Russland baut die Internetzensur aus

Von China lernen heißt zensieren lernen

Russland will künftig das Internet streng kontrollieren. Allerdings fehlt es der russischen Regierung dafür an Know-how und Technik. Die möchte Präsident Wladimir Putin deshalb in China einkaufen.
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Seit dem Sommer gilt in Russland das sogenannte Jarowaja-Gesetz zur Bekämpfung von Extremismus und Terrorismus. Inoffiziell benannt nach der Initiatorin Irina Jarowaja, einer regierungstreuen Duma-Abgeordneten, sieht es hohe Haftstrafen für die Beteiligung an Terroranschlägen im In- und Ausland vor, geht aber weit darüber hinaus. So wird das »Unterlassen des Meldens einer Straftat« mit einem Jahr Gefängnis bestraft, die »Rechtfertigung von terroristischen Handlungen« mit sieben Jahren Haft. Da kann ein unbedachter Facebook-Post schlimme Folgen haben, zumal das Mindestalter für die Strafmündigkeit bei diesen Vergehen auf 14 Jahre abgesenkt wurde.
Das Gesetz zielt auf klassische Medien wie Zeitung und Fernsehen genauso wie auf Beiträge privater Internetnutzer in sozialen Medien. Zudem müssen Telekommunikationsunternehmen sämtliche Korrespondenz ihrer Kunden für sechs Monate aufbewahren – die zugehörigen Metadaten sogar für drei Jahre. Außerdem müssen Anbieter von Verschlüsselung auf Verlangen des russischen Geheimdienstes FSB Nachschlüssel bereitstellen. Das freie Internet ist Präsident Wladimir Putin schon länger ein Dorn im Auge. Mit der Behauptung, das Internet sei eine Erfindung der CIA, brachte er bereits 2014 einen Erlass durch, um Blogger strenger zu überwachen. Russland versucht seither, eine umfassende Überwachung des Internets zu erreichen, kombiniert mit Zensur und totalitärer Meinungskontrolle.
Allerdings hat die russische Regierung ein Problem: Bisher gelingt es kaum, unliebsame Meinungen aus dem Netz zu fischen und zu unterdrücken. Es fehlt schlicht an Technik und Fachwissen für die Überwachung der riesigen Datenmengen. Offenbar setzte die russische Regierung noch vor Verabschiedung des Jarowaja-Gesetzes in der Duma auf eine enge Kooperation mit China, das schon viel Erfahrung in Sachen Internetzensur und Überwachung hat.
Verhandlungstreffen gab es dem Guardian zufolge bereits Ende 2015 in Peking sowie im April 2016 in Moskau. Unter den Delegierten waren unter anderem Fang Binxing, der als Vater der »Great Firewall of China« gilt, und Lu Wei vom Büro für Internet und Information der chinesischen Regierung. Auch die Unterhändler auf russischer Seite sind keine Unbekannten: Nikolaj Patruschew, bis 2008 FSB-Direktor und derzeit Sekretär des russischen Sicherheitsrats, war ebenso dabei wie Igor Schtschogolew, ehemaliger russischer Kommunikationsminister und mittlerweile Putins Referent für Internetangelegenheiten, sowie der russische Milliardär Konstantin Malofejew, der Gründer des orthodoxen Fernsehsenders Tsargrad TV, der wegen seiner Verbindungen zu ukrainischen Separatisten Ziel von EU-Sanktionen ist.
Die chinesische Regierung zeigte sich kooperationsbereit und band den Technologiekonzern Huawei direkt in die Verhandlungen ein, dessen Manager bei den Treffen ebenfalls anwesend waren. Huawei arbeitet schon lange eng mit der chinesischen Regierung zusammen und steht im Ruf, eine Schlüsselrolle beim Aufbau der »Great Firewall of China« zu spielen, einem umfassenden Zensursystem, das das Land von großen Teilen des freien Internet abschottet. Aus den USA gab es verschiedentlich Spionagevorwürfe gegen Huawei, die allerdings bislang nicht erhärtet werden konnten. Zur Umsetzung des Jarowaja-Gesetzes soll Huawei jedenfalls Know-how und eine Serverfarm zur Überwachung des russischen Internets liefern. Was Huawei und China als Gegenleistung von Russland erhalten, ist unklar.
Beim Jarowaja-Gesetz geht es aber um mehr als die Meinungskontrolle im Inland. Die Regierung hat offenbar Angst vor kritischen Meinungen aus dem Ausland, die beispielsweise Aufstände schüren könnten, und möchte das Land so weit wie möglich abschotten – also eine Firewall nach chinesischem Vorbild errichten und gezielt ausländische Websites in Russland unerreichbar machen. Der erste große Anbieter, der kürzlich in Russland gesperrt wurde, ist das soziale Business-Netzwerk Linked-in. Der mittlerweile zu Micro­soft gehörende Dienst speichere Nutzerdaten russischer Anwender auf ausländischen Servern und verstoße dadurch gegen Gesetze, urteilte ein russisches Gericht. Google, Apple oder der chinesische Dienst Alibaba halten sich bisweilen an diese Gesetze und speichern die Userdaten auf Servern, die sich in Russland befinden. Demzufolge müssten diese Unternehmen in Zukunft ebenfalls an der russischen Vorratsdatenspeicherung teilnehmen und den russischen Behörden auf Anforderung Nutzerdaten zur Verfügung stellen – bis hin zur Entschlüsselung. Wie diese Unternehmen mit dem Jarowaja-Gesetz umgehen wollen, ist noch völlig unklar. Wahrscheinlich werden die westlichen Internetkonzerne zumindest teilweise mitspielen, um nicht gesperrt zu werden. Derzeit sind die meisten großen Anbieter von Russland aus noch erreichbar.
Wie sich eine »Great Firewall« auf das Leben der Menschen auswirkt, lässt sich in China beobachten. Dort müssen sich Internetnutzer schon seit 1995 registrieren lassen, Internetanbieter stehen seit 1996 unter staatlicher Kontrolle. Seit 2000 müssen Firmen in China alle Inhalte kontrollieren, die von ihren Anwendern ins Internet gestellt werden, und Illegales direkt unterbinden. Nutzerdaten müssen auf den Seiten selbst gespeichert und auf Nachfrage an die chinesischen Behörden weitergegeben werden.
Ausländische Websites, über die die Regierung keine Kontrolle hat, sind in China größtenteils gesperrt. Offiziell dient das System dazu, die chinesische Bevölkerung vor Obszönitäten, Pornographie und kriminellen Inhalten zu schützen. Auf der Liste der blockierten Websites und Inhalte steht aber auch alles, was beispielsweise mit dem Dalai Lama zu tun hat, mit der Republik Taiwan oder auch das chinesisch-sprachige Angebot der BBC. Einige Anbieter unterwerfen sich den chinesischen Gesetzen, um den Marktzugang nicht zu verlieren, etwa die Suchmaschinen Yahoo und MSN, die unter Begriffen wie »Demokratie« oder »Meinungsfreiheit« nur vorgefilterte Treffer ausgeben, die nach Lesart der chinesischen Regierung legal sind. Immer wieder kommt es vor, dass chinesische Dissidenten wegen ihrer Meinungsäußerungen im Internet verhaftet und verurteilt werden, teilweise auch unter Mitwirkung westlicher Konzerne.
Dienste wie Twitter sind nur illegal über eine geschützte Verbindung zu erreichen, während die Google-Dienste anscheinend unzensiert über Server in Hongkong laufen. Facebook, das in China ebenfalls blockiert ist, entwickelt der New York Times zufolge gerade eine Zensur-Software für seine Inhalte, um in China wieder zugelassen zu werden. Es ist zu erwarten, dass einige westliche Internet-Konzerne auch Russland gegenüber kooperationsbereit sein werden. So sperrte Twitter beispielsweise 2014 proukrainische Accounts für russische Nutzer und blockierte den Account der russischen Hackergruppe RuNet Echo, nachdem diese Informationen aus dem Kreml geleaked hatte.