Die Mietpreisbremse ist wirkungslos

Wer bremst, verliert

Eine Studie zeigt: Die sogenannte Mietpreisbremse ist wirkungslos. Eine Wiederbelebung des kommunalen Wohnungsbaus und Selbstorganisierung könnten mehr bringen.

»Schluss mit dem McKinsey-Müller, Sozialismus ist der Knüller«. Mit dieser Parole wurde Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller Mitte Mai in der Heilig-Kreuz-Kirche von »Miet­rebellen« und Mitgliedern stadtpolitischer Gruppen lautstark empfangen. Der SPD-Politiker hatte dort unter dem Motto »Füreinander« zum Dialog mit den Wählern eingeladen. Doch bei seiner Wahlkampfshow wurde Müller mit Protesten konfrontiert. Kritisiert wurden die engen Verbindungen der Berliner SPD zur Unternehmensberatung McKinsey sowie die Berliner Wohnungspolitik.
Mit ähnlichen Protesten dürften die Sozialdemokraten in der Hauptstadt auch künftig zu rechnen haben. Denn erst kürzlich erwies sich eine mietenpolitische Beruhigungspille als Placebo: die sogenannte Mietpreisbremse. Es hat sich herausgestellt, dass diese bundesweit nicht funktioniert. Ein Jahr nach ihrer Einführung steigen die Mieten in Deutschland noch immer deutlich an. In Berlin liegen die Mieten im Schnitt knapp ein Drittel höher als eigentlich zulässig. Das ist das Ergebnis einer vom Forschungsinstitut Regiokontext im Auftrag des Berliner Mietervereins erstellten Studie. Die Resultate decken sich mit den Ergebnissen anderer Studien.
Berlin ist keine Ausnahme, sondern liegt im Trend. So stiegen nach Untersuchungen des Forschungsinstituts Empirica die Mieten vergangenes Jahr in Berlin um 4,8 Prozent und in Düsseldorf um 4,7 Prozent. München dagegen rangierte mit einer Steigerung von 2,9 Prozent eher im unteren Bereich.
Schon vor einigen Jahren wies die Initiative »Studis gegen hohe Mieten« darauf hin, dass in der Universitätsstadt Heidelberg Kommilitonen, die nicht zu den Vermögenden gehören, keine Wohnung bekommen. Sie müssen in die Nachbarorte ausweichen. »Auch in Heidelberg werden Wohnungen weiterhin zu überhöhten Mieten angeboten«, monierte Christoph Nestor vom örtlichen Mieterverein gegenüber der Rhein-Neckar-Zeitung. Trotzdem verzeichnete das Amtsgericht noch keinen Fall, in dem ein Mieter gegen seinen Vermieter geklagt hätte – und der Mieterverein hatte seit November nicht ein Beratungsgespräch zu diesem Thema. Nestor kennt die Gründe: »Es gibt jede Menge Interessenten, und den Zuschlag für eine Wohnung bekommt einer, der es sich leisten kann – und der wird nach aller Lebenserfahrung nicht den Mietvertrag unterschreiben und dann klagen.« Menschen mit niedrigerem Einkommen, denen die »Mietpreisbremse« eigentlich helfen soll, kämen erst gar nicht zum Zug – sie würden auch kaum mit der Klageoption im Hinterkopf einen Mietvertrag zu Konditionen unterschreiben, die ihre finanziellen Möglichkeiten überschreiten.
Von solchen Erfahrungen berichtet auch Matthias Coers der Jungle World. Mit seinem Film »Mietrebellen« und mit Kurzvideos über verschiedene Mietkämpfe ist er in den vergangenen Monaten in zahlreichen Städten unterwegs gewesen. Eingeladen wurde er oft von Mietern, die gerade Erfahrungen mit Verdrängung machen und sich Rat holen wollen. »Wer dringend eine Wohnung sucht, kann es sich gar nicht leisten, auf die Bestimmungen der ›Mietpreisbremse‹ zu pochen«, sagt Coers mit Verweis auf die Konstruktionsfehler des Gesetzes. So sind die Vermieter nicht verpflichtet, die bisherigen Mietpreise offenzulegen. »Wenn Mieter danach fragen, können sie in den Augen der Eigentümer schnell als solche erkannt werden, die notfalls auch die gesetzlichen Regelungen einklagen.« Dann wird ihnen die Wohnung erst gar nicht vermietet. In Zeiten, in denen die Nachfrage nach Wohnungen wesentlich höher als das Angebot ist, gehört das zum Alltag.
»Die Marktentwicklung setzt sich durch«, kommentiert auch Joachim Oellerich von der Berliner Mietergemeinschaft (BMG) im Gespräch mit der Jungle World die Meldungen über den Flop der »Mietpreisbremse«. Für ihn ist das keine Überraschung. Anders als manche sozialdemokratischen Politiker sieht Oellerich auch keinen Grund, eine Korrektur der Regelung zu fordern, »Sie ist einfach kein Instrument, um die Mieten zu begrenzen«, so Oellerichs Fazit. Die BMG fordert zur Behebung der Wohnungsnot eine Wiederbelebung des kommunalen Wohnungsbaus und hat bereits 2014 die Initiative »Neuer Kommunaler Wohnungsbau« gegründet. Um die Fehler des alten sozialen Wohnungsbaus der sechziger Jahre nicht zu wiederholen, sollen keine Privatinvestoren an den Neubauten beteiligt werden. Diese Forderung unterstützt auch Ralf Neumann von der stadtpolitischen Arbeitsgemeinschaft der Interventionistischen Linken (IL) Berlin. Aber er hat noch weitere Ziele: »Letztlich muss Wohnen zum öffent­lichen Gut werden, ein Grundrecht statt Ware auf dem Markt.« Bis dahin würden feste Mietpreisobergrenzen und eine hohe Besteuerung von Immobilienprofiten benötigt. Mit den Einnahmen solle ein Non-Profit-Sektor finanziert werden, mit dem »Wohnraum von öffentlichen und kommunalen Gesellschaften oder Genossenschaften bereitgestellt wird«, erklärt Neumann der Jungle World. Auch Enteignungen dürften kein Tabu sein, sagt das IL-Mitglied und verweist auf Artikel 15 des Grundgesetzes, der Enteignungen zum Zwecke der Vergesellschaftung ausdrücklich vorsehe. Dazu aber sei eine Selbstorganisierung der Mieter nötig, betont Neumann.
Tatsächlich haben in den vergangenen Monaten engagierte Mieter zumindest partiell Erfolge erzielt. Monatelang kämpften etwa die Mieter der Friedelstraße 54 in Berlin-Neukölln gegen eine energetische Sanierung, die sie als Anfang der Verdrängung betrachteten. Auch in einem solchen Fall greift die »Mietpreisbremse« nämlich nicht. Gemeinsam mit Unterstützern besuchten die Mieter am 19. März sogar die Eigentümerfirma Citec in Wien. Dort überbrachten sie ein Kaufangebot, das allen Mietern ein Bleiben in ihren Wohnungen ermöglicht. Wenige Tage später begannen Verhandlungen. Das zeigt, dass Selbstorganisierung den Mietern Vorteile bringen kann – vermutlich mehr als eine nutzlose »Mietpreisbremse«.