Klagen gegen einen Spitzeleinsatz in der linken Szene in Hamburg

Salamitaktik bei der Spitzelaufklärung

Wegen des vor einem Jahr öffentlich ­gewordenen Einsatzes der verdeckten ­Ermittlerin Iris P. in Hamburg wurden jetzt zwei Klagen eingereicht.

Genau ein Jahr nach der Enttarnung der im Auftrag des Hamburger Staatsschutzes und des Bundeskriminalamtes (BKA) bis 2006 als verdeckte Ermittlerin (VE) agierenden Iris P. alias »Iris Schneider« durch eine Recherchegruppe aus dem Umfeld der Roten Flora wurden zwei Klagen beim Verwaltungsgericht Hamburg eingereicht. Zum einen klagt eine Frau, mit der Iris P. im Rahmen ihrer Spitzeltätigkeit eine Liebesbeziehung hatte. Zum anderen zieht auch das Freie Sender Kombinat (FSK) vor Gericht. »Die Klage wurde eingereicht, um die Rechtswidrigkeit festzustellen und für die Zukunft einen solchen Einsatz auszuschließen«, sagt Werner Pomrehn von der Recy­cling-Radiogruppe im FSK der Jungle World. Es ist auch ein Mittel, um die Aufklärung des verdeckten Einsatzes voranzutreiben. »Wir haben uns die parlamentarische Aufklärung jetzt ein Jahr angeguckt, aber nach wie vor sind viele Fragen offen«, resümiert Regina Mühlhäuser von der Radiogruppe »re(h)v(v)o(l)te« im FSK, im Gespräch mit der Jungle World und kritisiert: »Senat und Behörde reichen uns Informationen über Sinn und Zweck des Einsatzes nur scheibchenweise, das reicht nicht.«

Die umfangreiche Klage wurde zeitaufwendig innerhalb des Senders abgesprochen und mit vielen Betroffenen zusammengestellt. Dafür war eine Menge Archivrecherche notwendig. »Die ›re(h)v(v)o(l)te‹-Radiogruppe hatte ja schon aufgelistet, dass Iris P. im Sender auf vielen Ebenen unterwegs war«, so Pomrehn. »Alle Leute zu befragen und die Abläufe zu rekonstruieren, brauchte Zeit.« Wegen der Bedeutung des verdeckten Einsatzes engagieren sich die allesamt ehrenamtlich im FSK journalistisch Tätigen für die Aufklärung.
Denn der Undercover-Einsatz der Polizistin »Iris Schneider« im Radiosender stellt eine schwerwiegende Verletzung der Presse- und Rundfunkfreiheit dar. »Kommunikation beruht auf Vertrauen«, betont Mühlhäuser. »Wenn ein Redaktionsmitglied ohne das Wissen der anderen sein Gehalt von der Polizei bezieht, wird das Redaktionsgeheimnis zur Farce.« Iris P. entschied mit über Themen, moderierte Sendungen, führte Interviews, produzierte Jingles und übernahm auch die Liveberichterstattung von Demonstrationen. Bis zum ausführlichen Nachweis ihrer journa­listischen Tätigkeit durch ein erstes Dossier der »re(h)v(v)o(l)te«-Radiogruppe im Mai hatten Staatsschutz und Innenbehörde entschieden bestritten, dass Iris P. als verdeckte Ermittlerin das Presserecht gebrochen hat. »Der Aufklärungswille der Polizei ist recht gering«, so Pomrehn.
Angeblich wussten die VE-Führer von Iris P. nichts von ihren beiden langandauernden Liebesbeziehungen mit Frauen aus der von ihr observierten linken Szene. Iris P. stritt die Beziehungen ab, bis sie mit der sie belastenden, sehr konkreten Aussage einer Frau konfrontiert wurde.
Iris P. war der Frau vor ihrer Enttarnung zufällig begegnet und hatte diese Begegnung ihrer Dienststelle – LKA Abteilung 7, Staatsschutz – gemeldet. Die Innenrevision lud die Frau im August vor, verhörte sie über »sexuelle Beziehungen« und eröffnete ein Disziplinarverfahren gegen Iris P. Innensenator Michael Neumann (SPD) behauptete noch Mitte Oktober, außer »anonymen Beschuldigungen im Internet« liege nichts vor. »Diejenigen, die Anklage erheben, sollten auch ihr Gesicht zeigen«, forderte Neumann.

Die Rechtsanwältin Daniela Hödl erklärte daraufhin am 4. November zur »Aussage einer Zeugin zu sog. Liebesbeziehungen mit der verdeckten Ermittlerin Iris P.«, dass ihre Mandantin als Zeugin vorgeladen worden sei und eine Aussage gemacht habe: »Die Zeugin, die sich damals in der queerfeministischen und in der Bauwagenszene bewegte, gibt an, mit Iris P. von Herbst 2005 bis zu deren Verschwinden aus Hamburg im April 2006 eine intime Beziehung gehabt zu haben, wobei die Initiative für die erste Verabredung der beiden von Iris P. ausging.« Dabei hätten sie sich »selbstverständlich auch in den jeweiligen Wohnungen« aufgehalten. Nach dieser Veröffentlichung musste Innensenator Neumann einräumen, dass es offensichtlich belastende Aussagen zum Vorwurf erschlichener Liebesbeziehungen gibt. Zumal eine zweite betroffene Frau zur selben Zeit wie das FSK beim Verwaltungsgericht Klage auf Feststellung der Rechtswidrigkeit des Einsatzes von Iris P. eingereicht hat. Die nicht öffentlich auftretende Frau hat sich an Christiane Schneider, eine Bürgerschaftsabgeordnete der Linkspartei, gewandt. Schneider hat von der Klage bei der letzten Sitzung des Innenausschusses des Landesparlamentes berichtet. Die betroffene Frau hatte eine dreijährige Beziehung zu Iris P. Dreimal waren die beiden zusammen auf Mallorca beziehungsweise Ibiza im Urlaub. Iris P. verschaffte sich über die Frau Zugang zu einem umfangreichen nichtöffentlichen Fotoarchiv. Die Klägerin wolle Aufklärung, weil sie sich in ihren Grundrechten verletzt sehe, erklärte Christiane Schneider gegenüber der Jungle World.
Auch Daniela Hödl, die Anwältin der anderen betroffenen Frau, betonte im Gespräch mit der Jungle World: »Durch diese Beziehung hat die Beamtin selbstverständlich Informationen über meine Mandantin und ihr Umfeld erhalten, welche Informationen sie dienstlich weitergegeben hat, ist meiner Mandantin nicht bekannt«, so die Juristin. »Ebenso wenig ist ihr bekannt, ob sie oder Personen aus ihrem Umfeld Zielpersonen des Einsatzes der Beamtin waren.«
Dass eine Beamtin, während sie in staatlichem Auftrag und getarnt durch eine Legende agiert, unter Aufrechterhaltung dieses Täuschungsszenarios eine Liebesbeziehung eingeht, »empfindet meine Mandantin als einen Eingriff in ihre Privat- und Intimsphäre, da sie davon ausgehen muss, dass die Beamtin hierbei nicht als Privatperson, sondern im Rahmen ihres dienstlichen Einsatzes gehandelt hat«, erklärte Hödl. Ihre Mandantin erwarte »eine politische Aufklärung des Einsatzes, eine angemessene Information der Öffentlichkeit und die Benachrichtigung aller betroffenen Zielpersonen«.
Bis heute sind die Zielpersonen des Einsatzes von Iris P. nicht offiziell über ihre Ausforschung informiert worden. Vielleicht erfolgt dies ja zum zehnten Jahrestag der Beendigung des Einsatzes von Iris P. 2016.