Unruhen in Pariser Banlieues nach dem Tod eines Festgenommenen

Tod im Gewahrsam

In Frankreich führte der mutmaßlich durch Gendarmeriebeamte verursachte Tod eines jungen Schwarzen in Polizeigewahrsam zu Unruhen und Demonstrationen in Pariser Banlieues.

Hat der Staatsanwalt gelogen oder einfach nur durch Auslassen einer wichtigen Information die Unwahrheit gesagt? Diese Frage stellt sich ein wachsender Teil der Öffentlichkeit in Frankreich, nachdem im Laufe der vergangenen Woche für die Ermittlungsbehörden peinliche Informationen bekannt wurden. Es geht um den Tod des 24jäh­rigen Adama Traoré, der am 19. Juli im Gewahrsam der Gendarmerie verstarb. Dieser Zweig der Polizei untersteht dem Verteidigungsministerium. Traorés Tod in der Pariser Vorstadt Persan war vielen Familienangehörigen und Freunden des jungen Mannes von Anfang an suspekt. Die Staatsanwaltschaft ließ eine Autopsie anfertigen, deren ­Ergebnisse am 21. Juli vorlagen, und holte unter dem Druck der Familie und der Öffentlichkeit ein Zweitgutachten ein, das eine Woche nach der ersten ­Expertise zur Verfügung stand.
Der zuständige Staatsanwalt in der Bezirkshauptstadt Pontoise, Yves Jannier, behauptete in den Stunden nach Traorés Tod zunächst, dieser sei an Herzversagen verstorben. Nach dem ersten Autopsiebefund verbreitete er eine neue Version. Man habe, ließ er über alle Medienkanäle verlauten, »eine schwere Infektion« bei Adama Traoré festgestellt, an ihr sei er mutmaßlich verstorben. Es ist allerdings merkwürdig, dass die Infektion aus­gerechnet innerhalb der ersten 30 Minuten nach Traorés Festnahme durch die Gendarmerie zu seinem Tod führte. Die Gutachter hatten jedoch gar nicht von einer akuten Infektionskrankheit gesprochen, sondern nur »Spuren« ­einer solchen im Körper festgestellt. Es handelte sich möglicherweise um eine Hepatitis-Erkrankung, die jedoch nicht den schnellen Tod erklären kann. Nach der Zweitexpertise behauptete der Staatsanwalt, die Todesursache sei unbekannt und könne – wenn überhaupt – erst »nach umfassenden Analysen« ­toxikologischer, bakteriologischer und sonstiger Art festgestellt werden. Aber, beeilte er sich hinzufügen, es seien »keine signifikanten Spuren von Gewalteinwirkung« an Traorés Leichnahm festgestellt worden.
Leider vergaß der eifrige Beamte, ein vielleicht nicht unwichtiges Detail zu erwähnen: In beiden Autopsieberichten wurde ein »Erstickungssyndrom« erwähnt, das zum Tode habe führen können. Die Erste-Hilfe-Mannschaft der Feuerwehr, die den klinischen Tod Adama Traorés offiziell feststellte, fand ­zudem Spuren von Erbrochenem. Mehrere Zeitungsberichte in der vergangenen Woche, die in der linksliberalen Tageszeitung Libération, aber auch im konservativen Figaro erschienen, sowie ein Artikel der Nachrichtenagentur AFP erhellten nun das Geschehen. Vermutlich habe es sich so zugetragen: Drei Gendarmeriebeamte hatten sich mit ihrem vollen Körpergewicht auf Traorés Körper gekniet, um ihn festzunehmen. Der 24jährige hatte keine Straftat begangen. Die Beamten suchten seinen Bruder Bagui Traoré im Zuge der Ermittlungen zu einem Eigentumsdelikt. Adama Traoré, der sich in dessen Beisein befand, hatte sich der Kontrolle zunächst entzogen – weil er zum fraglichen Zeitpunkt keine Ausweisdokumente bei sich getragen habe, so seine Familie.
Die Nachricht, dass Traorés Tod mutmaßlich durch die Beamten verursacht worden war, löste in den beiden Pariser Trabantenstädten Beaumont – wo die Familie wohnt – und Persan mehrere Nächte lang Unruhen aus. Bei einer improvisierten Pressekonferenz wurden anwesende Jugendliche befragt, warum dabei Autos brennen mussten. »Hätten keine gebrannt, wären Sie jetzt nicht hier«, lautete die Antwort.
Die Polizei patrouillierte mehrere Nächte mit Sturmgewehren in den ­betroffenen Stadtteilen. Diese Gewehre vom deutschen Hersteller Heckler & Koch wurden seit vergangenem Winter an manche Einheiten verteilt, um »einen terroristischen Angriff innerhalb von 20 Minuten abzuwehren«, wie Innenminister Bernard Cazeneuve damals erklärte. Die jüngsten Unruhen hatten jedoch nichts mit Terrorismus zu tun. Am 22. Juli fand zudem ein friedlicher Trauermarsch in Beaumont statt. Auch zahlreiche Mitglieder der Bewegung »Nuit debout« kamen in die Vorstadt, um daran teil­zunehmen.
Am 30. Juli sollte zudem eine Demonstration gegen Polizeigewalt vom Pariser Nordbahnhof zur Place de la République führen. Es nahmen zwar rund 1 000 Menschen teil, doch sie ­kamen nicht weit. Nach nur 20 Metern wurden die Teilnehmer eingekesselt, einige verharrten daraufhin über fünf Stunden im Kessel. Die Einsatzleitung der Polizei berief sich darauf, der Protestzug sei nicht angemeldet gewesen. Die Familie Traoré zeigte Medien eine elektronische Anmeldebestätigung, die ihr 36 Stunden vor Beginn der Demonstration zugegangen war; normalerweise genügen 24 Stunden. Die Polizei beruft sich jedoch auf den Ausnahmezustand – dieser erlaube es, die Frist auf 72 Stunden zu verlängern.