Ein neues Gesetz wird an der Geschlechterungleichheit beim Lohn wenig ändern

Keine Gefahr für den Betriebsfrieden

Noch immer verdienen Frauen in Deutschland weniger als Männer. Das geplante Entgeltgleichheitsgesetz dürfte daran kaum etwas ändern.

Auf der Homepage des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend gibt es Rechenprogramme, mit denen Interessierte ermitteln können, ob sich der berufliche Wiedereinstieg nach der Familienphase lohnt oder wie hoch ein möglicher Elterngeldanspruch ist. Was fehlt, ist ein Programm, mit dem Frauen herausfinden können, wie viel sie denn verdienen würden, wenn sie ein Mann wären. Dafür werden Interessierte auf die entsprechende Website der EU weitergeleitet, die den Rechner aber sehr gut versteckt. Dabei wäre es für manche sicher aufschlussreich zu erfahren, was die durchschnittliche Lohndifferenz für sie persönlich bedeutet. Nach den jüngsten Zahlen des Statistischen Bundesamtes verdienen Frauen im Schnitt 21 Prozent weniger als Männer. Werden strukturelle Aspekte wie ein höherer Teilzeitanteil von Frauen abgezogen, bleiben satte sieben Prozent Lohndifferenz – bei gleicher Arbeit, nur aufgrund des Geschlechts. Ein leichter zugänglicher Lohnlückenrechner würde allerdings nur Sinn ergeben, wenn Aussicht auf Besserung bestünde. Doch die gibt es mit der sozialdemokratischen Frauenministerin Manuela Schwesig nicht.
Im Koalitionsvertrag hat die SPD durchgesetzt, dass in dieser Legislaturperiode ein sogenanntes Entgeltgleichheitsgesetz erlassen werden soll. Die Verdienstdifferenz zwischen Männern und Frauen soll verringert werden – indem sie mittels Auskunftspflicht für Arbeitgeber überhaupt sichtbar wird. »Damit stärken wir Frauen, Männer, Betriebsräte, aber auch die Tarifautonomie in Deutschland«, sagt Schwesig. Es ist nach der Frauenquote für börsennotierte Großunternehmen ihr zweites großes frauenpolitisches Projekt – und es ist genauso mutlos und ohne jede Durchschlagkraft. Denn die Frauenquote gilt erstens für sehr wenige Unternehmen, und zweitens müssen Unternehmen keine Sanktionen fürchten, wenn sie die Aufsichtsratsposten nicht wie vorgeschrieben zu 30 Prozent mit Frauen besetzen. Notfalls bleibt der Posten eben leer. Die Frauenquote tut also niemandem weh, und das Gesetz mit dem sperrigen Namen wird das auch nicht tun.
Im Oktober einigte sich die Große Koalition nach langem Streit auf die Grundzüge des Gesetzes. Zentraler Punkt ist eine Auskunftspflicht von Unternehmen über die gezahlten Gehälter. Die Idee: Wenn Frauen oder Betriebsräte erfahren, dass Mitarbeiterinnen für die gleiche Arbeit weniger Geld als die Kollegen bekommen, wehren sie sich dagegen. Denn erlaubt ist es nicht, dass Frauen wegen ihres Geschlechts schlechter bezahlt werden – das ist Diskriminierung, und die ist verboten. Trotzdem will die Regierung keine direkten Maßnahmen ergreifen, damit sich die Lohndifferenz zwischen den Geschlechtern verringert. Stattdessen wollen Schwesig und ihre Kabinettskolleginnen und -kollegen, dass die Betroffenen selbst das Problem lösen. Allerdings nicht überall. Ausgerechnet in den Arbeitsbereichen, in denen Beschäftigte am schutzlosesten sind, soll das Gesetz nicht greifen: den Kleinbetrieben. Die Auskunftspflicht gilt erst für Unternehmen mit mehr als 200 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern – das hat die Union gegen Schwesig durchgesetzt. Ihr Ministerium hat den Auftrag erhalten, die Situation in Betrieben mit weniger als 200 Beschäftigten »zu beobachten und zu evaluieren«. Auch andere ursprünglich vorgesehene Neuerungen sind verschwunden: In Stellenausschreibungen muss es nun doch keine Angabe zum Mindestgehalt geben, außerdem dürfen Arbeitgeber weiterhin auf Vertraulichkeit über die Verdiensthöhe bestehen, und der Lohn für Zeitarbeitende wird nicht dem der Beschäftigten des Einsatzbetriebs angeglichen.
Um all diese Punkte ist es schade, aber besonders bitter ist der eingeschränkte Geltungsbereich des Gesetzes. Vor allem in kleineren Firmen werden Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Regel nicht nach Tarif bezahlt, sondern müssen individuell aushandeln, wie viel sie bekommen. Frauen sind gerade hier dem Sexismus ihrer Chefs oder auch ihrer Chefinnen ausgesetzt, die oft nach persönlichem Belieben zahlen und darauf bestehen, dass ihre Angestellten untereinander nicht über ihre Entlohnung sprechen, weil sie sich so besser gegeneinander ausspielen lassen. Generell gilt es in Deutschland als unfein, Kolleginnen und Kollegen nach ihrem Verdienst zu fragen – was sehr viel einfacher wäre, als die Information von der Geschäftsführung einzufordern. Die neue Auskunftspflicht wird weniger als ein Drittel der Beschäftigten in Deutschland nutzen können. Im Sommer 2016 gab es rund 44 Millionen Erwerbstätige. Davon arbeiteten lediglich 14 Millionen in Unternehmen mit mehr als 200 Beschäftigten.
Das Auskunftsrecht wird auch den Frauen in diesen Betrieben vielfach nicht weiterhelfen. Große Firmen sind häufiger tarifgebunden. Innerhalb von Tarifverträgen bekommen Frauen und Männer das gleiche Geld für die gleiche Tätigkeit. Aber: Typische Frauentätigkeiten werden oft geringer eingestuft als männertypische. Dagegen muss etwas unternommen werden, aber gerade dazu wird das Gesetz nichts beitragen. Denn diese Form der ungerechten Bezahlung wird damit nicht erfasst. Firmen mit mehr als 500 Beschäftigten sollen Maßnahmen entwickeln, um Lohngleichheit herzustellen. Das Gesetz sieht vor, dass sie mindestens alle fünf Jahre ein Prüfverfahren zur Lohngerechtigkeit durchführen und regelmäßig über ihre Maßnahmen berichten. Sollte es ein Personalvorstand überraschenderweise wagen, über ungerechte Entlohnung im eigenen Unternehmen zu berichten, dürfte er sich schnell einen anderen Job suchen müssen.
Bei Unternehmen mit Tarifbindung soll der Betriebsrat Informationen über geschlechtsspezifische Bezahlung einfordern – also jene Instanz, die im Falle ungerechter Bezahlung zuvor dagegen nicht vorgegangen ist. Ganz abgesehen von den vielen unerfreulichen Details: Das Grundproblem des Entgeltgleichheitsgesetzes ist die Herangehensweise. Es handelt sich bei dem Gesetzesvorhaben um eine weitere Verlagerung struktureller Probleme auf die Ebene der Leidtragenden oder ihrer Vertreter. Die Verursacher, die Unternehmen, werden nicht zu einer Änderung ihrer skandalösen Praktiken gezwungen. Aktiv werden muss die Arbeitnehmerseite. Die IG Metall sieht darin trotzdem einen »ersten wichtigen Schritt für mehr Lohngerechtigkeit und Transparenz«. Die Gewerkschaft erhofft sich offenbar mehr Einfluss durch das Gesetz.
Dabei fehlt ein entscheidender Hebel in dem geplanten Gesetz, kritisieren Feministinnen: Es sieht kein Verbandsklagerecht vor. Damit könnten Organisationen wie Antidiskriminierungsverbände oder auch Gewerkschaften gegen Lohnungerechtigkeit klagen. Betroffene Frauen müssten es nicht selbst tun und damit große Risiken und Belastungen auf sich nehmen. Arbeitnehmerinnen sind schließlich nicht zu blöd, um ungerechte Bezahlung zu erkennen, und sie sind nicht zu bequem, um sich zu wehren. Sie haben gute Gründe, nicht zu klagen, sei es aus Angst vor Repression durch den Arbeitgeber oder wegen der drohenden finanziellen Folgen im Fall eines verlorenen Prozesses.
Lohnungleichheit gibt es keineswegs nur in der Privatwirtschaft, sondern auch im öffentlichen Dienst, beispielsweise bei der Bezahlung von Lehrkräften. Trotz gleich langer Ausbildung werden Lehrkräfte an Grundschulen und einigen Schularten der Sekundarstufe 1 eine Besoldungsstufe niedriger bezahlt als die übrigen Lehrkräfte. »Da 90 Prozent der Grundschullehrkräfte Frauen sind, wird dem Anspruch nach Förderung von Frauen und dem von der Großen Koalition geplantem Entgeltgleichheitsgesetz hier ganz offensichtlich widersprochen«, kritisiert die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) Hamburg. Das Recht auf Auskunft gelte auch für den öffentlichen Dienst, betont Schwesig. Also ist auch hier von der Ministerin keine Initiative zu erwarten, die zu mehr Gehaltsgerechtigkeit führt.
Ob das Gesetz wie geplant noch in dieser Legislaturperiode kommt, ist ungewiss. Auch wenn es an der Lohndifferenz zwischen Männern und Frauen nichts ändern und die Arbeitgeber nichts kosten wird, laufen der Wirtschaftsflügel der CDU/CSU und Vertreter von Arbeitgeberverbänden dagegen Sturm. Zu erwarten ist also, dass es im weiteren parlamentarischen Verfahren noch weiter ausgedünnt wird. Unionsabgeordnete monieren, dass das Gesetz für Unternehmen mit mehr als 200 Beschäftigten gilt. Sie fordern eine Grenze von 500 Beschäftigten. Das Gesetz werde zu mehr Bürokratie führen, klagen Wirtschaftslobbyisten. »Sinnlose Symbolpolitik zu Lasten der Wirtschaft« sei das, kritisierte Arbeitgeberpräsident Ingo Kramer. Die Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft fürchtet gar um den Betriebsfrieden, sollte das Gesetz in Kraft treten. Dann hätte sich Schwesigs Initiative immerhin gelohnt. Aber das ist höchst unwahrscheinlich.