#ausnahmslos bringt nichts

Ausnahmslos unwirksam

Gegen die rassistiche Propaganda, die derzeit im Netz betrieben wird, kann die Kampagne #ausnahmslos wenig bewirken.

Aufrufe, offene Briefe und nicht direkt auf der entsprechenden Seite des Bundestags eingereichte Internet-Petitionen haben eine Menge gemeinsam: Sie geben den Verfassern und Unterzeichnern das gute Gefühl, etwas unternommen und wie im Fall von #ausnahmslos Argumente für eine vertiefende Diskussion bereit­gestellt zu haben. Selbst im besten Fall geschieht danach jedoch außer einigen Zeitungsartikeln und der Kaperung des zugehörigen Hashtags auf Twitter durch Trolle nichts – manchmal schreiben die Initiatoren noch ein Buch oder treten in Talkshows auf, aber große Debatten, die nicht auf die eigenen Zirkel beschränkt sind, bleiben in aller Regel aus.
Daran ändert sich auch nichts, wenn das Anliegen so formuliert ist, dass es von FDP bis zur Linkspartei praktisch für alle unterschreibbar ist – wie es bei #ausnahmslos der Fall ist: »Gegen sexualisierte Gewalt und Rassismus. Immer. Überall«. Und weil das Stichwort »Antisemitismus« fehlt, weist der Aufruf auch Erstunterzeichnerinnen auf, die wie Angela Davis und die Feministin Laurie Penny Israel für einen Rassistenstaat halten, die BDS-Bewegung unterstützen oder, wie die Aktivistin Linda Sarsour, völlig kritiklos Tweets verbreiten, in denen es heißt: »Nichts ist gruseliger als Zionismus«, einen Satz, den auch Nazis jederzeit unterschreiben würden.
Mit diesen Frauen gemeinsam einen Aufruf zu unterschreiben, der sich nicht auch gegen Anti­semitismus richtet, bedeutet, die Ängste der deutschen Juden nicht ernst zu nehmen, die nicht erst seit dem Angriff zweier Asylbewerber auf einen jüdischen Touristen in Puttgarden Zweifel haben, ob sie angesichts des zunehmenden Antisemitismus in Deutschland noch sicher sind.
Am erstaunlichsten ist allerdings, wie sehr die Verfasserinnen sich auf »die Medien« fokussieren. Denn mittlerweile ist eine neue Generation von Rassisten herangewachsen, die sehr stolz darauf ist, keinen Fernseher mehr zu besitzen und die »Lügenpresse« weitgehend zu meiden.

Derzeit lässt sich das auf der Facebook-Seite der Berliner Polizei beobachten, wo sich unter der Meldung, dass die unter anderem von russischen Fernsehsendern kolportierte Entführung und Vergewaltigung einer 13jährigen durch Asylbewerber nicht stattgefunden hat, der Volkszorn ­austobt. Ohne jegliche Rücksicht auf den Schutz des Kindes und geltende Datenschutzgesetze wird dort nach weiteren Einzelheiten verlangt und die Weigerung der Polizei, diese zu nennen, gilt als Beleg dafür, dass die Beamten auf Geheiß derer »da oben« lügen. Sieht man sich die Profile dieser Leute genauer an, findet man nichts Überraschendes: Sie sind Fans von Bürgerwehren und einschlägigen »irgendeine Stadt wehrt sich«-Gruppen, sie verbreiten Lügengeschichten über angebliche Vergewaltigungen deutscher Frauen durch Ausländer, sie sehen sich als Beschützer »unserer Frauen« und posten gleichzeitig extrem sexistische Botschaften. Ihre Informationen beziehen sie von rechten Verschwörungsseiten und deutschsprachigen russischen Propagandasendern wie RT. Dass die meisten von ihnen in ihren Freundeskreisen isoliert zu sein scheinen – die auf ihren Facebook-Walls fast im Stundentakt gepostete rassistische Propaganda bringt es selten auf mehr als ein Like –, macht sie als Multiplikatoren nicht ungefährlicher, denn die meisten Facebook-User halten einen Beitrag für umso glaubwürdiger, je häufiger er geteilt wurde.

Die Hetze dieser Leute wird nicht dadurch unterbunden, dass Fakten nicht mehr genannt werden sollen, sondern durch Offenheit. Nur dann nimmt man ihnen ihr Lieblingshobby, das darin besteht – ähnlich wie früher Teenager in Büchern heimlich nach Sex-Schilderungen suchten –, verkniffen nach Täterbeschreibungen zu fahnden, die alle ihre Vorurteile bestätigen. Ihnen mit Transparenz den Wind aus den Segeln zu nehmen und zu verhindern, dass durch ihr Tun auch bislang für Verschwörungstheorien nicht zugängliche Menschen befürchten, ihnen werde bewusst etwas verschwiegen, könnte Rassismus nachhaltiger verhindern als allgemeine Aufrufe oder Sprachregelungen. Schließlich leben diverse Hassseiten davon, dass sie finstere Machenschaften insinuieren und blutrünstige Andeutungen machen, während die ihre Lügen entlarvenden Fakten nicht so ohne weiteres gefunden werden können. Würden auch nur wenige Wochen lang in den Polizeiberichten Nationalität und Aussehen von Tätern und Täterinnen konsequent genannt, würde Rassisten ihr Lieblingshobby wohl ziemlich schnell verleidet, denn es würde in den Berichten vor weißen Deutschen nur so wimmeln.