Auch bei Religionskritik keinen Kulturalismus dulden

Differenzierter, bitte

Linke Religionskritik ist notwendig. Es ist jedoch teilweise schwierig, die Grenzen zwischen Kritik und Ressentiment in der »Islamkritik« zu erkennen. Auch Linke sind nicht davor gefeit, sich kulturalistische Argumentationsweisen zu eigen zu machen, und sollten entsprechend kritisiert werden.

»Der Islam ist keine schützenswerte Kultur, sondern eine furchtbare, autoritäre, gnadenlose Ideologie, die durch die Verkommenheit der westlichen Intellektuellen und Politiker, durch das Versagen und die Borniertheit der Zivilisation voranschreitet.« Dieser Satz stammt nicht etwa von der »Alternative für Deutschland« oder Pegida, sondern aus dem Aufruf zur Demonstration »Es gibt kein Menschenrecht auf ­Israelkritik«, die im Sommer 2014 in Köln stattfand. Die Veranstaltung wurde von manchen Linken unterstützt und beworben – unter anderem als »Tipp der Woche« in dieser Zeitung.
Es ist nun keine besonders neue ­Erkenntnis, dass vieles, was unter dem Begriff der »Islamkritik« firmiert, schlicht Ressentiment ist. Der Islam avancierte in den vergangenen Jahren zum zentralen Feindbild für rechts­populistische und rechtsextreme Hetze. Doch auch in linken Kreisen sind seit einer Weile vermehrt Argumentationsweisen anzutreffen, die sich zwar selbst als emanzipatorische oder kommunistische Religionskritik am ­Islam präsentieren, inhaltlich aber oft an das erinnern, was die Rassismusforschung als »kulturellen Rassismus« bezeichnet. Antirassistische Linke, die darauf hinweisen, werden nicht selten als »Apologeten des Islam« verspottet.
Eine Kritik am antimuslimischen Rassismus, die den Islamismus nicht bagatellisiert, scheint notwendig zu sein. Die reflexhafte, relativierende Losung »Islam ist Frieden« erweist sich als offenkundiger Unsinn: Die allermeisten Muslime und Muslimas sind friedliebende Menschen, aber man muss schon sehr große Scheuklappen aufhaben, um zu leugnen, dass im ­Namen von Allah tagtäglich zahlreiche Gräueltaten begangen werden.
Doch wenn vom Islam gesprochen wird, ist selten die Religion im theologischen Sinne gemeint. Es ist von Gesellschaften und Milieus die Rede, in denen die islamische Religion soziale und kulturelle Normen und Praktiken wesentlich beeinflusst und mitbestimmt. Allerdings werden diese verschiedenen Sphären häufig nicht in ­ihrer Diversität wahrgenommen, sondern als monolithischer Block: die ­»islamische Kultur«. Damit spielt man nicht zuletzt jenen islamistischen Kreisen in die Hände, die die »Umma« gerne als einheitliches und widerspruchsfreies Kollektiv darstellen.
Zuweilen ist im Zusammenhang mit dem kulturalistisch argumentierenden Rassismus auch die Rede vom »Rassismus ohne Rassen«. Dieser Begriff ist nicht ganz unproblematisch, weil er suggeriert, dass es einen »Rassismus mit Rassen« gegeben habe. Auf diese Weise läuft man Gefahr, die rassistische Erfindung der »Rassen« zu affirmieren. Genau genommen war der Rassismus schon immer einer »ohne Rassen«. Insofern hat die »Kultur« zwar die »Rasse« als Bedeutungsträger für die rassistische Differenz­konstruktion teilweise abgelöst, an dem Prozess der Rassifizierung hat sich aber wenig geändert. Theodor W. Adorno schrieb dazu: »Das vornehme Wort Kultur tritt anstelle des verpönten Ausdrucks Rasse, bleibt aber ein bloßes Deckbild für den brutalen Herrschaftsanspruch.«
Noch immer funktioniert der Rassismus über die Aufspaltung in »wir« und »die anderen«. Es wird mit vermeintlichen Gegensatzpaaren operiert: Westen/Islam, zivilisiert/barbarisch, aufgeklärt/rückständig und so weiter. Die »Kultur« als genuin soziale, dynamische, von Menschen gemachte, daher auch wandel- und veränderbare Kategorie wird auf diese Weise »zu einem dem biologischen Gefängnis des Rassenkörpers vergleichbaren Raum vorsozialer Unmittelbarkeit gemacht«, wie es der Rassismusforscher Wulf D. Hund formulierte.
Einzelne Eigenschaften der vielen unterschiedlichen islamisch geprägten Gesellschaften werden zur Wesensart »des Islam« essentialisiert. Antisemitismus, Homosexuellenfeindlichkeit, Patriarchat und sexualisierte Gewalt – allesamt wirkmächtige Strukturelemente auch der hiesigen Gesellschaften – können auf diese Weise externa­lisiert und an den »mittelalterlichen« Islam delegiert werden. »Der Westen« kann sich dadurch als Hort der Aufklärung und Emanzipation gerieren. Damit greift der antimuslimische Rassismus auf elementare Legitimationsdiskurse des europäischen Kolonialismus zurück. Ein solch vereinfachtes Weltbild ist aber auch ein Schlag ins Gesicht für manche fortschrittliche, säkulare und feministische Kräfte in den islamischen Communities und Gesellschaften.
Wie diese dichotome Konstruktion von »Okzident vs. Orient« praktisch funktioniert, hätte aus­gerechnet die Kasseler Antifa-Gruppe »AK Racoons« nicht anschaulicher präsentieren können. Auf einer Mahnwache anlässlich des Attentats von Orlando verteilte die Gruppe einen Flyer mit dem Titel: »Das Problem heißt Islam.« Darin wird ausgeführt: »Frauenverachtung, Homophobie, wahnhafter Kollektivismus sowie die Verachtung des Lebens sind nicht bloß Auswüchse des Islam, sondern diesem inhärent.« Das Attentat, so die Gruppe weiter, sei ein »Angriff auf die westliche Zivilisation, ein Angriff auf die (bürgerliche) Freiheit«.
Nachdem die Gruppe für ihren Text auf »Indymedia« kritisiert wurde, nahmen in der Kommentarspalte viele Menschen den Flyertext gegen die Vorwürfe in Schutz. Der Islam sei ein »kranker, unemanzipierter, homophober mittelalterlicher Aberglaubensdreck«, hieß es dort, »eine Art stinkende Kläranlage für Ewiggestrige und deren geplatzte Träume«. Auf Widerspruch stießen diese Aussagen nicht. Gelöscht wurden sie zunächst nicht.
Als im Jahr 2015 das Bundesverfassungsgericht das kategorische Kopftuchverbot für Lehrerinnen als verfassungswidrig einstufte und aufhob, kritisierte Horst Pankow in dieser Zeitung (Jungle World 12/2015) das Urteil. Dennoch sei mit einer »Invasion von Kopftuchpaukerinnen« an deutschen Schulen nicht zu rechnen. Schließlich halte sich die Zahl der Muslimas, die »demütige Töchter des Propheten« und zugleich »selbstbewusste Demokratinnen« sein wollten, dermaßen in Grenzen, dass sie »schon fast literarischer Fiktion angehören«.
Demokratie, Emanzipation, Rechte für Frauen und Homosexuelle – all diese Errungenschaften erscheinen in den genannten Beispielen nicht als Resultat von sozialen Kämpfen, die auf der ganzen Welt geführt wurden und werden, sondern als inhärente Eigenschaften »westlich« verfasster Gesellschaften. »Der Islam« wird als absoluter Antagonist entgegengesetzt. Wer so argumentiert, hat sich von einer kritischen und materialistischen Gesellschaftsanalyse längst verabschiedet.
Völlig fehl am Platz ist auch Pankows Gerede von einer »Invasion von Kopftuchpaukerinnen«. Der Begriff »Invasion« beschreibt laut Duden das »feind­liche Einrücken von militärischen Einheiten in fremdes Gebiet«. Kein Wun­der also, dass dieser Begriff derzeit vor allem bei »Politically Incorrect«, Pegida oder auf der Facebook-Seite von Udo Ulfkotte zu finden ist.
Die genannten Ausfälle stehen hier nur exemplarisch für Teile einer linken »Islamkritik«. Gerade angesichts der Debatte nach der Kölner Silvesternacht ließen sich viele weitere Beispiele aufzeigen. Ein angemessenes Problembewusstsein scheint aber nicht zu bestehen. Allzu häufig werden solche Äußerungen in Schutz genommen: Es sei vielleicht etwas überspitzt und polemisch, aber man wisse doch, dass es eigentlich sehr viel differenzierter gemeint sei. Dass auch Linke nicht davor gefeit sind, sich die Argumentationsweisen eines kulturalistisch argumentierenden antimuslimischen Rassismus zu eigen zu machen, wird nicht gesehen.
Subjektive Motive (»linke Religionskritik«) ersetzen nicht die Verantwortung für das objektiv Gesagte: Wenn in linken Medien suggeriert wird, eine muslimische Kopftuchträgerin könne keine Demokratin sein; wenn Antifaschisten die These »Das Problem heißt Islam« vertreten, dann hat dies reale Konsequenzen: Betroffen von dieser Form der »Islamkritik« sind nicht ­religiöse Praktiken, sondern unzählige Menschen muslimischen Glaubens, die aufgrund dieser wirkmächtigen Narrative Ausgrenzung und Gewalt erfahren.
Die Debatte über das Verhältnis von emanzipatorischer Kritik am Islam und antimuslimischem Rassismus ist überfällig. Eine essentialistische »Islamkritik«, die auf rassistische Stereotype und Argumentationsformen zurückgreift, ist keine Kritik, sondern antimuslimisches Ressentiment. Sie unterminiert eine emanzipatorische und demokratische Auseinandersetzung mit der muslimischen Religion und dem politischen Islam, die imstande wäre, der rechten Antiislamhetze mehr als einen hilflosen Kulturrelativismus mit dem Slogan »Islam ist Frieden« entgegenzusetzen. Angesichts der derzeitigen gesellschaftlichen Stimmung ist eine solche »Islamkritik« nicht nur leichtsinnig, sondern auch brandgefährlich.