Die Menschenrechtslage im Iran hat sich verschlechtert

Bitte nicht frei machen

Mit der wirtschaftlichen Öffnung des Iran verbanden sich Hoffnungen auf die Verbesserung der Menschenrechtslage. Erfüllt haben sie sich nicht.

Es sollte ein großer Auftritt für Teherans Symphonieorchester werden. In der vergangenen Woche hatte Irans ältestes Ensemble die Ehre, die Nationalhymne vor einem internationalen Ringwettkampf im Azadi-Stadion zu spielen. Doch daraus wurde nichts. 15 Minuten vor dem Auftritt teilten die Organisatoren dem Dirigenten Ali Rehbari mit, dass die weiblichen Mitglieder des Orchesters nicht spielen dürften. Die Hymne fiel aus.
Der jüngste Vorfall reiht sich ein ins iranische Absurditätenkabinett. Doch er ist auch eine weitere traurige Episode in der andauernden Willkür des Mullah-Regimes und der beständigen Verletzung von Menschenrechten in diesem Jahr, trotz oder gerade wegen des internationalen Atomabkommens vom 14. Juli, von dem sich viele eine Öffnung des Landes versprochen hatten.
Die Menschenrechtslage im Iran ist schlecht. Human Rights Watch berichtet von 830 vollstreckten Todesurteilen zwischen Januar und November. Im Vergleich zum Vorjahr hat sich die Zahl der Hinrichtungen jetzt schon fast verdreifacht. Insbesondere die Verhängung der Todesstrafe für minderschwere Verbrechen, etwa Drogendelikte, sowie Hinrichtungen von Minderjährigen werden von Menschenrechtsorganisationen heftig kritisiert. Auch sonst hat das Regime die Repression deutlich verschärft, besonders gegen die politische Opposition, kritische Journalisten und Angehörige der kurdischen und belutschischen Minderheiten. Hunderte werden willkürlich festgehalten, verurteilt von befangenen Richtern, werden in Einzelhaft gesteckt und gefoltert. Erst Anfang November inhaftierte die Revolutionsgarde mindestens fünf Journalisten, darunter auch Issa Saharkhiz, einen bekannten unabhängigen Publizisten und Herausgeber reformorientierter Zeitungen. Nach Aussage seines Sohnes wird ihm die Verletzung der nationalen Sicherheit vorgeworfen – ihm droht eine lange Haftstrafe.

Die jüngste Verschlechterung der Menschenrechtslage brachte vor kurzem selbst die Generalversammlung der Vereinten Nationen auf den Plan. In einer am 19. November verabschiedeten Resolution verurteilte sie die Missstände in der Islamischen Republik mit ungewöhnlich deutlichen Worten. Unter anderem bekundete die Generalversammlung »ihre ernsthafte Besorgnis über die alarmierend häufige Verhängung von Todesurteilen und die Hinrichtung von Personen ohne rechtlichen Beistand und ohne Benachrichtigung von Angehörigen«.
Die Repression des Regimes in diesem Jahr dürfte viele überraschen, die im Sommer noch hoffnungsfroh nach Wien blickten. Am 14. Juli hatten Vertreter des Iran, der ständigen Mitglieder des Sicherheitsrates, Deutschlands und der EU nach jahrelangen Verhandlungen ein Atomabkommen, auch »gemeinsamer Aktionsplan« genannt, unterzeichnet. Die internationalen Wirtschaftssanktionen gegen den Iran sollengelockert werden, im Gegenzug hatte sich der Iran verpflichtet, sein Nuklearprogramm zurückzufahren und unter internationale Aufsicht zu stellen. Nicht wenige Iraner hatten sich von der wirtschaftlichen Öffnung auch Möglichkeiten einer politischen Liberalisierung erhofft. Vor allem Angehörige der Mittelschicht hatten den Präsidenten Hassan Rohani unterstützt, der oft als reformorientiert angesehen wird.
Die Repression im Iran verstärkte sich allerdings nicht trotz, sondern gerade wegen des internationalen Abkommens. »Innenpolitisch nimmt der Druck im Iran momentan wieder zu. Die Hardliner befürchten, dass mit der wirtschaftlichen Öffnung infolge des gemeinsamen Aktionsplans auch eine gesellschaftliche Liberalisierung einhergehen könnte«, sagte Oliver Ernst von der Konrad-Adenauer-Stiftung der Jungle World. »Dieser dann letztlich unkontrollierbaren Dynamik möchte man von Anfang an entgegenwirken.« So bringe die bereits jetzt erkennbare erhebliche Ausweitung der Wirtschaftsbeziehungen mit dem Westen fast zwangsläufig eine Zunahme von Kontakten auch im kulturellen und gesellschaftlichen Bereich mit sich. Die staatliche Drangsalierung zeige deutlich, dass die Konservativen in Politik, Klerus und Justiz nicht ohne Weiteres nachgeben werden.
Offensichtlich ist die iranische Führung bestrebt, die positiven wirtschaftlichen Effekte der Sanktionserleichterungen zu nutzen und gleichzeitig daraus hervorgehende gesellschaftliche Dynamiken einzuschränken. Ob sich die wirtschaftliche Öffnung nach Westen von einer politischen, gesellschaftlichen und kulturellen Liberalisierung der Iranerinnen und Iraner langfristig entkoppeln lässt, ist ungewiss.

Das iranische Regime befördert jüngst auch wieder verstärkt den Antiamerikanismus, der neben dem Antisemitismus eine zentrale Säule der islamistischen Staatsdoktrin darstellt. Es scheint, als würde Revolutionsführer Ayatollah Ali Khamenei, der mächtigste Mann im Staat, die Agentenund Kulturzersetzer des imperialistischen Westens an jeder Straßenecke vermuten. »Es gibt Menschen, die darauf bestehen, Make-up auf das Gesicht des Teufels aufzutragen«, zitiert die unabhängige Medienorganisation »Tehran Bureau« den Revolutionsführer kürzlich. »Sie wollen die USA als einen Engel darstellen.« Die Angst vor dem amerikanischen Einfluss ist allgegenwärtig, von 5 000 bis 10 000 Agenten im Land ist unter Hardlinern die Rede. Seit dem Abschluss der Atomverhandlungen warnt Khamenei beständig vor dem schädlichen Einfluss der US-Amerikaner auf Politik und Kultur des Iran.
Die Leidtragenden dieser Politik sind Exil-Iraner­innen und Iraner mit amerikanischen Pässen. Mindestens vier von ihnen sitzen mittlerweile in iranischen Gefängnissen. Mitte Oktober wurde Jason Rezaian, ein Reporter der Washington Post, wegen Spionage verurteilt, nachdem er bereits im Juli 2014 verhaftet worden war. Ihm drohen zwischen zehn und 20 Jahren Haft. Die Washington Post nannte den Prozess damals »ein krankes Gebräu aus Farce und Tragödie«. Während der Atomverhandlungen wurde US-Präsident Barack Obama scharf kritisiert, dass er einen Erfolg der Gespräche mit dem Iran nicht an eine Freilassung des Journalisten knüpfte.
Zuletzt wurde der iranisch-amerikanische Geschäftsmann Siamak Namazi Ende Oktober in Teheran verhaftet. Die genauen Umstände sind unklar. Namazi soll sich für eine Verbesserung der Beziehungen mit den USA eingesetzt haben und hoffte offenbar, dass iranisch-amerikanische Doppelstaatler dabei eine verbindende Funktion erfüllen könnten. Die Hardliner sehen jedoch gerade sie als potentielle Spione.
Bislang hat sich das laufende Jahr als ein schlechtes für die Menschenrechte im Iran erwiesen. Die mit den Atomverhandlungen verknüpfte Hoffnung auf internationale Öffnung wich schnell der Ernüchterung. Das Regime, so scheint es, ist nicht bereit, vom innenpolitischen Allmacht Anspruch abzurücken. Im Februar 2016 soll ein neues Parlament gewählt werden. Es ist jedoch fraglich, ob sich der Wille nach Liberalisierung mit konstitutionellen Mitteln einen Weg bahnen kann.