Die autoritären Verhältnisse in Eritrea

Fliehen statt dienen

Die Vereinten Nationen beschuldigen das Regime in Eritrea systematischer Menschenrechtsverletzungen. Auch der bewaffnete Konflikt mit Äthiopien droht wieder aufzuflammen.

Aus keinem anderen afrikanischen Land kamen in den vergangenen Jahren so viele Flüchtlinge und Asylbewerber nach Deutschland wie aus Eritrea. Nach Statistiken des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge stellten 2014 ungefähr 13.000 Eritreer einen Antrag auf Asyl, 2015 waren es immerhin noch knapp 11.000. Fast alle von ihnen, 88 Prozent, erhalten Flüchtlingsschutz. In der Europäischen Union beantragten im vergangenen Jahr 47.000 Eritreer Asyl; weltweit befanden sich 360.000 eritreische Flüchtlinge außer Landes.

Was ist das für ein Land, das Monat für Monat einigen Schätzungen zufolge bis zu 5.000 Menschen hinter sich lassen, um die lebensgefährliche und teure Reise über den Sudan und den ägyptischen Sinai oder Libyen und das Mittelmeer auf sich nehmen? Es ist alles andere als einfach, sich davon ein Bild zu machen. Unabhängige Medien gibt es in Eritrea nicht, seit Jahren rangiert das Land im Index von Reporter ohne Grenzen auf dem letzten Platz. Die Berichte von Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International oder Human Rights Watch fußen vor allem auf Informationen von Exilanten, da ihnen die Arbeit vor Ort verwehrt bleibt.

Das gilt auch für die UN. Im Juni legte eine eigens geschaffene Untersuchungskommission der Vereinten Nationen zur Lage der Menschenrechte in Eritrea ihren Bericht vor. Dieser Bericht basiert auf Stellungnahmen von mehr als 800 Exilanten. Bereits ein Jahr zuvor hatte die UN-Kommission einen weitaus detaillierteren Report zu diesem Thema veröffentlicht; in dem nun publizierten Dokument, das knapp 100 Seiten umfasst, soll untersucht werden, ob sich die Menschenrechtssituation im Land wesentlich geändert hat.

Die Experten der UN kommen zu einem erschütternden Ergebnis: Ein unbefristeter Militärdienst und Zwangsarbeit sind weiterhin an der Tagesordnung, in den Gefängnissen der Armee und des Geheimdienstes wird gefoltert, gemordet und vergewaltigt. »Eritrea ist ein autoritärer Staat. Es gibt kein unabhängiges Justizwesen, keine Nationalversammlung oder andere demokratische Institutionen in Eritrea. Das hat ein Vakuum hinterlassen, das ein Klima der Straflosigkeit für Verbrechen gegen die Menschheit nach sich zieht, die im Laufe der vergangenen 20 Jahre begangen wurden. Diese Verbrechen finden heute immer noch statt«, so Mike Smith, der Vorsitzende der Untersuchungskommission, bei der Vorstellung des Berichts.

Vor allem der Militärdienst, den seit 2002 Männer und Frauen zwischen dem 18. und 50. Lebensjahr ableisten müssen, treibt seit Jahren Tausende Eritreer in die Flucht. Offiziell ist der »Nationale Dienst« auf 18 Monate begrenzt, doch nicht selten haben die Rekruten, so die UN, über viele Jahre Zwangsarbeit im Militär, der Landwirtschaft, im Bergbau und bei Infrastrukturprojekten zu leisten. Das gelte sowohl für Männer als auch für Frauen, letztere sind zudem noch der Gefahr ausgesetzt, von ihren Vorgesetzten sexuell missbraucht zu werden. Meist sind die zum Dienst Verpflichteten weit von ihren Herkunftsorten eingesetzt und erhalten – wenn überhaupt – nur einen minimalen Lohn für ihre Arbeit.

Die Regierung unter Präsident Isaias Afwerki wies die Anschuldigungen des UN-Berichtes freilich weit von sich. Aus ihrer Sicht handelt es sich bei den Vorwürfen um ein Komplott des Westens und des Erzfeindes Äthiopien, eines der wichtigsten Verbündeten der USA und der EU im Kampf gegen den Jihadismus am Horn von Afrika. Und tatsächlich fällt auf, dass die Großmächte bei Menschenrechtsverbrechen in Äthiopien sehr zurückhaltend reagieren und es vermeiden, das Land offen zu kritisieren. Erst kürzlich hatte Human Rights Watch den äthiopischen Ordnungskräften vorgeworfen, seit November 2015 mehr als 400 meist friedliche Demonstranten getötet zu haben. Bei Protesten gegen ein Investitionsprojekt seien zudem Tausende Menschen verletzt und Zehntausende festgenommen worden.

Die Feindschaft zu Äthiopien bestimmt sowohl die Innenpolitik Eritreas als auch die außenpolitischen Interventionen des Landes. Das Regime sieht sich in einem andauernden Kriegszustand mit dem großen Nachbarn und rechtfertigt so die permanente Mobilmachung der Bevölkerung im Rahmen des »Nationalen Dienstes«. Zeitweise unterstützte Eritrea die Jihadisten von al-Shabab in Somalia, gegen die auch äthiopische Truppen kämpften. Zwischen 1998 und 2000 lieferten sich Äthiopien und Eritrea einen blutigen Stellungskrieg um einen kleinen Grenzstreifen, der Zehntausende Menschen das Leben kostete.

Im Jahr 2002 schlug eine Kommission der UN das umstrittene Gebiet Eritrea zu, doch bis heute hält Äthiopien es besetzt. Wie angespannt die Lage in der Grenzregion ist, zeigte sich Mitte Juni, als dort erneut Kämpfe ausbrachen. Beide Seiten beschuldigten sich gegenseitig, für das Wiederaufflammen des Konfliktes verantwortlich zu sein. Für Eritrea kommt dieser Waffengang zur rechten Zeit, verringert er doch die internationale Aufmerksamkeit für den Report der Menschenrechtskommission der UN und kann als Legitimation für Zwangsarbeit und ein Militärbudget herangezogen werden, das angeblich bei 20 Prozent des Gesamthaushaltes liegen soll.

Nicht immer waren die Machthaber in Addis Abeba und Asmara, der Hauptstadt Eritreas, erbitterte Feinde. Sie kämpften als Rebellen nach dem Sturz des äthiopischen Kaisers Haile Selassie 1974 gemeinsam gegen das afrostalinistische Regime unter Mengistu Haile Mariam. 1991 stürzte die Ethiopian People’s Revolutionary Democratic Front gemeinsam mit ihren Verbündeten der Eritrean People’s Liberation Front den Diktator, zwei Jahre später erlangte Eritrea seine Unabhängigkeit. Doch seit dem Grenzkrieg, der 1998 begann, stehen sich die beiden Länder feindlich gegenüber.

Über die Bewertung des jüngsten UN-Reports gehen in der »internationalen Gemeinschaft« die Meinungen auseinander. Während für die einen das Land am Horn von Afrika das Nordkorea des Kontinents darstellt, mahnen andere zur Zurückhaltung und fordern eine vorsichtige Annäherung an das Regime. Die BBC berichtete, europäische Diplomaten in Eritrea würden den Bericht als »nicht hilfreich« einstufen. In der New York Times forderte Bronwyn Bruton vom Washingtoner Atlantic Council, der UN-Menschenrechtsrat möge die Ergebnisse des Reports nicht dem Sicherheitsrat und später dem Internationalen Strafgerichtshof übergeben. Die Situation in Eritrea sei schlecht, aber nicht so schlecht wie von den UN beschrieben.

Der UN-Bericht gibt allerdings zu bedenken, dass die »Fassade der Ruhe und Normalität, die den gelegentlichen Besucher des Landes und andere, die in der Hauptstadt leben, empfängt, über das beständige System der schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen« hinwegtäusche. Mit einer Öffnung des politischen Systems in Eritrea ist nicht zu rechnen, sind doch die von den UN erhobenen schwerwiegenden Vorwürfe dem Regime lediglich Anlass, um jede Kritik an den Zuständen in Eritrea als Teil einer internationalen Verschwörung zurückzuweisen.

Die verheerende Menschenrechtslage in Eritrea hindert jedoch die Europäische Union und insbesondere Deutschland nicht, zum Zwecke der Migrationsbekämpfung mit dem Regime zusammenzuarbeiten. Wie Recherchen von Report Mainz und Spiegel im Mai ergaben, ist mit dem Sudan und Eritrea ein »Grenzschutzprojekt« geplant, in dessen Rahmen Hardware geliefert und die Ausbildung von Polizisten unterstützt werden soll. Koordiniert wird das Projekt von der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit. Bereits jetzt schickt der Sudan Flüchtlinge aus Eritrea dorthin zurück, wo diese von Inhaftierung, Folter und Tod bedroht sind.