Der erste »Soccer Poetry Slam Ruhr« in Dortmund

Scheiße gespielt, aber Hauptsache gewonnen

Im Dortmunder Fußballmuseum fand der »1. Soccer Poetry Slam Ruhr« statt. Es ging dabei nur am Rande um Fußball.

Es scheint eine zwangsläufige Entwicklung zu sein, dass Unterschichtssubkulturen bei ihrem Weg in den gesellschaftlichen Mainstream das Aggressiv-Subversive weggeschliffen wird und sie mit einem neuen Label versehen werden. So wird aus Graffiti »Street Art« und aus einer MC-Rap-Battle eben »Poetry Slam«.
Während man sich in der ursprünglichen Form noch irgendwie in Gefahr begab – Sprayer werden von der Polizei gejagt, Rapper tauchen in dunkle Keller ab, wo es nach Schweiß riecht, die Luft mehrfach ausgefurzt wurde und aus dem Stegreif der Gegner noch ordentlich gedisst wird – ist Poetry Slam so etwas wie die bürgerliche Nerd-Variante der Subkultur.
Das Deutsche Fußballmuseum lud Ende April zum ersten »Soccer Poetry Slam Ruhr« in seine Räume. Das Museum liegt direkt am Hauptbahnhof in Dortmund – einer Stadt also, die angeblich echte Liebe für den Fußball empfindet. In der Ausstellung war ich noch nicht, denn obwohl im Ruhrgebiet geboren, aufgewachsen und dortgeblieben, interessiere ich mich nicht für Fußball, sondern nur für den BVB.
Während ich also warte, dass es losgeht, schweifen meine Gedanken ab zu meiner Kindheit in Wattenscheid, als Sohn eines Maschinenschlossermeisters aus Gelsenkirchen, der im Fußball nur Schalke kannte. Bei Heimspielen ging mein Vater ins Parkstadion. Auswärtsspiele besuchte er nur in Bochum und Dortmund. Das bedeutete an Samstagen, entweder auf meinen Vater zu warten und gemeinsam Sportschau zu gucken (bei Heimspielen) oder die WDR-Konferenz im Radio zu hören (bei nicht beim VfL oder beim BVB stattfindenen Auswärtsspielen).
Nach Heimspielen gab es je nach Spielergebnis standardisierte Schimpftiraden. Bei Schalker Heimsiegen lautete der Standardspruch: »Die haben wieder eine Scheiße gespielt, aber wenigstens gewonnen.« Ein Unentschieden wurde mit einem »Die haben wieder eine Scheiße gespielt, aber wenigstens einen Punkt geholt« kommentiert. Und Heimniederlagen wurden mit einem gewissen Furor bedacht: »Die Krampen, die haben wieder eine Scheiße gespielt, da geh ich nie wieder hin, die können mich mal … « Unnötig zu erwähnen, dass dies stets ein leere Drohung war.
Nach Siegen gab mein Vater mir und meinem kleinen Bruder 50 Pfennig für ein Dolomiti von der Bude, Derbysiege waren ihm ein Cornetto Erdbeer wert.
Zum Start des Poetry Slams erklärt der Moderator »Sebastian23« die Regeln. Es gibt sechs Teilnehmer, diese werden paarweise im Losververfahren zusammengeführt und eine Jury aus drei ehemaligen Bundesligaspielern, Ingo Anderbrügge, Thomas Ernst und Patrick Owomoyela, sowie zwei Zuschauern hält Tafeln mit Nummern von Eins bis Zehn hoch. Niedrigste und höchste Punkte werden gestrichen und der Rest wird zu einer Wertung addiert.
»Sebastian23« ist einer der Könner der Poetry-Slam-Zunft. Der mehrfache deutschsprachige Meister im Poetry Slam ist gleichzeitig Cheftrainer der Poetry-Slam-Szene im Ruhrgebiet, wobei ihm, wie er selber betont, sein Philosophiestudium geholfen hat. Das könnte also ein witziger Abend werden. Es kommt leider anders.
Den Anfang macht Daniel Wagner mit einem Vortrag über die Gefahren der Fehlernährung durch Sammelpunkte auf Kinderriegeln. Diese werden regelmäßig anläßlich von großen Fußballevents auf Produkte gedruckt, die hauptsächlich aus Zucker und Fett bestehen. Das prangert er an.
Obwohl er schon mal deutscher Vizemeister war, ist seine Vortragstechnik eher wirr und statt flüssiger Rhetorik verfällt er ins lautstarke Krakeelen. Aber da Zucker und Fett nun mal gar nicht gehen, räumt er kräftig Punkte ab.
Insgesamt gab es in der Vorrunde nur zwei wirklich interessante Beiträge über Fußball zu hören. Den von Björn Gögge vorgetragenen Text »Bolzplatzlegenden«, ein anrührendes Stück über die Zeit der Kindheit, wo zum Fußball nur ein paar Freunde, vier Gegenstände, die auf irgendeinem Stück freier Erde dazu dienten, zwei Tore zu markieren, und ein Ball nötig waren. Und über die dabei entstandenen Freundschaften und ihr sanftes Verblassen in der Zeit des Erwachsenwerdens. Dieser wunderschöne Text, der sogar auswendig vorgetragen wurde, räumte die höchste Punktzahl des Abends ab (29) und ließ erahnen, was ein Poetry Slam über Fußball bieten könnte.
Die einzige Frau im Aufgebot, Lisa Schøyen, verlas dagegen ein surreales Stück Lyrik, das in der Form eines Bühnenvortrags allerdings einfach untergehen musste, aber fast schon literarisch zu nennendes Talent offenbarte. Es bekam die niedrigste Punktzahl des Abends.
Damit war die Vorrunde vorbei und die drei Finalisten standen fest. Der Krakeeler Daniel Wagner, Björn Gögge und Christof mit f, der sich mit einem Text über Sportluschen in die Finalrunde gejammert hatte.
Bevor es losging, erklärte »Sebastian23«, dass in der Finalrunde nur freie Texte vorgetragen würden, die nichts mehr mit Fußball zu tun haben müssten. Er selber gab zur Überleitung einen eigenen Text zum Besten, der sich Gedanken über Dinge machte: Schrauben sind Nägel mit Falten, Schränke sind Häuser für Sachen. Hmmmm.
Einen Soccer Poetry Slam ohne Texte über Fußball über die Zeit zu retten, ist schon eine eigenartige Idee. Denn mal ernsthaft: Soccer Poetry Slam Ruhr. In Dortmund. Echte Liebe. Ruhrgebiet. Schalke um die Ecke. Herzkammer des Fußballs. Fußballmuseum. Heilige Erde. Und im Finale keine Fußballtexte? Echt jetzt?
Erstaunlich, dass eine Veranstaltung, die Soccer Poetry Slam hieß, es nicht schaffte, Menschen aufzutreiben, die in der Lage waren, zwei Texte, ja, nur zwei Texte, zum Thema Fußball zu verfassen und unfallfrei vorzutragen. Wobei der Godfather des Poetry Slam, »Sebastian23«, angeblicher Cheftrainer der Zunft, es nicht einmal schaffte, auch nur einen Text zum Thema Fußball herauszuhauen. Da konnte unsere Oma ja mehr und lustigere Geschichten über Fußball erzählen. Aus dem Stegreif, ohne Anlauf. Und die hat nie gespielt, war nie im Stadion. Die kannte Fußball nur aus der Sportschau. Es war zum Fremdschämen.
Die Finalrunde ist schnell erzählt, die Bolzplatzlegende Björn Gögge stürzte mit einer merkwürdigen Ode an das Bier ab, Christof mit f wünschte sich jammernd ein Leben als männliche Lesbe. Und Daniel Wagner krakeelte einen Text über die AfD. Er gewann. Man kann bewundern, wie kaltschnäuzig er die Themen der maximalen bürgerlichen Selbstvergewisserung präsentierte, Ernährung und Irgendwie-gegen-rechts-Sein. Nur was mit Fußball, das kann er offenkundig nicht. Aber da sich niemand in der Jury traute, seine Themaverfehlungen entsprechend zu bewerten, siegte er haushoch. Mit anderen Worten: Scheiße gespielt, aber Hauptsache gewonnen.
Bleibt nur noch die Empfehlung für den bestimmt bald anstehenden nächsten Soccer Poetry Slam Ruhr: Nicht hingehen, auf gar keinen Fall!
Stattdessen mal was riskieren. Irgendwo im Ruhrgebiet an irgendeinem Kiosk stehen bleiben, wo Menschen in Trikots rumstehen, einen Schokoriegel und eine Flasche Bier kaufen, es wird Sie nicht umbringen, sich dazuzustellen und den Gesprächen zu lauschen. Mehr Fußballpoesie geht nicht.