Die Reglementierung des Bargeldverkehrs in Europa und eine mögliche Entwertung von Bankguthaben

Weniger Wert

Der »War on Cash« könnte zur schrittweisen Entwertung von Ersparnissen führen.

»Vergiss nicht: Wir sind im Bargeldbusiness, Kleiner«, sagt der Mafiaboss Anthony Soprano in der nach seiner Familie benannten preisgekrönten Fernsehserie. Diesen Rat gibt er dem Nachwuchsgangster Chris Moltisanti mit auf den – schließlich relativ kurzen – Lebensweg, nachdem dieser, zu faul zum Geldeintreiben, ein Konto eingerichtet hatte.
Dieser Praxis, die sich jenseits der fiktiven Welt auch in weiten Bereichen der realen organisierten Kriminalität und des internationalen Terrorismus findet, wollen nun etliche Regierungen und Notenbanken in Europa enge Grenzen setzen. In Norwegen etwa geben die beiden größten Banken seit Januar weder Bargeld aus noch nehmen sie welches von ihren Kunden an. Eine Entwicklung, die das Nachbarland Schweden seit einem Entwurf der Enquete-Kommission des Reichstags zur Bargeldversorgung im August 2014 schon weitgehend im Alltag durchgesetzt hat. Selbst für Kleinstbeträge – beispielsweise in Kirchen zur Zahlung der Kollekte – stehen im Land des »Vorreiters des bargeldlosen Zahlungsverkehrs« (FAZ) überall Kartenlesegeräte bereit.
Auch in fast allen Ländern Ost- und Südeuropas gibt es diverse Beschränkungen des Bargeldverkehrs. In Frankreich beispielsweise besteht seit den Pariser Terroranschlägen eine Ausweispflicht für alle Vorgänge jenseits von 1 000 Euro und in Italien sind alle Transaktionen von über 2 999,99 Euro gänzlich verboten. Selbst unter Freunden darf man sich keine Summen darüber leihen. Innerhalb der EU ist lediglich in Lettland, Litauen, Slowenien, Österreich und der Bundesrepublik Bargeld noch ein unbegrenztes Zahlungsmittel.
Wenn es nach Wolfgang Schäubles Bundesfinanzministerium geht, bleibt das hierzulande nicht mehr lange so. Wie Anfang Februar bekannt wurde, wird erwogen, eine 5 000-Euro-Grenze für Barzahlungen einzurichten. Die Welt sei nach den Anschlägen von Paris im November nicht mehr dieselbe wie vorher, heißt es der FAZ zufolge zur Begründung in einem Papier des Ministeriums, in dem auch die verbesserte Bekämpfung von Geldwäsche, Steuerhinterziehung und Schwarzarbeit angeführt wird.
Dazu müssten die Befürworter von Restriktionen allerdings zunächst in Deutschland geltendes Recht fundamental ändern. Denn in § 14 des Bundesbankgesetzes heißt es relativ eindeutig, dass lediglich »auf Euro lautende Banknoten das einzige unbeschränkte gesetzliche Zahlungsmittel« darstellen, also lediglich sie von jedem und überall Anerkennung finden müssen, hingegen Schecks, Kreditkarten oder Überweisungen im Einzelfall abgelehnt werden können. Nun kann man eine solche Rechtsänderung der Bundesregierung getrost zutrauen, auch weil sie sich in Eintracht mit den zentralen EU-Institutionen befindet. So hat die Europäische Zentralbank (EZB) angekündigt, die 500-Euro-Scheine aus dem Verkehr ziehen zu wollen, und die EU-Kommission hat diesen Schritt ausdrücklich begrüßt. Seitdem kochen allerdings die Emotionen insbesondere im liberal-konservativen Lager von FAZ über FDP und Ludwig-Erhard-Stiftung bis in verschwörungstheoretische Blogs hoch. Vermutlich niemals zuvor ist Fjodor Dostojewski so häufig zitiert worden wie in diesen Tagen, da sein Diktum »Geld ist geprägte Freiheit« noch von jedem Wirtschaftsliberalen angeführt wird.
Aber auch jenseits derer, die in bourgeoiser Manier fordern, dass man mit seinem Geld schließlich machen dürfe, was man wolle, und der für Linke besseren Argumention von Einschränkungen der Bürgerrechte und den nicht zu unterschätzenden Folgen für die global 200 Millionen Flüchtlinge, deren Transfers in Höhe von insgesamt 420 Milliarden US-Dollar jährlich ganze Regionen in ihren Herkunftsländern halbwegs stabilisieren, gibt es gute Gründe für ein erhöhtes Misstrauen.
Dabei hilft ein Blick zurück zum Beginn der gegenwärtigen Debatte. Einer der Pioniere des »War on Cash«, der ehemalige Chefökonom des Internationalen Währungsfonds (IWF), Kenneth Rogoff, hatte bereits seit Herbst 2014 vehement für die Reglementierung des Bargeldverkehrs geworben. Im November des selben Jahres hatte der Harvard-Ökonom seine Thesen auch in Deutschland beim Ifo-Institut in München vorgestellt. Im Zentrum seiner Argumentation stand allerdings weniger der Kampf gegen Steuerhinterzieher oder Drogenkartelle, sondern die Sorge um die Grenzen der Niedrigzinspolitik. Ein Leitzins von null Prozent sei die faktische Untergrenze, denn darunter würden die Menschen die von den Banken weitergegebenen Negativzinsen umgehen und ihr Geld bar horten. »Papiergeld ist das entscheidende Hindernis, die Zentralbankzinsen weiter zu senken«, referierte Rogoff seinerzeit. »Seine Beseitigung wäre eine sehr einfache und elegante Lösung«, um die gewünschten Minusraten von vier bis fünf Prozent realisieren zu können.
Diese Idee hatte zuvor der ehemalige US-amerikanische Finanzminister Larry Summers ins Spiel gebracht, der bereits seit 2011, wenn auch weniger öffentlichkeitswirksam, für die langfristige Abschaffung des Bargelds geworben hatte. »Die Zentralbanken könnten auf diese Weise leichter Negativzinsen durchsetzen, um so die Wirtschaft anzukurbeln«, sagte Rogoff. Nur fünf Monate nach der Einführung eines negativen Einlagenzinses durch Mario Draghis EZB wird man diese weitere Möglichkeiten offerierende Argumentation wahrgenommen haben.
Dass nebenbei durch den Zwang, das Geld auf dem Konto verwahren zu müssen, nicht nur der weiteren staatlichen Besteuerung etwa von Transaktionen die Tore geöffnet, sondern auch einer Bankenfinanzierung Vorschub geleistet werden könnte, mag derzeit spekulativ sein. Dass aber bei zukünftigen Turbulenzen einzelner Banken auch Menschen mit kleinen Einlagen zur Finanzierung der Finanzinstitute herangezogen werden würden – ein soganntes bail-in, wie es in Zypern bei Vermögenden oder in Spanien und Griechenland durch allgemeine Kontengebühren oder Kontenentwertungen bereits angewandt wurde – scheint mehr als wahrscheinlich. Die gegenwärtig gültige Einlagengarantie für Gelder auf Konten bis zu 100 000 Euro innerhalb der EU würde jedenfalls zu Makulatur. Negative Zinsen würden ein permanentes Bankensponsoring festschreiben. »Negativzinsen für Kleinsparer sind wohl nur noch eine Frage der Zeit«, hatte der Chef der schweizerischen Onlinebank Swissquote und aktive Fürsprecher der Bargeldabschaffung, Marc Bürki, bereits Anfang August in der eidgenössischen Sonntagszeitung zufrieden angekündigt. In Deutschland sind die Lobbyorganisationen der Finanzindustrie zwar vorsichtig genug, nicht zu weit zu gehen, aber im internen Kreis, beim Treffen der Wirtschaftsexperten und Politiker in Davos, hat der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Bank, John Cryan, die Richtung bereits vorgegeben: Bargeld sei »fürchterlich teuer und ineffizient« – und in zehn Jahren Geschichte.
So erfreulich dies für die Finanzinstitute sein dürfte, im Kern geht es den Fürsprechern eines ausschließlich bargeldlosen Zahlungsverkehrs um den Zugriff auf die ruhenden Reserven, die sich bar in den Händen der Bevölkerung befinden und wegen fehlender attraktiver Investitionsmöglichkeiten keinen Einzug in die Akkumulationsfonds und häufig auch nicht den Konsum finden. Dies ist die »Nutzbarmachung« von Kapital, von der Rogoff und in Deutschland der »Wirtschaftsweise« Peter Bofinger sprechen. Der Geschäftsführer der DNB, der größten Bank Norwegens, Trond Bentestuen, drückte dies in einem Interview mit der Zeitung Verdens Gang, in dem er zum völligen Verzicht seiner Bank auf Bargeld befragt wurde, im Januar folgendermaßen aus: »60 Prozent des Geldes, das in Norwegen in Umlauf ist, ist außerhalb unserer Kontrolle.«
Makroökonomisch ausgedrückt hört sich das so an: »In dem Moment, wo zu viele beginnen, (Bar)geld zu horten, hört Geld auf, ein gesellschaftlich sinnvolles Sparvehikel zu sein«, erklärte in der vergangenen Woche der Chefökonom des einflussreichen neoliberalen Thinktank Centre for European Reform, Christian Odendahl, den Lesern der Zeit in einem Artikel mit dem programmatischen Titel »Es gibt kein Grundrecht auf Bargeld«. Odendahl fordert darin von den Zentralbanken eine aggressive Erzeugung von Nachfrage, genauso wie »Investitionen in gleicher Höhe«. Denn wenn die Kleinsparer nicht einfach zusehen wollen, wie das Geld auf ihren Konten weniger wird, müssten sie es ohne die Möglichkeit der Schatzbildung in bar entweder in den Warenhäusern der Welt ausgeben oder angesichts der bereits bestehenden Überakkumulation riskant investieren.
Wofür sich Tony Soprano wohl entscheiden würde? Zumindest könnte er sich damit trösten, dass in der fernen Heimat Italien bisher keine Folgeerscheinungen der Bargeldres­triktionen auf die Geschäfte der organisierten Kriminalität festgestellt werden konnten.