Neues Regierungskabinett in Brasilien

Nach der feindlichen Übernahme

Die brasilianische Präsidentin wurde suspendiert. Das neue Kabinett des Interimspräsidenten verheißt nichts Gutes.

Geht sie oder bleibt sie? Den Takt des Amtsenthebungsverfahrens gegen die brasilianische Präsidentin Dilma Rousseff geben seit Wochen nervöse Kurzmeldungen. »Möglicher Amtsnachfolger stellt Kabinett vor«, »Impeachment gestoppt«, »Parlamentspräsident entmachtet«, »Impeachment geht weiter«. Die institutionelle Entropie habe ein derartiges Tempo, dass man bei einem kurzen Gang vom Fernsehsessel aufs Klo Gefahr laufe, die Wiedereinführung der Monarchie zu verpassen, scherzen die Brasilianer. Ganz so weit ist es noch nicht und die mit Spannung erwartete Abstimmung im Senat am 11. Mai war dann auch keine Blitzentscheidung, sondern ein quälender 20stündiger Marathon. Am Ende stimmten 55 der anwesenden 77 Senatoren für eine sechsmonatige Suspendierung Rousseffs. Spätestens nach dem Ablaufen dieser Frist muss das Oberhaus erneut zusammenkommen, um endgültig über ihren vorzeitigen Abgang zu votieren – und damit auch über das Ende von 14 Regierungsjahren der Arbeiterpartei (PT).
»Dilma, mögen uns die Schriften von Lenin, Marx und Che Guevara den Weg weisen«, äußerte die PT-Senatorin Gleisi Hoffmann noch während der Abstimmung pathetisch. Aber angesichts des Turbogangs, den der neoliberale Interimspräsident Michel Temer eingelegt hat, braucht die Linke ganz schnell gute Tipps. Sonst droht die völlige Demontage der Errungenschaften des PT – von denen es trotz aller Kritik einige gibt. Temer von der Mitte-rechts-Partei PMDB, dem Koalitionspartner des PT, bisher zahmer Vizepräsident, hat ein 23köpfiges Abrisskommando zusammengestellt, das nicht wie das vorherige Kabinett von 32 Ministern dem Prinzip folgt, es möglichst allen recht zu machen, sondern auf Durchregieren setzt. Als »effizienter« und »kostensparender« wird dieses Ensemble ausschließlich weißer Männer der Bevölkerung angepriesen. Zu den Kandidaten gehören mafiöse Großgrundbesitzer wie Blairo Maggi, der nun dem Agrarministerium vorstehen wird, und Alexandre de Moraes als Justizminister, der zuvor als Leiter des Amts für öffentliche Sicherheit in São Paulo für brutale Polizeieinsätze gegen die Demonstrationen sozialer Bewegungen verantwortlich war. Dass gegen sieben Kabinettsmitglieder – und Temer selbst – wegen Korruption ermittelt wird, ist da noch das kleinste Übel.
Bezeichnend ist zudem, welche Ministerien dem Rotstift zum Opfer gefallen sind, zum Beispiel jene für Wissenschaft, Kultur, Entwicklung und Menschenrechte. »Den linken Irren ist ihre Disko verlustig gegangen«, kommentierte der evangelikale Fernsehprediger Silas Malafaia süffisant die Abwicklung des Kulturministeriums, das unter dem PT ein wichtiges Instrument für soziales Empowerment, Umverteilung öffentlicher Mittel und die Schaffung kultureller Vielfalt war. Hatten Rousseffs Gegner bis vergangene Woche immer betont, die von der Arbeiterpartei geschaffenen oder ausgebauten Sozialprogramme nicht anzutasten, spricht der neue Wirtschaftsminister nun von der Notwendigkeit, das Renteneintrittsalter anzuheben und die rechte Tagespresse wie die Folha de São Paulo stimmt ein, dass die Armutsbekämpfung des PT zwar erfolgreich, aber nicht länger finanzierbar sei.
Der Vergleich mit der feindlichen Übernahme eines Großbetriebs, der wegen seines nostalgischen Hangs zu »sozialer Verantwortung« nicht länger interessant für Investoren ist, drängt sich auf. Parallelen gibt es auch zu Argentinien, wo der neue Präsident Mauricio Macri Anfang des Jahres die Parlamentsferien nutzte, um mit Präsidialdekreten hinderliche Gesetze auszuhebeln und im Schnellverfahren Reformen zu erlassen. Alle Proteste und Korruptionsvorwürfe lächelt er seitdem weg. Ganz so bequem sitzt Temers Aufsichtsrat nicht in der Chefetage, denn Macri hat den Vorteil, zumindest durch Wahlen legitimiert zu sein. Die brasilianische Interimsregierung muss in den kommenden sechs Monaten dagegen international den Ruck des »kalten Putschs« loswerden, Anlegern Brasilien erneut als »aufstrebende Wirtschaftsmacht« verkaufen und darf mit sozialen Einschnitten zugleich nicht zu viele jener nützlichen Patrioten verprellen, die sie im Trikot der Nationalelf beim Griff zur Macht angefeuert hatten. Dass am vergangenen Wochenende in Rio de Janeiro und São Paulo Zehntausende gegen Temer auf die Straße gingen, macht zumindest Hoffnung, dass ihm mehr politischer Widerstand als erwartet bevorsteht.