Auf ihrem Bundesparteitag in Essen ist die CDU nach rechts gerückt

Absurde Anträge, ratlose Zaungäste

Vergangene Woche hielt die CDU in Essen ihren Bundesparteitag ab. Drinnen wurde Angela Merkel als Vorsitzende wiedergewählt, draußen protestierten etwa 70 Menschen gegen die »Festung Europa«.

»Ich danke Ihnen, Frau Merkel!« Der Satz kam aus dem Mund eines geflüchteten Kindes aus Afghanistan. Unter Tränen berührte der Junge die Hände Angela Merkels bei einer CDU-Regionalkonferenz in Heidelberg Ende November. Doch nicht die Bundeskanzlerin sei es gewesen, die dem Jungen und seiner Familie das Leben gerettet habe, sondern das Grundrecht auf Asyl, dass »in den letzten Monaten in bedrohlichem Maße ausgehöhlt« worden sei, so die Gruppe »Antifa Essen Z« in ihrer Pressemitteilung zum Bundesparteitag der CDU. »In der öffentlichen Wahrnehmung scheint Merkel selbst im vergangenen Sommer an die Balkan-Route geeilt zu sein, um die Schlagbäume ihres Europaparteigenossen Viktor Orbán hochzuhieven«, schrieb das Bündnis »Gesellschaftskritische Gruppen« aus Duisburg. Die Organisationen hatten zu Protesten gegen die Regierungspartei und ihre Flüchtlings-, Asyl- und Ausländerpolitik aufgerufen, ungefähr 70 Menschen demonstrierten am Dienstagabend vergangener Woche vor dem Tagungsort in Essen.
In der vergangenen Woche bestimmten Dokumentationen zu den sexuellen Übergriffen und Vergewaltigungen während der Silvesternacht 2015/16 sowie die Vergewaltigungen und ein Mord durch Flüchtlinge in Freiburg und Bochum die öffentliche Debatte. Zugleich stand der Parteitag der Christdemokraten unter besonderer Beobachtung. Zwei Tage lang versuchte sich die Partei im Spagat zwischen grundgesetzkonformem Humanismus einerseits und der Annäherung an die AfD zur Rückgewinnung von Wählerstimmen am rechten Rand.
Die Junge Union (JU) begab sich auf die Linie der rechtsextremen Identitären Bewegung (Jungle World 32/16) und der neurechten Wochenzeitung Junge Freiheit, indem sie einen Antrag gegen die Förderung der Amadeu-Antonio-Stiftung einbrachte. Genau 26 Jahre zuvor, am 6. Dezember 1990, war Amadeu Antonio Kiowa, nach dem die Stiftung benannt ist, seinen schweren Verletzungen erlegen. Der Angolaner war eines der ersten Opfer neonazistischer Gewalt in Deutschland nach der sogenannten Wiedervereinigung. Doch statt der Stiftung für ihr Engagement gegen Rassismus, Rechtsextremismus und Antisemitismus zu danken, forderte der Bundesvorstand der JU, die staatliche Förderung der Amadeu-Antonio-Stiftung« einzustellen. »Ein absurder Antrag, sagte Timo Reinfrank, Geschäftsführer der Stiftung, dem Tagesspiegel. »Es ist bedauerlich und tragisch, in welche Richtung sich die Diskussionen bei der Jungen Union entwickeln.« Die JU reite damit auf »der rechten Kampagnenwelle« gegen die Stiftung, so Reinfrank. Der Rechtsextremismusforscher Samuel Salzborn stellte kürzlich in einer Studie fest: »Faktisch ärgern sich die extreme Rechte und Teile des rechtskonservativen Spektrums darüber, dass die Amadeu-Antonio-Stiftung erfolgreich gegen die weitere Verbreitung rechter Propaganda arbeitet.«
Der Antrag der JU wurde schließlich an die CDU/CSU-Bundestagsfraktion verwiesen. Auch einen Antrag gegen das »Gendermainstreaming« – noch ein Feindbild des rechten Randes – lehnte der Parteitag nur knapp ab. Einen Tag später forderte der Unionsfraktionsvorsitzende Volker Kauder Bußgelder gegen Facebook und die Bekämpfung von hate speech in sozialen Netzwerken – wegen ähnlicher Forderungen steht die Amadeu-Antonio-Stiftung bei der JU unter dem Verdacht des »Linksextremismus«.
Neben der Ablehnung der doppelten Staatsbürgerschaft für in Deutschland geborene Kinder ausländischer Eltern (siehe nebenstehender Kommentar) beschloss der Parteitag weitere Verschärfungen in der Asylpolitik. So sollen Abschiebungen von Flüchtlingen weiter erleichtert werden. Die Einrichtung sogenannter Transitzentren an den Landesgrenzen wird zudem als »geeignetes Mittel des Ordnens und Steuerns« bezeichnet.
Der Bochumer »Treffpunkt Asyl« kritisierte auf den Protesten gegen die CDU das neue Integrationsgesetz, insbesondere die darin enthaltene »Wohnsitzauflage«. Die Unterstützer von Flüchtlingsprotesten im Ruhrgebiet berufen sich dabei auf das Recht auf Freizügigkeit und auf ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom März, wonach die Zuweisung eines Wohnorts weder mit EU-Richtlinien noch mit der Genfer Flüchtlingskonvention vereinbar seien. Über mehrere Wochen hatten Flüchtlinge aus ganz Nordrhein-Westfalen erfolglos gegen die Wohnsitzauflage demonstriert.
Zudem kritisierten die Demonstranten das Abkommen der Europäischen Union mit der Türkei zur Flüchtlingsabwehr sowie eine geplante Abmachung mit Afghanistan. Etwa 40 000 Geflüchtete sollen demnach allein aus Deutschland abgeschoben werden. Darunter könnte auch der erwähnte kleine Junge sein, der die sozialen Medien bewegt hatte. Die Duisburger Gruppe »Crème Critique« sagte in ihrem Redebeitrag, dass es der CDU vor allem um das Bild Deutschlands und Europas in der Weltöffentlichkeit gehe, nicht jedoch um Humanismus oder Menschenleben. Das zeige sich auch daran, dass die Bundesregierung keine Verantwortung für die Toten im Mittelmeer übernehme. Dennoch waren sich die Demonstranten am Dienstagabend in einer Sache einig: »Die Festung Europa wird fallen!« Zugleich wurde allerdings eingeräumt, dass Teile der radikalen Linken derzeit »kaum mehr als ratlose Zaungäste der globalen Misere« seien.