Verärgerung, dass man nicht zum Tortenessen nach Wien eingeladen war, deutlich zu erkennen gegeben: Mit einem Raketenangriff auf einen Marktplatz im Damaszener Vorort Douma, der von den Rebellen gehalten wird. Man kann sich das, was von über 60 Zivilisten übrig geblieben ist, auf Youtube anschauen. Oder man wartet gleich auf die nächste Runde der Wiener Verhandlungen, wenn Bundes­außenminister Frank-Walter Steinmeier zweifellos wieder einmal die gewichtigen Worte von einem »Hoffnungszeichen für Syrien und die Region« und dem »ersten Schritt« sprechen wird.