Am Timmendorfer Strand wird Eishockey gespielt

They get around

Der tapfere kleine Eishockeyverein Timmendorfer Strand hat Pleiten und angedrohte Hallenschließungen überlebt. Und spielt immer weiter.

In ganz Schleswig-Holstein gibt es nur einen einzigen aktiven Eishockeyverein. Derzeit spielt die »Beach Boys« genannte 1. Mannschaft des EHC Timmendorfer Strand in der drittklassigen Oberliga Nord gegen – zumindest in Eishockey-Deutschland – durchaus bekannte und ehemals erfolgreiche Gegner wie den EV Duisburg, die Moskitos Essen, den Herner EV oder die Hannover Scorpions, aber auch gegen eher erstaunliche Teams wie FASS Berlin, den Hamburger SV oder die Destil Trappers aus dem niederländischen Tilburg.
Ein Blick auf die Karte mit den Teams der Oberliga Nord der aktuellen Saison lässt an Asterix und das kleine gallische Dorf ganz am Rande denken. Eishockey hat in Timmendorf jedoch eine gewisse Historie, in der mitunter sogar Erfolge gefeiert wurden und die bekannte Spieler hervorbrachte.
Ende November stand das Gastspiel der Moskitos aus Essen (Jungle World 46/2014) im Eissport- und Tenniscentrum Timmendorfer Strand an. Wie es verlaufen würde, war vorab schon relativ klar. Obwohl Essen mit dem jüngsten Team der Liga in die Saison ging und den Klassenerhalt als Saisonziel ausgab, spielt das Team zur Zeit um die Playoff-Plätze und konnte unter anderem gegen Duisburg und Neuwied – die Favoriten der Liga – überraschen und beide Vereine sogar auswärts schlagen.
Die Beach Boys vom Timmendorfer Strand waren vor dem Spiel Viertletzter und damit Außenseiter. So verlief das Spiel dann auch: Essen fuhr einen niemals gefährdeten 6:1-Sieg ein. Damit ist auch das Dilemma der Oberliga Nord sehr gut beschrieben. Das Qualitätsgefälle zwischen den Vereinen ist enorm. Die großen, finanzstarken Teams bieten teilweise auch spielerisch sehr gut anzusehenden Kufensport, während die finanziell weniger gut ausgestatteten Vereine mitunter von besseren Juniorenteams, wie eben dem aus Essen, häufig mehr als deutlich geschlagen werden.
Am härtesten traf es in der ersten Hälfte der Hauptrunde die Spielerinnen und Spieler von FASS Berlin, dem Eishockeyverein der TU Berlin, welcher die ersten 21 Spiele komplett sieglos blieb und nur deswegen nicht punktlos war, weil er zweimal erst nach Penalty-Schießen verlor. Mittlerweile konnten »die Akademiker«, wie die Spielerinnen und Spieler von FASS Berlin genannt werden, den einen oder anderen Sieg einfahren und sogar den letzten Tabellenplatz verlassen – auf diesem rangieren nun die Hamburg Crocodiles.
Allgemein haben es Hamburger und Berliner Eishockeyfans in dieser Saison nicht sonderlich leicht, wenn sie nicht gerade mit den Freezers oder den Eisbären sympathisieren. Wenig siegreich zeigen sich neben dem Team von FASS und den Crocodiles auch die Eishockeyabteilung des HSV und der ECC Preußen Berlin. Entsprechend rangieren diese Teams auf den letzten vier Plätzen der Tabelle. Für Fans des HSV mag das ja ein gewohntes Bild darstellen, aber der Vorgängerverein der Preußen Berlin, die Berlin Capitals, spielten um die Jahrtausendwende noch in der Deutschen Eishockey Liga (DEL). Finanzielle Probleme sorgten aber auch bei ihnen – wie so häufig im deutschen Eishockey – für den Abstieg.
Die Geschichte des Eishockeys in Timmendorfer Strand beginnt 1985 mit dem Eissport- und Tennisclub Timmendorfer Strand. In den ersten Jahren gab es einen Durchmarsch von der Landesliga bis in die Oberliga, die damals schon die dritthöchste Spielklasse im deutschen Eishockey war. Anfang der neunziger Jahre hatte der Verein dann seine erfolgreichste Zeit. Neben der Oberligameisterschaft 1992 qualifizierte man sich sportlich 1994 zur Teilnahme an der mittlerweile gegründeten DEL. Die zu geringe Zuschauerkapazität der Heimspielstätte verhinderte jedoch einen Aufstieg und so verblieb man in der 1. Liga Nord, die die zweithöchste Spielklasse nach der DEL bildete.
1997 war es dann allerdings mit den guten Zeiten vorbei: Nach dem Rückzug des Hauptsponsors musste Insolvenz angemeldet werden, so dass eine Neugründung des Vereins, nun unter dem Namen EC Timmendorfer Strand, erfolgte, was einen Zwangsabstieg in die Regionalliga Nord zur Folge hatte. In der nächsten Spielzeit wurde jedoch der direkte Wiederaufstieg in die 1. Liga Nord geschafft.
Nachdem der Deutsche Eishockey-Bund zur Spielzeit 1998/1999 die eingleisige Eishockey-Bundesliga gründete, wurde die 1. Liga Nord wieder drittklassig und erhielt ihren alten Namen Oberliga Nord zurück. Nach zwei Spielzeiten zum Ende der Saison 2000/2001 löste sich die Oberliga Nord auf und der EC Timmendorfer Strand wurde in die Regionalliga eingruppiert. Dort spielte man bis zur Saison 2005/2006, die mit einer erneuten Insolvenz endete. Um wenigstens den Spielbetrieb im Damen- und Jugendbereich fortführen zu können, wurde bereits vor der Pleite der EHC Timmendorfer Strand 06 gegründet, der in der Spielzeit 2006/2007 am Betrieb der Verbandsliga Nord-Ost teilnahm und den direkten Aufstieg in die Regionalliga schaffte.
Durch die Erfolge in den neunziger Jahren war das Eishockey vom Timmendorfer Strand unter Freunden der Sportart immerhin bundesweit ein Begriff. Der breiten Öffentlichkeit wurden die mittlerweile Beach Boys genannten Spieler von der Ostseeküste im Jahr 2009 durch die Verpflichtung von Wyatt Russell als Torhüter bekannt, dem Sohn von Goldie Hawn und Kurt Russell.
Nach weiteren Spielzeiten in der Regionalliga spielten die Timmendorfer ab der Saison 2010/2011 in der Oberliga und gehörten dort zu den Spitzenmannschaften. Es folgten zwei Vizemeisterschaften sowie die Meisterschaft der Oberliga Nord im Jahr 2013. Zu diesem Zeitpunkt war die Oberliga jedoch noch viergleisig – derzeit besteht sie nur noch aus einer Nord- und einer Süd-Gruppe. Dort die einzige Mannschaft aus Schleswig-Holstein zu sein, bedeutet natürlich auch deutlich weitere und damit teurere Reisen zu Auswärtspielen.
Den Gästefans bietet sich dafür der besondere Charme des vor 30 Jahren erbauten Eissport- und Tenniscentrums. Hinter den Toren befindet sich beispielsweise keine hohe Plexiglasbande, sondern nur ein Netz. Der Zuschauer kann sich einfach neben die Spielerbänke stellen oder auch mal den auf der Strafbank befindlichen Spieler dazu befragen, was er sich bei der letzten Aktion gedacht habe.
Neben der für unterklassige Eishockeyvereine üblichen finanziellen Problematik drohte dem Eishockey in Timmendorfer Strand übrigens vor gut zehn Jahren das Aus, weil die Gemeinde als Verpächter und Betreiber des Eissport- und Tenniscentrums den Betrieb einstellen wollte. Ein durch Anhänger des Vereins forciertes Bürgerbegehren hatte einen Bürgerentscheid zur Folge, bei dem sich eine deutliche Mehrheit für den Erhalt der Eishalle aussprach. Damit wurde nicht nur der weitere Spielbetrieb der Beach Boys gesichert, sondern auch die äußerst erfolgreiche Arbeit im Jugendbereich, die in den letzten knapp drei Jahrzehnten immer wieder Spieler hervorbrachte, die sich in höherklassigen Ligen durchsetzten konnten. Gleiches gilt für das Frauenteam, analog zu den Beach Boys Beach Girls genannt, das seit über 20 Jahren kontinuierlich am Spielbetrieb teilnimmt und derzeit in der drittklassigen 1. Damenliga Nord spielt.
Insgesamt bleibt zu hoffen, dass die Timmendorfer ein kleines, widerspenstiges Dorf in der so kargen schleswig-holsteinischen Eishockeylandschaft bleiben – gemäß dem selbstgegebenen Slogan: »Wir sind Meer!«