Jihadismus und politische Lage in Mali

Imame in der Offensive

Der Regierung Malis gelingt es nicht, das Land zu stabilisieren. Im Norden werden die Jihadisten wieder stärker, im Zentrum und im Süden profitieren konservative Geistliche von der Korruption der oligarchischen Führungsschicht.

Ein bisschen Dramatisierung gehört zum Geschäft. Bei Berichten über die Aktivitäten des Bundespräsidenten Joachim Gauck kann sie dem Leser signalisieren, dass es diesmal nicht nur um pastorale Belehrungen geht. »Gaucks gefährlichste Reise« war die Schlagzeile etwa bei Spiegel Online am Freitag voriger Woche. »Schnell rein, schnell wieder raus: Der riskante Besuch von Joachim Gauck im Krisenland Mali ist ein logistischer Kraftakt. (…) Es wird ein fast überfallartiger Besuch.«
Wirklich riskant war die Reise jedoch nicht. Der Bundespräsident blieb nur sieben Stunden in dem westafrikanischen Land. Ausgesprochen kurz fiel sein Aufenthalt in der Hauptstadt Bamako aus. Danach wurde Gauck in einen Nationalpark geflogen, um dort Künstler und die Kulturministerin N’Diaye Ramatoulaye Diallo zu treffen. Zum Schluss gab es noch eine Stippvisite bei der European Union Training Mission (EUTM) für die Ausbildung malischer Soldaten, an der 150 Angehörige der Bundeswehr beteiligt sind. Die Basis der EUTM befindet sich allerdings nicht in einem Gefahrengebiet, wie es der Norden Malis nach wie vor ist, sondern im südlichen Zentrum des Landes. Auf eine Übernachtung in Mali verzichtete Gauck. Um der Regierung und den Interventionstruppen politische Unterstützung zu signalisieren, erschien ihm ein Kurzbesuch offenbar ausreichend.
Wesentlich gefährlicher als im Zentrum und im Süden ist die Situation im Norden. Als »Botschaft an die kreuzzüglerischen Invasoren«, zu denen auch der »deutsche Präsident« zähle, bezeichnete die jihadistische Gruppe Ansar Dine einen Angriff auf eine UN-Basis in Kidal am Tag von Gaucks Besuch, bei dem sechs Blauhelmsoldaten starben.
Im Norden sollen bis zum Juni 650 weitere Bundeswehrsoldaten stationiert werden. Die Zahl der deutschen Soldaten in Mali wird damit auf 800 steigen, die Verstärkung soll französische Truppen ablösen – ein deutsches Unterstützungsangebot im Namen der Solidarität mit Frankreich nach den Attentaten vom 13. November in Paris.
Der Norden Malis ist bislang nicht zur Ruhe gekommen. Anfangserfolge der französischen »Opération Serval«, die zu Beginn der Intervention vor drei Jahren dafür sorgte, dass die dortigen Jihadisten unter anderem nach Libyen ausweichen mussten, sind längst verpufft. Jihadistische Aktivitäten sind nunmehr wieder alltäglich, überdies sind weitere bewaffnete Gruppen tätig und die Übergänge zwischen Tuareg-Separatisten, Jihadisten und Banditen sind oft fließend.
Im Juni 2015 wurde in Bamako ein Abkommen zwischen vormaligen Tuareg-Separatisten der Koordination der Bewegungen von Azawad (CMA) und der Zentralregierung geschlossen (Jungle World 26/2015). Dessen Umsetzung kommt nur schleppend voran, die vereinbarte Kasernierung der Angehörigen bewaffneter Gruppen etwa hat erst Mitte Januar begonnen. Auch wurden deren Repräsentanten nicht in die neue Regierung aufgenommen, als das Kabinett am 15. Januar umgebildet wurde. Stattdessen teilten Angehörige der alten, oligarchischen politischen Führung die Ämter unter sich auf.
Vor diesem Hintergrund kommt es zu seltsamen neuen Bündnissen. Am 7. Februar einigten sich die CMA und die vormals bewaffnet gegen die Separatisten kämpfenden Milizen der »Republikanischen Plattform« auf eine gemeinsame Position gegen die Zentralregierung – das ist etwa so, als hätten IRA und protestantische Ultras sich in Nordirland gegen die britische Regierung verbündet. Beide Organisationen fordern, bei der Zuteilung von Kabinettsposten und anderen Ämtern berücksichtigt zu werden. Doch Mitte voriger Woche verhinderten Proteste in Gao, dass Mahamadou Djeri Maïga, einer der wichtigsten Anführer der CMA, dort eine öffentliche Veranstaltung abhalten konnte. Ihm wurde vorgeworfen, separatistische Ziele zu verfolgen. Am Freitag voriger Woche beschuldigte Maïga deswegen die »Republikanische Plattform«, politisch »ein doppeltes Spiel zu spielen«. Mit weiteren Bündniswechseln auch bei anderen politischen Gruppen ist zu rechnen.
Die politische Instabilität wird gefördert durch das Festhalten einer korrupten Oligarchie an der Macht. Präsident Ibrahim Boubacar Keïta war bei seiner Wahl im August 2013 populär. Im Jahr 2012 hatte ein Bündnis von Tuareg-Separatisten und Jihadisten den Norden vom Rest des Landes abgespalten. Das Bündnis zerfiel, im Januar 2013 griff dann das französische Militär ein. Es gab Hoffnungen, dass Keïta nach dieser tiefen Krise nun den Staat stabilisieren und die wuchernde Korruption eindämmen würde.
Doch die Korruption wurde seitdem nur schlimmer. Der jüngste Skandal war der Entzug des Stimmrechts für Mali bei den Vereinten Nationen Ende Januar. Das Land hatte seinen Mitgliedsbeitrag nicht bezahlt. Das dafür vorgesehene Geld wurde wohl hinterzogen. Vorige Woche wurde ein Abteilungsleiter im Haushalts­ministerium deswegen entlassen.
Während im Norden des Landes bewaffnete und teils mafiöse Gruppen von der politischen Krise und der Instabilität profitieren, sind es im Süden derzeit vor allem politisch-religiöse Kreise. Ein Teil der Imame mischt sich aktiv in die Politik ein, seit Dezember sind die Geistlichen in die Offensive gegangen. Infolge des Attentats auf das Hotel Radisson Blu im November 2015 hatte die Regierung den Ausnahmezustand verhängt, er gilt vorläufig bis Ende März. Deshalb wurden Feiern aus Anlass des Maouloud, des Geburtstags des Propheten Mohammed, der auf den 24. Dezember fiel, unter freiem Himmel abgesagt. Die Imame waren empört und begannen die Regierung unter Druck zu setzen.
Doch die Geistlichen sind untereinander zerstritten. Das gilt insbesondere für die eher traditionell-konservative malekitische Glaubensrichtung und die aus den Golfstaaten finanzierte Strömung der fundamentalistischen Wahhabiten, die nach der saudischen Staatsideologie benannt wurden, sich in Mali allerdings weniger streng geben. Repräsentanten der wesentlich toleranteren Richtung des Sufi-Islam halten sich hingegen aus politischen Auseinandersetzungen heraus.
Nachdem die Malekiten den Kompromiss akzeptiert hatten, ihre Maouloud-Feiern in geschlossenen Räumen abzuhalten, wurden sie von den Wahhabiten scharf angegriffen. Im Januar wurde daraufhin in einem Radiosender der Malekiten mitgeteilt, wer es noch wage, das malekitische Oberhaupt Ousmane Madani Haïdara öffentlich zu kritisieren, den müsse man »zusammenschlagen«. Kurz darauf drohte Haïdara damit, bei der nächsten Wahl 2018 »einen Imam an die Spitze des Landes zu bringen«. Manche Minister, darunter der Ressortleiter für Hochschulpolitik, Mountaga Tall, suchen dennoch nach Unterstützung von diesen Strömungen.
Die Malekiten sind keine Islamisten, fordern aber eine konservative Gesellschafts- und Familienpolitik. Sie und andere politisch-religiöse Kräfte profitieren von der Unpopularität fast aller anderen Akteure – eine Ausnahme sind die Gewerkschaften. Sie konnten in der vorigen Woche zu Streiks mobilisieren, vertreten aber vor allem den zahlenmäßig schmalen kleinen Bereich der Staatsbediensteten. Wenn die politische Krise anhält oder sich verschäft, dürften die Imame weiter an Einfluss gewinnen.