Der »Green New Deal« bringt keine Veränderung

Das Gleiche in Grün

Auch die neuesten Projekte für einen »grünen Kapitalismus« werden den Klimawandel nicht aufhalten, sondern allenfalls verlangsamen. Lukrative Investitionsmöglichkeiten werden sich aber in jedem Falle ergeben.

Selbst noch kurz vor ihrem Ableben könnte sich die 1972 aufgelöste Situationistische Internationale (SI) als »die radikalste und kohärenteste Kundgebung der (…) politischen Avantgarde im 20. Jahrhundert« erwiesen haben, zu der sie der italienische Philosoph Mario Perniola in seiner Studie über »Die Situationisten« und ihre »Prophetie der Gesellschaft des Spektakels‹« erklärt hat. Für die nicht mehr erschienene 13. Nummer ihrer Zeitschrift hatte ihr wichtigster Protagonist, Guy Debord, im letzten Lebensjahr der SI ­einen Text unter dem Titel »La planète malade« verfasst, der erst über 40 Jahre später durch seine Witwe der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden sollte und zuletzt von Max Henninger in der Zeitschrift Sozial.Geschichte Online erstmals hierzulande vorgestellt wurde. In Auseinandersetzung mit der gerade im Entstehen begrif­fenen Umweltbewegung, selten genug für Marxisten zum damaligen Zeitpunkt, zeichnete Debord darin ein deprimierendes Bild des durch die kapitalistische »Bewegung der Naturbeherrschung, die sich nicht selbst beherrscht hat«, erreichten »höchsten Stadiums der Warenproduktion«, das – in einer Paraphrasierung Lenins – durch den »raschen Zerfall der Bedingungen des Überlebens selbst, im allgemeinsten und trivialsten Sinn des Wortes« auch zu ihrem und der Menschheit letzten Stadium werden werde, wie er befürchtete.
Nun sind in den vergangenen Jahrzehnten genügend apokalyptische Szenarien entworfen worden, so dass diesem, zudem kaum empirisch belegten, Szenario keine ungewöhnliche Weitsichtigkeit bescheinigt werden muss. Prophetischer, um bei diesem metaphysischen Ausdruck zu bleiben, war ein anderer Gedanke Debords, den er in demselben Artikel äußerte. Denn er wies auf die zu erwartende Konstituierung eines »neuen Reformismus« hin, wie ihn die Umweltbewegung antizipierte, den grüne Parteien seither etabliert haben und der nun in den Konzepten eines »grünen Kapitalismus« von den modernsten Fraktionen des globalen Kapitals ausgearbeitet wird. »Ein neuer Reformismus zeichnet sich ab, der den gleichen Zwängen gehorcht wie frühere: Er hat das Maschinengetriebe zu schmieren und den Spitzenunternehmen neue Profitmöglichkeiten zu erschließen.« Viele Chancen räumte er diesen Bemühungen allerdings nicht ein, denn »den früheren gegenüber zeichnet sich dieser neue Reformismus dadurch aus, dass die Zeit nicht mehr für ihn arbeitet«, wie es weniger spöttisch als vielmehr verzweifelt in dem Aufsatz über den »kranken Planeten« heißt, in dem Debord seinen »Schrecken vor dem Jahr 2000« äußert, das er allerdings selbst nicht mehr erleben sollte.

Ganz so schnell ist die ökologische Apokalypse nicht hereingebrochen. Und dennoch hat sich auch inerhalb der herrschenden Klassen ein wenig Panik eingestellt. Vor allem seit dem Beginn der globalen Krise hat es daher bei der Suche nach neuen Akkumulationsmöglichkeiten Dutzende von Interventionen für einen »Green New Deal« oder einen »grünen Kapitalismus« gegeben, wie er etwa 2009 vom Leiter des UN-Umweltprogramms (UNEP), Achim Schneider, oder noch öffentlichkeitswirksamer im Februar desselben Jahres von UN-Generalsekretär Ban Ki-moon und Al Gore in einem weltweit beachteten Beitrag für die Financial Times gefordert wurde. Die neue wirtschaftspolitische Devise sollte ihnen zufolge lauten, »grün« zu wachsen. Selbst die Financial Times Deutschland – bekanntermaßen bis zu ihrem Ende drei Jahre später ebenso wie ihre große Schwester Stimme der größten der großen Kapitale – hatte damals anlässlich der Europawahl zur Wahl der Grünen als »marktfreundlichem Innovationsmotor« aufgerufen, um »über ehrgeizige Klimaschutzvorgaben ein Konjunkturprogramm für ökologische Zukunftstechnologien« in Europa zu entwickeln.
Die Ergebnisse sind bekannt und lassen sich nicht nur in diesem Winter begutachten. Selbst wenn man von der Vermüllung der Meere und der dramatischen Abnahme der Fischbestände, der Verschmutzung der Luft, der Verknappung sauberen Trinkwassers nebst vieler anderer Ressourcen und vielen weiteren Aspekten der Naturzerstörung und ihren katastrophalen Folgen für die Menschheit absieht und sich auf den derzeit im Fokus der Öffentlichkeit stehenden Klimawandel konzentriert, bleibt das Bild erschreckend. Anlässlich der wiederkehrenden Farce der Weltklimakonferenzen seit 1992, deren jüngste in Paris im vergangenen Monat der Liste der vergeblichen Versuche zur Begrenzung der Erder­wärmung nur ein weiteres Scheitern hinzugefügt haben dürfte, ist darüber viel geschrieben worden. Das Bild, das der letzte Sachstandsbericht des Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) der Vereinten Nationen aus dem Jahr 2013 aufgeworfen hat – bei weitem nicht das pessimistischste –, genügt, um die Dramatik der Situation zu verdeutlichen. Der Anstieg der Kohlendioxidkonzentration in der Luft, die sich bis 2050 im Verhältnis zu der des Jahres 1800 mehr als verdoppelten dürfte, dürfte bis zum Jahr 2100 die globale Durchschnittstemperatur nach verschiedenen Szenarien um zwei bis fast fünf Grad gegenüber dem Stand des Jahres 2000 ansteigen lassen. Regional könnte dies durchschnittliche Erhöhungen in zweistelliger Höhe bedeuten. Ein Szenario, demzufolge weite Teile des Planeten unbewohnbar, mindestens aber unbewirtschaftbar werden dürften.

Was die »internationale Gemeinschaft« bisher vergeblich angestrebt hat, soll nun durch die gar nicht so unsichtbare Hand des Marktes erfolgen: eine Welt, in der Energie ohne fossile Brennstoffe bereitgestellt wird. Zumindest wenn es nach dem Willen der pünktlich zum Pariser Gipfel gegründeten »Breakthrough Energy Coalition« (BEC) geht. Spektakulär ist nicht nur ihr Ziel, sondern auch ihre Zusammensetzung. Um Bill Gates, Mark Zuckerberg und den Chef der Virgin-Gruppe, Richard Branson, haben sich 25 reiche Investoren zusammengefunden, um eine »neue ökonomische Revolution« auf der Basis erneuerbarer Energien zu protegieren. Ein wenig liest sich die Liste wie ein Who is Who der modernsten Kapitalfraktionen. Reid Hoffman, der Gründer von Linkedin, ist ebenso vertreten wie Jeff Bezos, der Präsident von Amazon. Sie setzen auf eine neue technologisch-ökologische Modernisierung. Ganz wie Debord es kritisierte, soll die Eintreibung von Investitionen »zum Nutzen der Umwelt, unserer Gesellschaft und der Wirtschaft« sein, wie Branson anlässlich der Vorstellung der BEC am 30. November des vergangenen Jahres verkündete.
Die Aufforderung, die »richtigen Investitionen bei den richtigen Innovationen« zu tätigen, trifft damit genau die Idee des »grünen Kapitalismus«, von dem sich Politik und Wirtschaft die Rettung der Welt versprechen, die sie sich nicht anders als kapitalistisch verfasst vorstellen können. Und immerhin befinden sie sich im Einklang mit den Zeitläufen. Im vergangenen Jahr stiegen die »grünen« Investitionen erstmals seit 2011 wieder auf insgesamt 270 Milliarden US-Dollar an. Vor allem die gigantischen Investitionen in China, die fast ein Drittel der Gesamtsumme umfassen, und einigen Schwellenländern wie Brasilien, Indien, Südkorea und Südafrika haben einen profitablen Geschäftszweig eröffnet, den sich die Investoren nicht entgehen lassen wollen – auch wenn die Sorge um das Klima für einige unter ihnen sicherlich mehr als nur ein vorgeschobenes Motiv sein dürfte. Der aktuelle »World Energy Outlook« der International Energy Agency (IEA) geht bis zum Jahr 2040 von einem Gesamtvolumen der Investitionen in die erneuerbaren Energien von 7,4 Billionen US-Dollar aus. Dass sich hier profitable Anlagemöglichkeiten bieten, kann man auf allen einschlägigen Beraterseiten bereits seit einiger Zeit lesen.

Ein wenig wird die Euphorie der BEC-Betreiber und derer, die ihre Hoffnung auf sie setzen, in den kommenden Jahren aber dennoch gebremst werden. Dafür werden nicht nur die um ihre Standorte besorgten Staaten oder die »Klimabösewichte« der Opec und Russland sorgen, die bereits nach der Konferenz in Paris angekündigt hatten, ihre Förderquoten trotz derzeit sinkender Preise für Kohle, Erdöl und Erdgas weiter mindestens stabil zu halten und so einen Umstieg auf andere Energieträger möglichst zu verhindern. Auch die Investitionstätigkeit in die fossilen Energieträger dürfte kaum nachlassen. Die Autoren des »World Energy Outlook« gehen davon aus, dass bis 2040 lediglich 15 Prozent der globalen Investitionen im Energiebereich in die erneuerbaren Energien fließen dürften. Und da bis dahin von einer Zunahme des globalen Energieverbrauchs um etwa 70 Prozent ausgegangen wird, werden die absoluten Verbrauchszahlen den Zahlen der Analysten zufolge weiter steigen. Angesichts von bereits jetzt mehr als 325 Millionen Menschen, die von den Klimaveränderungen ernsthaft betroffen sind, was von Vertreibung bis zu relevanter Senkung der Lebenserwartung reicht, und über 300 000 Toten jährlich, auf die im Jahr 2009 ein Bericht des »Global Humanitarian Forum« unter der Schirmherrschaft des ehemaligen UN-Generalsekretärs Kofi Annan hingewiesen hatte, wird Debord vermutlich auch mit seiner apokalyptischen Prophetie nicht ganz falsch liegen – wenn auch etwas verspätet: Die Produktion des »Nicht-Lebens« – womit die auf Ausbeutung beruhende und enfremdende kapitalistische Produktionsweise gemeint ist – habe »ihren linearen und kumulativen Prozess immer schneller entfaltet; nachdem sie innerhalb ihrer Fortschrittsgeschichte eine letzte Schwelle überschritten hat, produziert sie nun unmittelbar den Tod«. Es wird sich erweisen müssen, ob die vielzitierte Marxsche »Schranke«, die die Produktionsverhältnisse für die Produktivkraftentwicklung bilden würden, also nur noch negativ zu bestimmen ist, wie es Debord zumindest nicht ausschloss. Sicher ist aber eines: Auch daran werden einige zumindest bis dahin gut verdienen können.