Am Wochenende finden in Spanien Neuwahlen statt

Strenger als die Praktikanten

Nach einem halben Jahr vergeblicher Koalitionsverhandlungen finden in Spanien am 26. Juni erneut Parlamentswahlen statt, mit denselben Spitzenkandidaten. Das linksalternative Bündnis Unidos Podemos sehen Umfragen als zweitstärkste Kraft. Wirtschaftlich steckt das Land weiterhin in der Krise.

»Pablo Iglesias ist nicht glaubwürdig«, sagt Susana Díaz, die Ministerpräsidentin des bevölkerungsreichen Andalusien, einer Hochburg der sozialdemokratischen Partei PSOE, über den Spitzenkandidaten von Podemos: »Man wacht nicht eines Tages als Kommunist auf und wird dann plötzlich zum Sozialdemokraten, wenn man vorher ein Provokateur war.«
Der Funktionärsapparat des PSOE, der sich in Spanien seit dem Ende des Franquismus mit der konservativen Volkspartei (PP) an der Regierung ­abwechselt, sieht sich bedroht von Unidos Podemos (UP), dem neuen Bündnis der linken Protestpartei Podemos und der Vereinigten Linken (IU). Der PSOE liegt in Umfragen nur noch auf dem dritten Platz, eine Woche vor den Parlamentswahlen am 26. Juni waren es für UP 24,9 Prozent der Stimmen, für den PSOE nur 21 Prozent. Der PP lag bei 28 Prozent, die rechtsliberale Partei Ciudadanos bei 14,9 Prozent; Regionalparteien, insbesondere aus ­Katalonien und dem Baskenland, lagen zusammen bei 11,2 Prozent.
Alles deutet daraufhin, dass es aufgrund des Wahlrechts fast eine absolute Mehrheit für UP und PSOE geben wird. Dann wird es für den PSOE schwierig, ohne weiteren Ansehensverlust ein ­Koalitionsangebot von links auszuschlagen. Eine unbequeme Lage, zumal nach der verheerenden Finanzkrise die Arbeitslosigkeit immer noch bei 20 Prozent liegt und die Folgen der jahrelangen Austeritätspolitik für Ärmere überall im Alltag spürbar sind. Die sozialen Bewegungen erinnern immer wieder daran, dass es die sozialdemokratische Regierung von José Luis ­Rodríguez Zapatero war, die im Mai 2010 mitten in der Legislaturperiode auf die Austeritätspolitik umgeschwenkt ist – und die im August 2011 mit Unterstützung des damals noch oppositionellen PP den Artikel 135 der Verfassung geändert hat: Auf Anregung aus Deutschland erhielt eine sogenannte Schuldenbremse Verfassungsrang.
Die noch amtierende konservative Regierung nutzt diesen Artikel, um die Kommunen zum Sparen und zur Rückzahlung der Schulden zu zwingen. 973 Kommunen bekamen im April Bescheide, weil sie ein Haushaltsdefizit aufwiesen. »Sie nehmen uns das Geld, mit dem wir Gehälter bezahlen«, klagt María Merello, eine Stadträtin der andalusischen Stadt Puerto Real. »Die Modifizierung des Artikels 135 zwingt uns, zuerst die Schulden zu bezahlen, vor den Gehältern, Ausgaben und Investitionen«, sagt Fátima Pontones, die ebenfalls Stadträtin ­einer Podemos nahestehenden Liste in Puerto Real ist. Insbesondere die »Rathäuser des Wechsels«, wie die seit Mai 2015 von solchen Listen regierten Kommunen genannt werden, werden so in ­ihrem Handlungsspielraum stark eingeschränkt.
Ministerpräsident Mariano Rajoy wiederholt zwar beschwörend, die Krise sei überwunden und die Wirtschaft wachse – aber die Maastricht-Kriterien der EU hat Spanien 2015 weit verfehlt, das Haushaltsdefizit betrug 5,1 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Es hätte mit einer Ausnahmeregelung 3,6 statt drei Prozent betragen dürfen. Außerdem ist der staatliche Schuldenstand durch die kostspielige Bankenrettung auf 100 Prozent des Bruttoinlands­produkts angestiegen, mehr als 60 Prozent dürfen es nach den Maastricht-Kriterien nicht sein. Spanien hat einen ähnlichen Schuldenstand wie Griechenland vor vier Jahren. Die Europäische Kommission und Ecofin, die Versammlung der EU-Finanzminister, beschäf­tigen sich seit April mit der Verletzung der Maastricht-Kriterien durch Spanien. Am Freitag voriger Woche schloss sich Ecofin der Entscheidung der Europäischen Kommission an, vorerst keine Defizitstrafe gegen Spanien zu verhängen.
»Das ist – wirtschaftlich und politisch – nicht der geeignete Augenblick, diesen Schritt zu machen«, verkündete Währungskommissar Pierre Moscovici zuvor. Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker verteidigte die Entscheidung damit, die Kommission würde sonst in den spanischen Wahlkampf eingreifen. Anfang Juli werden die EU-Gremien wieder tagen und sich mit der Defizitstrafe gegen Spanien beschäftigen. Dann sind die Wahlen vorbei und einer möglichen neuen Regierung können gleich die Grenzen ihres Handlungspielraums aufgezeigt werden. Eine Defizitstrafe würde ein Aussetzen der Zuschüsse aus dem EU-Strukturfonds nach sich ziehen.
In der Fernsehrunde der vier Spitzenkandidaten verkündete Rajoy, Regieren sei sehr komplex und kein Praktikum. Von oben herab kanzelte er so die beiden Kandidaten der neuen Parteien ab – und bestritt, dass er neue Sparmaßnahmen für die Zeit nach den Wahlen plane. Dabei hatte die Tages­zeitung El País einen Brief veröffentlicht, den Rajoy am 5. Mai an Juncker geschickt hatte. »Angesichts der Notwendigkeit, das exzessive Defizit bald zu überwinden, sind wir bereit, neue Maßnahmen zu ergreifen, wenn es nötig wird«, heißt es darin, »in der zweiten Hälfte des Jahres, wenn es eine neue Regierung gibt.« Im Wahlkampf verspricht Rajoy Arbeitsplätze, Wachstum und Steuererleichterungen, von ­Austeritätspolitik und weiteren Sparmaßnahmen redet er nicht. Insbesondere der linke Flügel von Podemos bereitet sich bereits darauf vor, mit Hilfe einer transparenten und offenen ­Debatte über vermeintliche Sachzwänge und Auflagen der EU dem griechischen Dilemma zu entkommen. Aber dagegen stehen deutsche Interessen.
So fordert Bundesbankpräsident Jens Weidmann schärfere Kontrollen und härtere Regeln zur Bestrafung von »Defizitsündern«. Die Kommission sei Hüterin der EU-Verträge und ­müsse zugleich zwischen politischen Interessen vermitteln. »Die daraus folgenden Kompromisse gehen leider häufig zulasten der Haushaltsdisziplin«, sagte er in einem Interview mit der Welt. »Fakt ist, dass in Europa insgesamt der Reformeifer und die Haushaltsdisziplin zuletzt nachgelassen haben.« Die Troika aus Europäischer Zentralbank, Internationalem Währungsfonds und Europäischer Kommission kennt die Regierungsgebäude in Madrid bereits, ihre Vertreter waren zuletzt im April dort wegen Gesprächen über die Nichteinhaltung der Maastricht-Kriterien.