Antisemitische Vorfälle auf dem X*CSD in Berlin

Der Sozialismus der queeren Kerls

Der Israel-Hass schwelt seit Jahren auf dem alternativen CSD in Berlin-Kreuzberg. In diesem Jahr sprachen sich die Organisatoren in ihrem Aufruf erstmals gegen Antisemitismus aus. Um die Delegitimation Israels und Pinkwashing ging es dennoch.

Die Probleme ähneln sich. Nachdem sich kürzlich antizionistische Gruppen wie BDS Berlin (»Boykott, Desinvestition, Sanktionen«) und F.O.R. Palestine (»For One State and Return in Palestine«) maßgeblich am Berliner Bündnis für den »Revolutionären 1. Mai« be­teiligt hatten, kam es am Rande der Demonstration zu Angriffen auf Menschen, die eine Israel-Fahne zeigten. Auch beim »X*CSD« in Kreuzberg gab es nun ähnliche Schwierigkeiten.
Der seit 1998 stattfindende Umzug nannte sich bis 2013 »Transgenialer CSD« und sollte eine nichtkommerzielle Alternative zum offiziellen Berliner Christopher Street Day sein. Seit Jahren protestieren queere Aktivistinnen und Aktivisten dort auch gegen »Pinkwashing«, also die politische Instrumentalisierung einer LGBTIQ-freundlichen gesellschaftlichen Politik für nationalistische Zwecke. 2013 fanden Workshops statt, unter anderem einer mit dem Titel »Pinkwashing Israel«. Die Grundaus­sage der Referenten war, dass die liberale Haltung Israels gegenüber LGBTIQ eine reine Verschleierungskampagne sei, um von den Verbrechen an den ­Palästinensern abzulenken. Die Vertreter der »Pinkwashing«-These lasteten Israel große Verbrechen an: Gaza sei das größte Freiluftgefängnis der Welt und die Palästinenser lebten in einem Apartheidstaat. Israel wird vorgeworfen, nur zum Schein die Rechte von sexuellen Minderheiten zu schützen.
Den Organisationsteams des »Transgenialen CSD« gelang es nicht, solche Propaganda von den Demonstrationen fernzuhalten. Stattdessen wurde Vertretern der »Pinkwashing«-These Redezeit auf den Abschlusskundgebungen der vergangenen Jahre gewährt. Die Demonstrationsaufrufe waren so missverständlich und generell gehalten, dass sich Menschen mit einer antiisraelischen Gesinnung durchaus aufgefordert fühlen konnten, mitzulaufen. 2015 lautete das Motto des Aufrufs: »Keine pinke Camouflage – Queer bleibt radikal«. Um eine Verbindung zwischen »pinker Camouflage« und »Pink­washing« herzustellen, braucht man nicht besonders viel Phantasie.
In diesem Jahr hatten die Veranstalter es zumindest geschafft, sich im Aufruf gegen Antisemitismus auszusprechen, forderten am Ende aber wieder, man solle zusammen »gegen Pinkwashing und Homonationalismus« auf die Straße gehen. Offenbar ist das Organisationsteam gespalten: Ein Bekenntnis gegen den Antisemitismus gehört ­einerseits mittlerweile zum guten Ton. Andererseits gelten die Agitatoren ­gegen »Pinkwashing« als wichtige Stimmen der Szene in Berlin.
Folgerichtig kamen zu der sich in diesem Jahr »X*CSD« nennenden Demonstration am vorvergangenen ­Wochenende Teilnehmerinnen und Teilnehmer mit Plakaten, auf denen zum Beispiel »No Pride in Apartheid – Berlin against Pinkwashing« und »Queers against Israeli Apartheid« zu lesen war. Der Umzug, der sich durch Neukölln und Kreuzberg bewegte und immer wieder für Zwischenkundgebungen anhielt, verlief ruhig. Auf der Abschlusskundgebung am Heinrichplatz mit mehreren Tausend Teilnehmern kam es allerdings zu einigen Zwischenfällen. Während der Rede der Gruppe »Berlin against Pinkwashing« buhte eine Person lautstark wegen der in der Rede wiederholt aufgestellten Behauptung, Israel sei ein »Apartheidstaat« – also wegen der Gleichsetzung ­Israels mit dem 1994 aufgelösten rassistischen Apartheid-Regime in Südafrika. Der Buhrufer wurde daraufhin von mehreren Personen aus dem Publikum angeschrien und eingeschüchtert. Die Rede endete mit dem aus dem Publikum gerufenen Slogan »Free, free Palestine«.
Interessant dabei ist: Der Redner für »Berlin against Pinkwashing«, Belal Awad, arbeitet nach eigenen Angaben auf Twitter als Journalist und Redakteur für die Nachrichtenagentur Ruptly. Diese ist Teil des vom russischen Staat finanzierten Fernsehsenders »Russia Today«, dessen deutscher Ableger »RT Deutsch« vor allem dadurch auffällt, Verschwörungstheoretiker und Querfrontler zu bedienen.
Während einer im weiteren Verlauf gehaltenen Rede des Kollektivs vom »Kanal Wagenplatz«, einem queeren Projekt in Neukölln, gingen die Aus­einandersetzungen weiter. Die beiden Personen auf der Bühne solidarisierten sich mit Belal Awad und wiederholten die Vorwürfe gegen Israel, das Palästina okkupiert habe. Als daraufhin aus dem Publikum aus Protest ein kleiner Gegenstand, der zerknülltem Papier oder einem Plastikbecher ähnelte, auf die Bühne geworfen wurde, eskalierte die Situation. Mehrere Unterstützer des »Kanal Wagenplatz« stürmten auf den Werfer zu und drängten ihn und andere aus der Menge heraus. Die Szene wurde begleitet von Rufen wie »Ihr gehört nicht zu Kreuzberg«. Am Rande der Bühne wurden Menschen, die mit der Rede nicht einverstanden waren oder sich schlichtend zwischen die streitenden Parteien geschoben hatten, umstellt, beschimpft und geschubst. Die hinzukommenden Ordner waren überfordert und wurden selbst zur Seite gedrängt. Das Bühnenprogramm des »X*CSD« ging währenddessen ohne Unterbrechung weiter.
Der »Kanal Wagenplatz« und »Berlin against Pinkwashing« hatten sich im Mai auch am »Nakba-Tag« beteiligt, einer antizionistischen Demonstration in Berlin-Neukölln, die vorgeblich an die Vertreibung von Palästinensern 1948 erinnern soll, auf der aber mit Forderungen nach der »Entkolonisierung Palästinas« und der »Solidarität mit dem palästinensischen Widerstand in all seinen Formen« de facto die Aus­löschung Israels propagiert wurde. Im Redebeitrag des »Kanal Wagenplatz« auf dieser Veranstaltung hieß es wörtlich: »Wir unterstützen den radikalen Widerstand und Kampf der Palästinenser, was Intifada einschließt.« Eine In­tifada wiederum schließt als Mittel des Kampfes Steinwürfe auf israelische Soldaten ebenso ein wie Selbstmordattentate und Messerattacken – also den Mord an israelischen Zivilisten.