Deutsche Familienpolitik und tradierte Geschlechterverhältnisse

Väter sind Mütter zweiter Klasse

Deutsche Familienpolitik wendet sich immer stärker an den sogenannten neuen Mann. Der zahlt nicht nur Unterhalt, sondern beteiligt sich auch partnerschaftlich an Haushalt und Erziehung – so jedenfalls die Theorie.

Als Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig (SPD) kürzlich die Einführung eines Familiengeldes vorschlug, sorgte sie damit beim Koalitionspartner CDU/CSU für Widerspruch. Das Familiengeld soll Elternpaare animieren, ihre Vollzeitstellen um zehn bis 20 Prozent auf eine Wochenarbeitszeit von 28 bis 36 Stunden zu reduzieren. Unabhängig vom Einkommen sollen Eltern dann 300 Euro vom Staat bekommen. Voraussetzung wäre, dass beide Elternteile ihre Arbeitszeit reduzieren. Dies soll verhindern, dass Frauen aus dem Arbeitsmarkt gedrängt werden, und gleichzeitig dafür sorgen, dass Männer sich in gleichem Umfang an der Hausarbeit beteiligen können. Schwesig bezieht sich damit auf eine neue Form der Männlichkeit, die auf einem egalitären Geschlechterbild basiert. Im Gegensatz zum traditionellen »Ernährer« beteiligt sich der »neue Mann« partnerschaftlich an Haushalt und Erziehung. »Väter sind keine Mütter zweiter Klasse«, so Schwesig. Dieses Credo mag ermutigend klingen, widerspricht jedoch den Tatsachen. Aktuelle Studien zeigen nämlich: Väter halten sich bei Reproduktionsarbeiten genauso zurück wie beim Unterhalt.
Vor einem Jahr veröffentlichte das Statistische Bundesamt eine im Auftrag des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend sowie des Bundesministeriums für Bildung und Forschung finanzierte Zeitbudgetstudie. Erfasst wurden die Tagesabläufe, Tätigkeiten und das Zeitempfinden der ­Bevölkerung. Damit werden beispielsweise Aussagen über das Verhältnis von Freizeit und Arbeit oder das von bezahlten und unbezahlten Tätigkeiten möglich. Zu den vom Bundesamt unter die Kategorie »unbezahlte Arbeit« gefassten Tätigkeiten zählen insbesondere Reproduktionsarbeit, also Haushaltsführung, Kochen, Waschen, Einkaufen, Gartenarbeit, die Betreuung und Pflege von Kindern und anderen Haushaltsmitgliedern, Unterstützung von Personen außerhalb des Haushalts, aber auch ehrenamtliches und freiwilliges Engagement. Im Vergleich zur Vorstudie – das Statistische Bundesamt führt vergleichbare Befragungen etwa alle zehn Jahre durch – hat sich wenig verändert. Der Anteil der wöchentlich geleisteten unbezahlten Tätigkeiten an der Gesamtheit der von ­ihnen geleisteten Arbeiten beträgt bei Frauen nach wie vor etwa 60 Prozent, bei Männern lediglich 40 Prozent. Die minutiöse Aufführung der verschiedenen Tätigkeiten offenbart auch, dass der einzige Bereich, in dem Männer signifikant mehr Zeit investieren als Frauen, die männlich konnotierte Handwerks- und Garten­arbeit ist. Besonders unbeliebt bei Männern sind dagegen die vergleichsweise zeitintensiven Betätigungen in der Küche sowie das Putzen und das Waschen. Auch beim Einkauf beziehungsweise der Haushaltsorganisation sowie der Betreuung respektive Pflege von Haushaltsmitgliedern halten sie sich zurück.
Das Statistische Bundesamt ist sichtlich bemüht, dieses Ungleichgewicht herunterzuspielen. Die von Ehrenamtlichen verausgabte Zeit wird auf »sechs oder mehr Stunden pro Monat« hochgerechnet. Hier soll wenigstens ein Mal abseits von Gartenarbeit und Heimwerken ein »Unterschied zwischen den Geschlechtern« sichtbar werden, in dem Männer gut wegkommen: »Männer investieren mehr Zeit in ihr Enga­gement als Frauen.« Dass diese Differenz mit wöchentlich fünf Minuten vernachlässigbar ist und zudem etwa Unterschieden von vier Stunden für Putzen oder Waschen plus vier Stunden in der Küche entgegenstehen, wird nicht thematisiert. Und das, obwohl in diesen beiden Bereichen zusammen Frauen also wöchentlich im Schnitt eine unbezahlte Acht-Stunden-Schicht extra leisten und hier unterm Strich mehr als doppelt so viel Zeit verausgaben wie Männer. Für das egalitäre Selbstbild vieler Paare sind das unangenehme Zahlen. Um die »neuen Männer« ­dennoch sichtbar zu machen, erfasst die Studie neben objektiven Fakten auch subjektives Empfinden von Zeitstress und Wünsche. Hier offenbart sich endlich: »Jeder dritte Vater wünscht sich mehr Zeit für Kinder«. Davon ­abgesehen, dass es sich dabei um bloße Absichtserklärungen handelt, artikulierten im Umkehrschluss zwei Drittel der Väter diesen Wunsch nicht. Ist der Bereich der potentiellen neuen Männer damit bereits auf ein Drittel zusammengeschrumpft, wären ähnliche Aus­sagen über profanere Alltagsbeschäftigungen geradezu undenkbar. Kaum vorstellbar, dass ein Satz wie »Ich wünsche mir mehr Zeit zum Kochen, für den Hausputz und die dreckige Wäsche« ähnliche Zustimmungswerte erreichen könnte.
Insbesondere nach der Geburt des ersten Kindes retraditionalisieren sich die Geschlechterverhältnisse. Während kinderlose Frauen die Hälfte ihres Zeitbudgets für Erwerbsarbeit und ­unbezahlte Tätigkeiten aufwenden, verschiebt sich dies bei Müttern auf ein Verhältnis von nur 30 Prozent bezahlter zu 70 Prozent unbezahlter Tätigkeiten. Während Mutterschaft selten mit Vollzeiterwerbstätigkeit und dafür mit ­einem Mehr an Hausarbeit einhergeht, steigern Männer ab der Kindesgeburt den Zeitanteil ihrer Erwerbsarbeit. Dies wird meist mit pragmatischen Entscheidungen begründet, die aufgrund des gender pay gap, also des Lohn­unterschieds zwischen den Geschlechtern, naheliegen oder ökonomisch zwingend sind. Die Einkommensdifferenz liegt in Deutschland noch immer bei gut 20 Prozent (Jungle World 11/2016) und dürfte tatsächlich auch entsprechende Anreize setzen.
Es erklärt aber keineswegs, warum sich Männer in Beziehungen, in denen die Frau das Haupteinkommen er­wirtschaftetet, um die Reproduktionsarbeit drücken. Zu diesem Ergebnis kam eine ebenfalls vergangenes Jahr veröffentlichte Studie, die von Cornelia Koppetsch und Sarah Speck von der Technische Universität Darmstadt erstellt wurde. Die Studie enttarnt das ­gerade im alternativen und großstädtischen Milieu verbreitete Ideal, sich nicht nur Einkommen, sondern auch Hausarbeit fünfzig zu fünfzig zu teilen, als Illusion. Der ökonomische Pragmatismus funktioniert also offensichtlich nur in eine Richtung. Das führt dazu, dass Frauen sich mit Arbeit und Haushalt doppelt belasten.
Ohnehin mehrfach belastet sind die Alleinerziehenden. 90 Prozent von ­ihnen sind weiblich. Schon das Statistische Bundesamt warnte davor, dass die Erwerbsbeteiligung alleinerziehender Mütter teils stark rückläufig ist. Eine kürzlich von der Bertelsmann-Stiftung herausgegebene Studie ­»Alleinerziehende unter Druck« bestätigt diese Befunde. Zwar ist die Quote der Vollzeitbeschäftigten bei den Alleinerziehenden mit fast 50 Prozent immer noch höher als bei Frauen in Paarhaushalten; allerdings müssen knapp 40 Prozent der Alleinerziehenden aufstocken oder sich komplett über ALG II finanzieren. Auf diese Leistungen wird das Kindergeld angerechnet.
Die Bertelsmann-Studie macht auf einen weiteren Missstand aufmerksam. Der Unterhalt wird nur für die Hälfte der Kinder voll und für ein Viertel gar nicht gezahlt. Viele Männer drücken sich also nicht nur vor der Reproduktionsarbeit, sondern auch um die Zahlung des Unterhalts.
Das Familiengeld brächte Entlastung für Alleinerziehende, weil diese mit 300 Euro den vollen Satz bekämen. Es könnte gleichzeitig der Retraditionalisierung der Geschlechterbeziehungen zumindest insofern entgegenwirken, als dass es Frauen nicht aus dem ­Arbeitsmarkt drängt. Ob Männer die ihnen dadurch zur Verfügung gestellte arbeitsfreie Zeit in Erziehung oder Haushalt investieren würden, ist fraglich. Der »neue Mann« ist bisher jedenfalls eher Wunschvorstellung denn Realität.