Donald Trump, Bernie Sanders und die Abkehr vom Freihandel

Protektionsmus als Wahlkampfschlager

Im US-Vorwahlkampf stößt das bis vor kurzem noch dominante Freihandelsdogma innerhalb der beiden großen Parteien auf Kritik.

Hunderte Menschen nahmen am letzten Februarwochenende an der großen, gegen das transatlantische Freihandelsabkommen TTIP gerichteten Strategie- und Aktionskonferenz teil. In der Abschlusserklärung bekundeten die Teilnehmer, »noch enger mit unseren Freundinnen und Freunden in den Ländern Europas, in den USA, in Kanada und den Ländern des globalen Südens zusammenarbeiten« zu wollen. Unwahrscheinlich, dass sie damit Donald Trump gemeint haben. Derzeit bietet der Präsidentschaftskandidat der Republikaner in den USA vermutlich aber die einzige realistische Chance, die Ratifizierung des Abkommens noch zu verhindern. So sieht das auch der Präsident des Verbandes der Familienunternehmer in Deutschland, Lutz Goebel. »TTIP-Gegner hierzulande müssten sich über Trump eigentlich freuen, denn ein nationalistischer und protektionistischer Präsident wird den Handel zwischen den USA und Europa eher einschränken als weiter ausbauen«, sagte Goebel unlängst der Nachrichtenagentur Reuters.
Aber nicht nur in Deutschland ängstigt diese Aussicht einige. »Trump bricht mit 200 Jahren ökonomischer Orthodoxie«, kommentierte etwa die New York Times jüngst. Das republikanische Establishment reagiert mit wachsender Panik auf den in den Vorwahlen der Partei von Sieg zu Sieg eilenden Trump. David Boaz beispielsweise, der Vizepräsident des Cato Institute, des derzeit einflussreichsten Think Tanks der Hardliner der »Grand Old Party«, wirft ihm einen kompletten »Bruch mit den amerikanischen Traditionen« und denen der Partei vor. Schon ob dies für die rassistischen, homophoben und sexistischen Ausfälle gilt, mit denen sich der Multimilliardär immer wieder öffentlichkeitswirksam zu Wort meldet, darf getrost bezweifelt werden. Wirtschaftspolitisch wird man ihn dagegen in jedem Falle als Ultratraditionalisten seiner Partei begreifen müssen. Denn keinen Zweifel lässt Trump daran, dass er der nach wie vor schwachen US-Wirtschaft als Präsident mit einem strikt protektionistischen Programm auf die Beine zu helfen gedenkt, wie es zumindest bis zum Zweiten Weltkrieg integraler Bestandteil des republikanischen Selbstverständnisses war. Ihren Höhepunkt erreichte diese Tradition 1930 im Smoot-Hawley-Gesetz unter dem republikanischen Präsidenten Herbert Hoover – mitten in der großen Weltwirtschaftskrise und entgegen der Zählweise der New York Times innerhalb der vergangenen 200 Jahre. Insgesamt etwa 21 000 verschiedene Strafzölle waren darin festgeschrieben, was dazu beitrug, die Weltwirtschaft zu lähmen.
»Ich liebe Amerika. Und wenn man etwas liebt, beschützt man es mit allem, was man hat.« So beschreibt Trump in seinem Buch »Time to Get Tough« von 2011, das als Wahlprogramm seiner Kandidatur gelten kann, seine wirtschaftspolitischen Grundsätze. Die Auflösung der nordamerikanischen Freihandelszone Nafta wird darin genauso gefordert wie 45prozentige Strafzölle gegenüber China und die Aussetzung aller Verhandlungen über weitere Freihandelsabkommen. Zwar hat Trump die Forderungen nach Einfuhrzöllen mittlerweile zumindest in der Höhe reduziert, von 45 auf zuletzt 25 Prozent, im Kern sein protektionistisches und isolationistisches Programm aber beibehalten, im Gegensatz zu seinen parteiinternen Mitbewerbern. Das am 4. Februar unterzeichnete pazifische Freihandelsabkommen TPP etwa bezeichnete er im Januar als »Angriff auf Amerikas Business«. Und das Außenhandelsdefizit gegenüber China von im vergangenen Jahr 336 Milliarden US-Dollar gilt ihm als »größter Diebstahl der Weltgeschichte«. Besondere Popu­larität bei der Mittelschicht und auch vielen weißen Arbeitern, die Trumps Wählerklientel darstellen, genießt die Forderung nach Strafsteuern für Unternehmen, die Arbeitsplätze ins Ausland verlagern. Die Forderung nach dem Boykott von Oreo-Keksen, deren Produktion von Chicago nach Mexiko verlegt worden war, ließ zuletzt Trumps Umfragewerte nochmals steigen – und dies selbst unter den traditionell die Demokraten unterstützenden Gewerkschaftern, wie die Washington Post berichtete.
Einen Bruch mit der auf den Freihandel setzenden Politik der vergangenen Jahrzehnte und vor allem jener der letzten drei Präsidenten – Bill Clinton, George W. Bush und Barack Obama – fordert aber nicht nur Trump, sondern auch der linke demokratische Bewerber Bernie Sanders. Und dies wie Trump ebenso in Opposition zu seinem Parteiestablishment. Zwar gab es innerhalb der Demokratischen Partei in den vergangenen Jahrzehnten im Gegensatz zu den Republikanern immer wieder protektionistische Vorstellungen, etwa im Wahlkampf Bill Clintons 1992, als er die Ratifizierung des Nafta-Abkommens ablehnte, das er dann später selbst unterschrieb, oder in den geplanten »Buy American«-Klauseln des ersten Konjunkturpakets der Regierung Obama, die dann doch gestrichen wurden. Letztlich setzten die Parteien in seltener Einigkeit dann aber doch stets die Freihandelsabkommen gemeinsam durch. Eine Politik, die Sanders zuletzt mehrfach als »desaströs« bezeichnet hat. Auch wenn die Programme des sich selbst als »demokratischen Sozialisten« bezeichnenden Sanders und des Steuer- und Umverteilungsfeindes Trump ansonsten mei­lenweit auseinander liegen, so will auch Sanders die Freihandelsabkommen lieber heute als morgen abgeschafft sehen und Unternehmen notfalls zwingen, Arbeitsplätze in den USA zu erhalten.
Dieser neue Hang zum Protektionismus dürfte zur Erfolgsgeschichte der beiden zunächst als aussichtslos gehandelten Kandidaten beigetragen haben. Nach Umfragen des britischen Economist aus dem Jahre 2011 wandten sich bereits damals 44 Prozent der US-Bürger eindeutig gegen jegliche Freihandelspolitik, während lediglich gut ein Drittel diese unterstützte. Überraschenderweise waren unter den Gegnern auch 63 Prozent der Anhänger der Tea-Party-Bewegung, der Ultrakonservativen, die sich ansonsten gegen jegliche Staatsinterventionen aussprechen und eine wichtige zusätzliche Wählerbasis des nicht gerade als religiös geltenden Trump darstellen könnten. Offensichtlich hat sich dieser Trend seitdem noch weiter verstärkt. So war zuletzt selbst die Favoritin der Wall Street und designierte demokratische Präsidentschaftsbewerberin, Hillary Clinton, zumindest ansatzweise von ihrem Freihandelskurs abgewichen. Bereits im Oktober hatte sie eine »Handels-Auszeit« von dem von ihr selbst als Außenministerin ausgehandelten TPP gefordert und sich in einer Fernsehdebatte in der vergangenen Woche auch Trumps und Sanders’ Forderung nach Strafsteuern für Unternehmen, die Arbeitsplätze ins Ausland verlagern, zu eigen gemacht. Mit dem 2012 von Obama geprägten Slogan »Arbeitsplätze durch Freihandel« scheint sich derzeit kein Wahlkampf in den USA machen zu lassen.