Der Medienunternehmer Vincent Bolloré

Verbranntes Papier

Er begann mit dem Verkauf von Zigarettenblättchen. Heute ist Vincent Bolloré ein international agierender Geschäftsmann. Als Medienunternehmer ist er in Frankreich gefürchtet.

»Darf man noch über die Aktivitäten des Bolloré-Konzerns berichten?« fragte sich die Zeitschrift Basta Magazine kürzlich. Der in zahlreichen Branchen tätige Unternehmer Vincent Bolloré hatte die finanzschwache Publikation vor Gericht gebracht. Die Hauptverhandlung fand im Februar statt. Das Urteil wird noch im April erwartet. Das 2008 im Milieu von Bürgerinitiativen entstandene Magazin beschäftigt sechs hauptberufliche Journalisten, die Online-Ausgabe klicken im Monat von rund 200 000 Leser an.
Der Multimilliardär Vincent Bolloré wird von Journalisten gefürchtet, nicht zuletzt von den Mitarbeitern seiner Medienunternehmen. Kürzlich veröffentlichte die französische Wochenzeitung Le Canard enchaîné eine »schwarze Liste« mit Namen von Journalisten, auf deren Abgang Bolloré zielstrebig hinarbeite. Hinausdrängen möchte er demnach den Fernsehjournalisten Jean-Baptiste Rivoire, den Moderator Patrick Menais und den von Bolloré wegen kritischer Äußerungen in Le Monde als »Verräter« qualifizierten Reporter Olivier Ravanello.
Nachdem der heute 63jährige Vincent Bolloré im Jahr 1981 zusammen mit seinem Bruder das Familienunternehmen OCB übernahm, baute er sich ein Firmenimperium auf, das sich längst über mehrere Kontinente erstreckt. OCB produzierte zunächst Papiererzeugnisse, darunter die berühmten dünnen Zigarettenblättchen, doch bald konzentrierte Bolloré sich auf die Herstellung von Teebeuteln.
Zu wirtschaftlichem Einfluss gelangte er, als er Monokulturplantagen, Eisenbahnlinien und Häfen im französischsprachigen Afrika zusammenkaufte und aus ihnen immer höheren Profit herauspresste. Zu ökonomischer Macht kommt längst auch politischer Einfluss. Am deutlichsten wurde das während der Amtszeit des früheren Präsidenten Nicolas Sarkozy. Dieser hatte gleich nach seiner Wahl und noch vor seiner Amtseinführung im Mai 2012 einen Skandal entfacht, als er für eine Woche aus der Öffentlichkeit verschwand. Zunächst hatte Sarkozy erklärt, er werde sich zum Meditieren in ein Kloster zurückziehen, doch bald darauf kamen Fotos in Umlauf, die ihn zur fraglichen Zeit an Bord einer Luxusyacht zeigten. Die allzu dick aufgetragene Lüge stieß vielen in Frankreich übel auf. Die Yacht gehörte Vincent Bolloré. Zusammen mit seinem Privatjet hatte er sie seinem Duzfreund Sarkozy zur Verfügung gestellt. Doch auch unter der seit 2012 amtierenden sozialdemokratischen Regierung muss Bolloré sich nicht über mangelnde Zuneigung beklagen.
Im Juni 2014 wurde er zum Aufsichtsratsvorsitzenden des Mischkonzerns Vivendi gewählt. Zwei Jahre zuvor war der Großunternehmer dort als Aktionär eingestiegen, mit zunächst fünf Prozent der Kapitalanteile. Inzwischen hält er dort 15 Prozent und ist damit stärkster Einzelaktionär, da viele Eigentumstitel an dem Multikonzern mit einem Börsenwert von etwa 30 Milliarden Euro sich in Streubesitz befinden. Seitdem Bolloré den Posten des Aufsichtsratsvorsitzenden übernehmen konnte, gibt er den Ton an und die Strategie des Unternehmens vor. Zudem kauft er weiterhin in Milliardenhöhe Aktienpakete des Konzerns auf, um seinen Anteil noch auszubauen.
Vivendi ging 1998 aus der früheren Compagnie générale des eaux hervor, die einstmals – seit 1853 – mit der Wasserversorgung für französische Kommunen begonnen hatte. Mit überhöhten Preisen und politischer Korruption konnte der ehemalige Anbieter von Dienstleistungen für die öffentliche Hand viel Kapital ­anhäufen, das dann in unterschiedlichste Bereiche investiert wurde, von der Umwelttechnik bis zur Musikbranche. Eine Beinahe-Pleite im Jahr 2002 sorgte für die Herauslösung mancher Sparten aus dem Konzern. Heute gilt Vivendi als weltweit zweitgrößtes Unternehmen der Unterhaltungsbranche, gleich hinter Walt Disney. Im Jahr 2014 erzielte der Konzern einen Spitzenplatz beim Green Score und wurde als angeblich umweltschonendes Unternehmen ausgezeichnet. Erfolgreiches Greenwashing nennt man das. Zum Vivendi-Konzern zählen auch die beiden französischen TV-Sender Canal+ und i-Télé, das französische Youtube-Pendant Dailymotion und die Universal Music Group.
Insgesamt hat Vivendi gut acht Millionen Kundinnen und Kunden. Doch wie am 19. Februar bekannt wurde, verloren die Mediensparten des Unternehmens im Vorjahr rund 405 000 Abonnenten. Unter anderem Bollorés Kehrauspolitik, die unbequeme Stimmen in seinen Me­dien­unternehmen zum Schweigen bringen sollte, hat viele Kunden zur Kündigung veranlasst. Auch seine neue Bezahlpolitik für vormals kostenlose Programme bei Canal+ kommt nicht gut an.
Diese betrifft insbesondere die satirische Puppensendung »Les Guignols«. Das Format, das seit 1988 eine große und treue Zuschauergemeinde besaß, läuft inzwischen nicht mehr sonderlich gut. Nach halbjähriger Zwangspause wird es seit dem 14. Dezember vorigen Jahres wieder ausgestrahlt. Zuvor war es völlig umgekrempelt worden, auch am Titel – früher lautete er »Les Guignols de l’info« (»Die Info-Kasper«) – wurde gespart. Die vier vormaligen Autoren des täglichen Drehbuchs wurden durch vier neue ersetzt: Matthieu Burnel, Nans Delgado, Cédric Clémenceau und Frédéric Hazan. Die Satiresendung ist heute weniger politisch. Und war sie früher gratis zu empfangen, so ist sie heute entweder zahlungspflichtig oder nur mit zeit­licher Verzögerung bei Dailymotion im Internet zu sehen.
Noch im Sommer und Herbst vergangen Jahres sah es so aus, als würde die Sendung eingestellt. Dagegen richtete sich im Juli eine Petition, die innerhalb weniger Wochen 43 000 Unterschriften erhielt. Bolloré scheute den Imageschaden, den ihm die vollständige Abschaffung der Sendung eingebrachte hätte, und begnügte sich mit einem teilweisen Austausch von Inhalten und Redakteuren.
Unterdessen versucht die Redaktion von Canal+ sich vor dem neuen Chef zu schützen, etwa indem sie eine »Journalistengesellschaft« (SDJ, Société des journalistes) gründete, die mit dem Unternehmen verhandelt. Sie arbeitete einen Entwurf für eine »Ethik-Charta« aus, welche die Unabhängigkeit der redaktionellen Arbeit garantieren sollte. Die Direktion gab darauf jedoch keinerlei Antwort. Am 2. März dieses Jahres wurde in einem Ausschuss der französischen Nationalversammlung ein Vorentwurf für ein Gesetz zur Einrichtung einer »Ethikkommission« in Medienkonzernen debattiert. Es ist jedoch fraglich, ob er noch in dieser Legislaturperiode durchkommt, die in einem Jahr zu Ende ist. Der Textentwurf sieht die Einrichtung einer »Ethikkommission« in Medienkonzernen vor.
Im Hause Bolloré wurden bereits mehrere Filmbeiträge zensiert oder aus dem Programm gestrichen, die dem Unternehmer nicht passten. Am 12. Februar stellte die Sendung »Arrêt sur images« eine längere Liste der von Bolloré »verbotenen Themen« auf. Sie soll von Jean-Baptiste Rivoire übermittelt worden sein, weswegen er auf der »Abschussliste« stehen soll.
Im Mai 2015 wurde ein kritischer Dokumentarfilm über das Finanz­gebaren der Bank Crédit Mutuel-CIC – es ging um Beihilfe zur Steuerflucht – kurzfristig abgesetzt. Wie die Internetzeitung Mediapart im Juli desselben Jahres erfuhr, hatte Vincent Bolloré die Redaktion von Canal+ angerufen und sich auf seine persönlichen Geschäftsbeziehungen zum Chef der Bank, Michel Lucas, berufen. Letzterer dient als Kreditgeber bei der Expansionsstrategie Bollorés durch Unternehmensaufkäufe.
Keine Chance haben Beiträge, die sich den Geschäftspraktiken Bollorés und seines Privatunternehmens – des Groupe Bolloré – in Afrika widmen. Dort, als Nutznießer der kolonialen und neokolonialen Politik Frankreichs, wuchs Bolloré in den vergangenen 30 Jahren zu einem Wirtschaftsgiganten heran. Zunächst betrieb er Tabakanbau. Heute kontrolliert er vielerorts die Infrastruktur, die Transportwege und mehrere Häfen an der Atlantikküste.
Wer seine Methoden kritisiert, bekommt es mit der geballten wirtschaftlichen Macht Bollorés zu tun. Nicht nur in seinen eigenen Sendern. Bolloré hat auch die Zeitung Le Monde mit dem Verlust von 7,6 Mil­lionen Euo an Werbeeinnahmen bestraft, weil ihm ein Artikel vom Oktober 2013 in deren Wochenendbeilage Le M missfiel. Es ging um unlautere politische Einflussnahme von Bolloré in der Côte d’Ivoire, um ein Monopol über den Hafen von Abidjan zu erlangen.
Aber es kam noch schlimmer. Denn Bolloré erstattete Strafanzeige gegen mehrere – ihm nicht gehörende – Medien, die sich erdreistet hatten, über dasselbe Thema sowie über die in Luxemburg ansässige Firma Socfin zu berichten. Letzterer wird vorgeworfen, land grabbing unter anderem in Westafrika zu betreiben und an Abholzungsmaßnahmen beteiligt zu sein. In Sierra Leone sind Anwohner, die sich mit Socfin angelegt hatten, bis heute inhaftiert. Vincent Bolloré gehören knapp 40 Prozent der Anteile an Socfin. Er erklärt, dass er nur Hauptaktionär, jedoch nicht Mehrheitseigentümer der Holding sei und deshalb auch keinerlei Verantwortung für deren Unternehmenspolitik trage.
Beim Megakonzern Vivendi genügen ihm jedoch bislang 15 Prozent der Anteile, um ihn faktisch zu führen. Schließlich verklagte er auch das Basta Magazine.
Schon in der Vergangenheit schaffte es Bolloré, renommierte Medien gerichtlich verurteilen zu lassen. Im Jahr 2009 strengte er einen Prozess gegen Benoît Collombat an, einen Rundfunkjournalisten bei einem der größten Radiosender in Frankreich, der öffentlich-rechtlichen Anstalt France Inter. Er hatte in einem gut 45minütigen Beitrag über Bolloré gehörende Bananenplantagen in Kamerun, die dort bezahlten Hungerlöhnen und die Schädigung von Umwelt und Anwohnern durch Pestizide berichtet. Üble Nachrede, ­behauptete Bolloré. Er echauffierte sich auch darüber, die Sendung sei nicht ausgewogen, da die Sichtweise seines Unternehmens nicht zu Wort komme. Dessen Filiale in Kamerun hatte jedoch ausnahmslos alle Interviewwünsche und sonstige Anfragen abgelehnt. Bolloré ging mit einer, so Collombat bei einer Veranstaltung in der vorvergangenen Woche, »Schleppnetztaktik« vor: Er zeigte gleich eine riesige Fülle von Ausführungen in der Radiosendung an, die fast 80 Prozent von deren Gesamtumfang ausmachten. Die Richter hielten es für eine weise, eine salomonische Entscheidung zu treffen, jeder Seite ein wenig Recht zu geben: Sie verurteilten Collombat für eine kritische Aussage, sprachen ihn jedoch für eine Reihe weiterer Zitate frei.
Ähnlich verfährt der Konzern derzeit im Fall des Basta Magazine. Er bemängelt neun Zitate aus dessen Artikel, der allgemein dem Thema land grabbing und gar nicht speziell Bolloré gewidmet ist. Nur in vier der vor Gericht verhandelten Passagen kommt Bolloré explizit vor. Aber vielleicht kommt er damit durch, und falls er es dieses Mal nicht schafft, hat der Konzern vorsorglich gleich noch eine zweite Strafanzeige gegen das kleine Internetmagazin vorbereitet.
Sie wurde eingereicht, weil das Basta Magazine in relativ neutralem Tonfall über Verhandlungsbemühungen beim Contact Point der OECD berichtet hatte. Diese Behörde bei der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung setzte Gespräche zwischen Bolloré und Einwohnern Kameruns, die sich über Praktiken in seinen dortigen Plantagen beschweren, an. Bolloré ließ sich darauf ein. Dies bedeutet eine indirekte Anerkennung der Tatsache, dass es dort ein paar Probleme geben könnte. Dafür, dass es die Existenz solcher Probleme suggeriert habe, will der Konzern nun jedoch Basta Magazine verurteilt sehen.
Zu den Presseerzeugnissen, gegen die sich die Klagen Bollorés richteten, zählen derzeit auch die Netzzeitung Mediapart sowie die Wochenmagazine L’Obs – früher Le Nouvel Observateur – sowie L’Express. Eine Klage gegen einen Artikel aus der Pariser Abendzeitung Le Monde soll Bolloré indessen zurückgezogen haben.