Die spanische Frauenband Hinds

Manchmal muss man eben selbst ran

Die einen wandern aus, die anderen gründen Bands und wundern sich über ihren Erfolg: Hinds aus Madrid gehören einer Generation junger Spanier an, der sich nur wenige Zukunftsperspektiven bieten.

Die Spanien-Ausgabe der Jungle World erschien im Oktober 2015. Damals zeichnete sich der Hype um Hinds bereits deutlich ab – ein Interview jedoch kam nicht zustande, die vier jungen Frauen aus Madrid waren schlicht zu beschäftigt: auf Tour in den USA, zum Videodreh nach Island, zwischendurch wurde das Album »Leave Me Alone« fer­tiggestellt, wofür exakt zwei Wochen Zeit zur Verfügung standen.
Mit dem Erfolg und all der Aufmerksamkeit hätten sie nicht gerechnet, sagen die Bandmitglieder. Hinds stammen aus dem Underground der Garagenrock-Szene, die sich rund um den Club Wurlitzer Ballroom in Madrid gebildet hat. Diego Garcia, Gitarrist der Band The Parrots, hat ihr Album produziert. »Die Garage-Szene in Madrid ist winzig«, sagt Ana Garcia Perrote, »es gibt vielleicht sieben oder acht Bands.« Jeder kennt jeden, man unterstützt sich gegenseitig und tauscht untereinander Mitglieder aus – ein familiäres Umfeld. Aber: In allen Bands spielten bisher nur Jungs. »Selbst wenn wir nach weiblichen Vorbildern gesucht hätten, es gab keine. Wir mussten also selbst eine Band gründen«, sagt Ana.
Für Hinds und einige andere junge Spanier erwies sich die Bandgründung auch als Ticket nach draußen. Vor allem Jugendliche und junge Erwachsene wurden von der Finanzkrise getroffen, sie sind deutlich ärmer geworden als die Restbevölkerung. Im November 2014 waren der OECD zufolge 53,5 Prozent der unter 25jährigen Spanier arbeitslos; jüngere Studien belegen, dass sich auf dem Arbeitsmarkt seitdem kaum ­etwas geändert hat. Die junge Generation gilt mal als »verloren« oder »vernachlässigt«, mal versehen Soziologen sie mit dem Etikett »ni-ni«: »weder-noch«. Gemeint sind junge Erwachsene, die wegen fehlender Zukunftsperspektiven resigniert haben, weder arbeiten noch studieren. Zu ihnen zählen viele Freunde und Bekannte der Band. »Die Studiengebühren sind hoch und steigen dramatisch an, je länger das Studium dauert. Fällt man bei einer Prüfung durch, kostet es noch mehr Geld. Deshalb müssen viele nebenher arbeiten, aber es gibt kaum Jobs.« Ana hatte auch ein Studium begonnen, Medizin: »Meine Eltern sind beide berufstätig und konnten die Gebühren bezahlen. Anfangs, dann wurde es zu teuer. Dabei bin ich noch nicht mal irgendwo durchgefallen«, sagt sie. »Aber streng genommen sind wir ja keine ›ni-nis‹ – wir arbeiten schließlich hart!« Ana lacht, ein bisschen bitter. Dem Image der Slackerinnen, das ihnen häufig angeheftet wird, weil sie gern Bier trinken und feiern, entsprechen sie nicht.
Die Gitarristinnen Ana Garcia Perrote und Carlotta Cosials lernten sich bei einem Konzertbesuch kennen und begannen als Duo, Ade Martin und Amber Grinbergen stießen dazu. Hinds waren geboren und begegneten ihrem blutigen Anfängerinnenstatus durch beherztes, exzessives Auftreten: »Keine von uns hat früher in einer anderen Band gespielt – bei den Jungsbands mitzumachen, kam für uns nicht in Frage. Wir haben uns alles selbst beigebracht.« Amber und Ana ereifern sich: »Fast alle männlichen Musiker, die wir kennen, haben schon als Kind ein Instrument gespielt. Gitarre, Schlagzeug, irgendwas Rockiges. ­Eltern ermuntern Jungs dazu; Mädchen lernen vielleicht Geige, aber am meisten werden sie dafür gelobt, wenn sie sich sozial verhalten und sich um andere kümmern.« Amber grinst und sagt: »Mir klopfen immer noch Typen auf die Schulter und sagen, wow, für ein Mädchen spielst du wirklich gut Schlagzeug!«
Das Bild amateurhafter Jungmusikerinnen bestimmt auch die Rezeption ihres Debütalbums. Charmante Nichtskönnerinnen seien die vier, die ihre geringen spielerischen Fähigkeiten kokett weglachten – das lässt sich in vielen Besprechungen zwischen den Zeilen herauslesen. Auch wenn Hinds auf grundsätzliches Wohlwollen stoßen: Ein Beigeschmack von jovialer Gönnerhaftigkeit bleibt, wenn in Kritiken von »angenehmem Dilettantismus« geschrieben wird. Vermutlich liegt Hinds nichts ferner, als schlechtgelaunten Kritikern irgendetwas beweisen zu wollen – »wir haben nie behauptet, dass wir Virtuosinnen sind«. Auf ihrem Album mischen Hinds Garagenbeat, jingly-jangly Indie-Gitarren mit Girlgroup-Gesang und punkiger Lo-Fi-Attitüde – Vorläufer zu ihrem Sound finden sich schnell, die Band macht keinen Hehl aus ihrer Arbeitsweise: »Wir wussten ja, was wir mögen: Kalifornische Bands, Garagenbeat, die Black Lips, The Strokes – aber wir hatten keine Ahnung, was aus uns herauskommen würde.«
Live haben die Songs viel mehr Power als auf Platte und es stimmt, wenn sich die Band verspielt oder einen Einsatz verpasst, lachen sie darüber, spielen den nächsten Song und machen das Beste daraus. Die Jungs kreischen und heben sich gegenseitig durchs Publikum. Vielleicht ist das die Zukunft des Rock ’n’ Roll. Es wäre nicht das erste Mal in der Musikgeschichte, dass vor dem Hintergrund eines perspektivlosen Umfelds etwas Wegweisendes entsteht.
Hinds: Leave me alone (Lucky Number/Rough Trade)