Die Waffengesetze in den USA sollen verschärft werden

Tödliche Konsequenzen

In den USA will Präsident Barack Obama durch Dekrete den Waffenhandel stärker regulieren, doch die Waffenlobby wehrt sich gegen jede Einschränkung.

Es war ein emotionaler Auftritt. Ein paar Tränen konnte US-Präsident Barack Obama nicht zurückhalten, als er am Dienstag vergangener Woche bekanntgab, endlich etwas gegen die zahlreichen Tötungen durch Schusswaffen in den USA zu tun. Hinter ihm stand Mark Barden, dessen siebenjähriger Sohn Daniel 2012 bei dem Massaker in der Grundschule von Sandy Hook in Connecticut getötet worden war.
Es waren offenkundig Vorfälle dieser Art, die Obama dazu bewegten, nicht länger untätig zu bleiben – trotz der Blockade durch die republikanische Mehrheit im Kongress. Er gab eine Reihe von präsidentiellen Verfügungen bekannt, mit denen er hofft, der Gewalt entgegenzuwirken. Für Obama ist das ein langgehegter Wunsch. In seiner siebenjährigen Präsidentschaft musste er insgesamt 15 Trauerreden halten, um der Opfer von Massenschießereien zu gedenken. »Und auf den Straßen von Chicago passiert so etwas jeden Tag«, fügte er am 5. Januar hinzu.

Pro Jahr kommen etwa 30 000 US-Amerikanerinnen und -Amerikaner durch Schusswaffen ums Leben – sei es durch Mord, Unfälle oder Suizid. Nach dem Massaker von Sandy Hook am 14. Dezember 2012, bei dem 20 Erstklässler, sechs Angestellte der Schule und die Mutter des Täters ermordet worden waren, sah es eine Weile so aus, als werde sich der Kongress endlich zu einer schärferen Gesetzgebung durchringen. Doch weit gefehlt, ein Gesetzentwurf zum Verbot des freien Verkaufs von Sturmgewehren scheiterte. Ebenso das Manchin-Toomey-Proposal, das eine Ausweitung der background checks vorsah, also die Überprüfung potentieller Käufer von Schusswaffen auf Vorstrafen. Der Antrag verfehlte im Senat – trotz einer Zustimmung von 90 Prozent in Meinungsumfragen – um sieben Stimmen die Zweidrittelmehrheit, die notwendig gewesen wäre, um den erbitterten Widerstand der Repub­likaner zu überwinden.
Obwohl das Gros der US-Bevölkerung durchaus für eine striktere Kontrolle von Schusswaffen ist, haben die Verfechter des Rechts auf freien Waffenbesitz einen psychologischen Vorteil. Sie fühlen sich durch den demokratischen Präsidenten in die Enge getrieben, das macht es ihnen leichter, die Leidenschaften republikanischer Stammwählerinnen und -wähler zu entfachen. Für die Waffenbesitzer steht ein greifbarer Gegenstand auf dem Spiel – die eigene Waffe. Für die Demokraten geht es um abstrakte Werte – die Sicherheit der Bevölkerung.

Zudem sind die Befürworter des freien Waffenbesitzes bestens finanziert, denn Schusswaffen sind ein großes Geschäft. 2013, im Jahr nach der Schießerei in Sandy Hook, hatte der Waffenhersteller Remington, um nur ein Beispiel zu nennen, über eine Milliarde US-Dollar Umsatz. Die Waffenlobby hat schier endlose Geldreserven und ihre Anhänger sind hochmotiviert. Die Demokraten sind es nicht, überdies gibt es auch in ihren Reihen Gegner restriktiver Waffengesetze. Obama hofft nun, dass sich das ändern könnte. Zu grausam, zu eindringlich waren in den vergangenen Jahren die Bilder der Opfer und der Trauer der Hinterbliebenen.
Obama und die demokratische Präsidentschaftskandidatin Hillary Clinton setzen darauf, dass es in der Bevölkerung langsam zu einem Umdenken kommt. Zwar scheint die alltägliche Waffengewalt den Mainstream bislang nicht sonderlich zu beeindrucken, doch die häufigen Meldungen von unvorhersehbaren Massakern steigern die Nervosität – und somit vielleicht auch die Bereitschaft, etwas dagegen zu tun. Der Auftritt des Präsidenten wurde öffentlichkeitswirksam in Szene gesetzt. Bei der Erwähnung der Kinder, die von einem Massenmörder umgebracht worden waren, wurde der sonst so kühle Präsident emotional.
Doch seine Gegner weinten nicht. Von der Waffenlobby, der National Rifle Association (NRA) und sogar einigen Kongressabgeordneten, unter ihnen Paul Ryan, der Sprecher des Repräsentantenhauses, war nur Hohn und Spott zu hören. Auf manchen rechten Websites hieß es sogar, der »Tag X« sei gekommen, der Tag, an dem die Demokraten sich anschickten, alle gesetzestreuen Amerikaner zu entwaffnen.

Seit Jahrzehnten wehrt sich die Waffenlobby gegen jede noch so dezente Verschärfung der Waffengesetze. Denn das Second Amendment der US-Verfassung garantiert jeder US-Bürgerin und jedem US-Bürger das Recht auf freien Waffenbesitz, allerdings im Kontext der Bildung von Milizen. Diese Regelung ist historisch begründet, zudem wurden Schusswaffen in den USA schon immer glorifiziert. Die Debatte wird meist sehr emotional geführt. Von Seiten der Waffenlobby wird behauptet, dass es zur allgemeinen Sicherheit beitrage, wenn unbescholtene Bürger sich gegen Verbrechen mittels Schusswaffen wehren können. Das ist in Einzelfällen auch wahr, doch für einen allgemeinen Nutzen des Schusswaffenbesitzes gibt es keinen wissenschaftlichen Beleg.
Fest steht vielmehr, dass das Beharren auf dem Recht auf freien Waffenbesitz tödliche Konsequenzen hat. In keinem anderen Land der Welt kommen in Friedenszeiten so viele Menschen durch Schusswaffen ums Leben wie in den USA. Und auch andere Grundrechte, beispielsweise das First Amendment, das Recht auf freie Meinungsäußerung, unterliegen vernünftigen Einschränkungen – beispielsweise fällt eine Morddrohung nicht unter Meinungsfreiheit.
Bis zu Obamas Initiative am 5. Januar haben die Konservativen stets argumentiert, man solle erst einmal die bereits bestehenden Gesetze konsequent anwenden, bevor man neue erlasse. Doch kaum hat der Präsident genau das angekündigt, rückte die Opposition von ihrem bisherigen Standpunkt ab. Dabei betritt der Präsident mit seinen Verfügungen keineswegs Neuland, es werden lediglich die entsprechenden Behörden angewiesen, ihren Aufgaben effizienter nachzukommen als bisher. Das Bureau of Alcohol, Tobacco, Firearms and Explosives (ATF) soll eine Regel vorlegen, um background checks für alle Waffenkäufe notwendig zu machen, so wie es das Gesetz eigentlich vorsieht. 200 neue Agenten soll das ATF zu diesem Zweck einstellen. Mehr Waffenhändler als zuvor sollen lizenziert werden – nur so sind die background checks überhaupt möglich. Private Händler und Internethändler sollen stärker reguliert und in ein Lizenzierungssystem eingebunden werden. Das FBI will das System der background checks und die landesweite Datenbank überholen und örtliche ­Behörden sollen unerlaubte Versuche, Waffen zu kaufen, umgehend melden können. Das FBI soll mehr als 230 zusätzliche Prüfer und andere Mitarbeiter einstellen. 500 Millionen Dollar sollen zusätzlich in psychologische Betreuung fließen, um potentielle Täter oder labile Menschen früher zu erkennen und ihnen Hilfe zukommen zu lassen. Weitere 500 Millionen Dollar stehen für die Entwicklung von smart guns bereit, die nur der rechtmäßige Besitzer freischalten kann.
Ob das alles etwas nützen wird, ist unklar. In den USA gibt es über 300 Millionen Schusswaffen und einen florierenden Schwarzmarkt. So ist es wahrscheinlich, dass Menschen, die bei den background checks nicht durchkommen, sich ihre Waffen illegal besorgen. Die background checks hätten vermutlich kein einziges der Massaker der vergangenen Jahre verhindern können. Die meisten der verwendeten Waffen haben die Täter völlig legal erworben, zudem waren die meisten nicht psychisch auffällig und konnten ihren Hang zu Gewalt verbergen. Obamas Erlass ist nur ein winziger Schritt, und selbst der wird enorm kontrovers diskutiert.