Donald Trumps Verschwörungstheorien

Die Kraft finsterer Mächte

Der designierte US-Präsident gewann seinen Wahlkampf auch mit altbekannten Verschwörungstheorien. Doch ist er deshalb ein Antisemit?

Großes Entsetzen in New York: Bei einem inoffiziellen Treffen mit wichtigen Journalisten stauchte Donald Trump seine Gäste als Marionetten betrügerischer Medien zusammen. »Es war ein gottverdammtes Erschießungskommando«, beschwerte sich einer der Zeugen. Tatsächlich verwundert es kaum, wenn ein Populist wie Trump auch nach seiner Wahl der Linie treu bleibt, Publizisten anzugreifen, die nicht positiv über ihn berichtet haben.
Kritik an Trump gab es tatsächlich. Doch selbst Hitlervergleiche und ­andere apokalyptische Warnungen US-amerikanischer Zeitungen konnten nicht verhindern, dass Trump am 20. Januar 2017 als 45. Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika vereidigt werden soll.
Der Weg dorthin entsprach einem internationalen Trend. Genauso wie in Deutschland, wo der Antisemitismus sich seit Jahren in besorgniserregenden Umfragewerten zeigt, die jüngsten AfD-Wahlergebnisse Angela Merkel in Bedrängnis bringen, Pegida-Demonstranten den Tag der deutschen Einheit für führende Politiker in Dresden zu einem Spießrutenlauf machten und die »Reichsbürger« von einer wachsenden Affinität der Wutbürger zu verschwörungstheoretischen Weltbildern zeugen, konnte auch Trump in den USA von der po­litischen Effektivität rassistischer Wahnvorstellungen profitieren.
Kaum betrachtet wurde bislang, welch lange Tradition Verschwörungstheorien in den USA haben und wie gezielt Trump sie während seines Wahlkampfs aufgriff. Dass der Milliardär in seiner eigenen Welt lebe, wie Hillary Clinton im ersten TV-Streitgespräch mit ihm bemerkte, stimmt also nur halb. Trumps abenteuerliche Behauptungen über Clinton oder auch seinen republikanischen Herausforderer Ted Cruz ließen sich stets als Verweise auf weit umfassendere und zugleich uralte verschwörungstheoretische Großer­zählungen lesen, deren Copyright anderswo liegt.
Trumps Fans verstanden seine ­Anschuldigungen deshalb so gut, weil sie sich dadurch an die geläufige ­Fiktion einer ungenannten externen Macht erinnert fühlen konnten, die mit allen Mitteln zu verhindern versuche, was der Präsidentschaftskandidat endgültig zu verwirklichen versprach: ein dem Untergang geweihtes Amerika wieder zu neuer Weltmacht zu verhelfen.
Selbst Trumps wiederholte Schutzbehauptung nach zweifelhaften ­Auftritten, man habe ihm ein kaputtes Mikrophon gegeben, konnte so als ernste Mitteilung aufgefasst werden. Was in Europa als tumbe Aus­rede für mangelhafte rhetorische Leistungen verlacht und in der deutschen ZDF-Satiresendung »Heute Show« als Gipfel der Dreistigkeit angeprangert wurde, vermochten Großteile des US-Publikums mit Trumps Klage über einen sabotierten Wahlkampf zu verbinden.
Behauptungen Trumps wie die, Google manipuliere die Suchergebnisse zu Hillary Clinton und die US-Journaille arbeite konzertiert auf einen Sieg der Konkurrentin hin, passten ebenso in dieses vage Narrativ wie der vermeintlich vielsagende Hinweis von Donald Trump Jr., die Herausforderin habe in einer TV-Diskussion einen Knopf im Ohr gehabt. Welchen dämonischen Einflüsterungen, mögen sich geneigte Wähler ­gefragt haben, lauschte die Präsidentschaftskandidatin?
Das massentaugliche Phantasma einer geheimen Zersetzung der US-Gesellschaft durch manipulierte Medien erinnert an die »Protokolle der Weisen von Zion«, also an jene von Henry Ford ab 1920 in seiner Publikation The International Jew und der auflagenstarken Wochenzeitung Dearborn Independent erstmals in den USA verbreitete, bereits um 1900 in Russland fingierte Propagandaschrift über einen jüdischen Plan, die Weltherrschaft zu erringen. In den »Protokollen« ist die Rede davon, dass die Verschwörer, deren Methoden in dem Text von einem ihrer fiktiven Anführer offengelegt werden, weltweit die Presse zensieren, um das Bewusstsein aller Nichtjuden zu lähmen. Selbst noch die ­öffentliche Kritik an Juden sei dabei von den Saboteuren simuliert, um die Öffentlichkeit in Sicherheit zu wiegen und davon zu überzeugen, dass es nach wie vor unabhängigen Journalismus gebe.
Es gab harsche Kritik an Trumps letztveröffentlichtem Wahlwerbespot, in dem der Präsidentschaftskandidat über »Strippenzieher in Washington« raunte, deren »Establishment« über »Trillionen« von Dollars verfüge, mit Clinton gemeinsame Sache mache und für die US-Bürger »nichts Gutes« im Schilde führe. Eine ominöse »globale Machtstruktur« sei für ökonomische Entscheidungen verantwortlich, die die »Arbeiterklasse« der USA ausgeraubt, dem Land seinen Reichtum genommen und das Geld in die »Taschen einer Handvoll großer Organisationen und politischer Gebilde« habe wandern lassen. Während dieser Formulierungen tauchen in dem Werbespot Aufnahmen wirtschaft­licher Schlüsselfiguren auf: zunächst der ungarische Holocaust-Überlebende und US-Investor George Soros, dann die jüdische Wirtschaftswissenschaftlerin und Federal-Reserve-Präsidentin Janet Yellen und schließlich Lloyd Blankfein, CEO bei Goldmann Sachs.
Was hier inszeniert wurde, definierte der US-Rechtswissenschaftler und Verfasser einer lesenswerten Studie über die Macht der Verschwörungstheorien in der amerikanischen Kultur, Mark Fenster, in einem Interview mit dem kanadischen Nachrichtenmagazin Maclean’s als dog-whistle politics: Wie eine Hundepfeife, deren Frequenz Menschen gar nicht wahrnehmen, vermögen demnach gewisse Botschaften nur bestimmte Teile des Publikums zu erreichen, während andere deren problematische Aspekte gar nicht bemerken. Der beschriebene Wahlkampffilm mag keine explizit formulierte antisemitische Botschaft enthalten, insinuiert jedoch zumindest auf seiner visuellen Ebene sehr deutlich, dass die gezeigten jüdischen Persönlichkeiten exakt für diejenigen Mächte stehen sollen, die Trump aus dem Off für alles Unglück der US-­Gesellschaft verantwortlich macht.
Auch der niederländische Autor Ian Buruma stellte im New York Times Magazine fest, dass zwar nicht jeder Trump-Fan verstanden haben dürfte, dass alle inkriminierten Figuren in dem Spot jüdisch seien. Doch diejenigen, die dies wussten, hätten die implizite Botschaft genau verstanden. In Erinnerung an Trumps Behauptung, Clinton mache geheime Deals mit internationalen Banken, um die US-Souveränität zu zerstören, schrieb zudem der Anglist Mark Danner von der University of California in Berkeley im New York Review of Books, Trumps zitierte Stichwörter erinnerten an die dreißiger Jahre in Deutschland, und auch die »Protokolle der Weisen von Zion« seien davon nur schwer zu unterscheiden.
Diesen Befunden stehen abwiegelnde Stimmen wie etwa im israelischen Internetportal Ynetnews gegenüber, in dem der amerikanische Geschäftsmann und Trump-Unterstützer Yaakov Shaham beteuert, er habe Trump beim Golfen in Miami als überaus freundlichen und zurückhaltenden Privatmann kennengelernt, der sich ihm gegenüber aufgrund der Konversion seiner Tochter Ivanka zum Judentum sogar selbst als Jude bezeichnet und niemals auch nur ein negatives Wort über Israel verloren habe. Trump selbst distanzierte sich zuletzt von Alt-Right-Anhängern, die seinen ­Sieg mit Hitler-Gruß gefeiert hatten. Seinen Berater Stephen Bannon, der das umstrittene Nachrichtenportal Breitbart.com eigens als Sprachrohr der alternativen Rechten in den USA bezeichnete, nahm er gegen den Verdacht des Rassismus in Schutz.
Antisemiten machen jedoch gerne persönliche Ausnahmen. »Ich habe nichts gegen Juden«, so die oft benutzte Phrase, »einiger meiner besten Freunde sind Juden.« Daher mutet auch der Hinweis wenig beruhigend an, dass Trumps Chefstratege Bannon, dem Antisemitismus vorgeworfen wird, mit einer Jüdin verheiratet gewesen sei und viel Geld mit der TV-Serie »Seinfeld« gemacht hatte, die vom Publikum wegen ihres »­jüdischen Humors« geschätzt wird.
Trump mag sogar selbst davon überzeugt sein, kein Judenhasser zu sein. Doch hantierte er während ­seines Wahlkampfs mit einer ganzen Reihe von Verschwörungstheorien, die Rassisten und Judenhassern in den USA seit Jahrzehnten geläufig sind, und mit denen der Populist seine politischen Konkurrenten attackierte. Ted Cruz vermochte Trump unter anderem erfolgreich mit der Andeutung zu neutralisieren, dessen Vater habe mit der Ermordung John F. Kennedys zu tun gehabt. Die durch Oliver Stones Blockbuster »JFK« 1991 in Amerika populär gewordene The­orie, hinter der Ermordung des beliebten amerikanischen Präsidenten im November 1963 habe ein ominöser »militärisch-industrieller Komplex« gesteckt, verweist ebenso auf eine unnahbare und allmächtig erscheinende dunkle Macht wie Trumps Rückgriffe auf andere Hirngespinste, die sich seit den neunziger Jahren um Bill Clintons Amtszeit ranken. Sogenannte White Supremacists und bewaffnete Militia Movements aus dem Mittleren Westen glaubten seinerzeit fest daran, Bill Clinton sei das Instrument einer totalitären »New World Order«. Verschwörungstheoretiker erstellten sogar eine ­Clinton death list mit unter zweifelhaften Umständen Verstorbenen aus dem Umfeld des Präsidenten.
Michael Flynn, hochrangiger Militärangehöriger und Verbreiter von Verschwörungstheorien via Twitter, wurde von Trump zu seinem Nationalen Sicherheitsberater ernannt. Flynn und sein Sohn, der zeitweise als Regierungsmitglied seinem Vater zuarbeiten sollte, dann aber vorsorglich von seinen Aufgaben entbunden wurde, verbreiteten die abenteuerliche Geschichte, Hillary Clinton und ihr Kampagnenleiter John Podesta stünden einem Kinderporno­ring vor, dessen Zentrale sich in dem Washingtoner Pizzarestaurant »Comet Ping Pong« befinde. Das wurde im November prompt von einem Mann mit einer Pistole und ­einem Gewehr gestürmt, der Flynns Andeutungen geglaubt hatte, und nach eigenen Angaben den sogenannten »Pizzagate«-Fall untersuchen wollte. Verletzt wurde zum Glück niemand.
Die Süddeutsche Zeitung (SZ) wies darauf hin, dass drei Viertel der Amerikaner derartigen Fake News Glauben schenkten. Lynchmorde an kritischen Journalisten der »Lügenpresse« werden in den USA bereits auf T-Shirts mit der Aufschrift »Rope. Tree. Journalist.« (»Strick. Baum. Journalist.«) empfohlen, die man im Internet erstehen kann, und im Fall von »Pizzagate« ist der einflussreiche Verbreiter der bizarren Phantasienachricht, die beinahe Opfer gefordert hätte, ein Mann, der »bald enormen Einfluss auf die US-Geheimdienste und das Militär haben wird und Trump oft als Letzter vor sicherheitspolitischen Entscheidungen berät«, wie die besorgte deutsche Tageszeitung berichtete.
Nicht zuletzt fällt auf, dass die ­Verschwörungstheorie von der perversen Kinderhändlerin Hillary ­Clinton, die kurz vor der Wahl per Social Media gestreut wurde und für die sich Trump nachträglich bedankte, an mittelalterliche Ritualmordlegenden erinnert, wie sie der antisemitische Stürmer Julius Streichers in Nazideutschland aufgriff. »Alex Jones von der sehr erfolgreichen ultrarechten Website Infowars.com«, so die SZ, habe mehrfach von satanischen Ritualen gesprochen, in die Clintons Wahlkampfleiter John Podesta verwickelt sei. Als die Wahl unmittelbar bevorstand, habe Jones in einem Youtube-Video geäußert: »Hillary Clinton hat persönlich Kinder umgebracht und vergewaltigt.«
Der nunmehr gewählte Präsident Trump griff zudem eine der ältesten Verschwörungstheorien um die Familie Clinton in seinem Wahlkampf auf, indem er fallen ließ, Bill Clintons Berater Vincent Foster, der 1993 in Washington Suizid begangen ­haben soll, sei womöglich ermordet worden. Trumps implizite Botschaft: Sollte Hillary Clinton Präsidentin werden, zögen erneut frei herumlaufende Mörder und Handlanger der teuflischen »New World Order« ins Weiße Haus ein. Das Versprechen, Clinton im Falle seines Wahlsiegs ins Gefängnis zu bringen, ließ viele Amerikaner also wohl nicht nur wegen der leidigen Affäre über ihre leichtsinnige Nutzung eines privaten Email-Accounts für Regierungsgeschäfte aufhorchen.
In diesen Zusammenhang gehört nicht zuletzt die Rezeption der »Turner Diaries« (1978), eines rassistischen und antisemitischen Romans von William L. Pierce, der den Militia-Anhänger Timothy McVeigh 1995 zum verhehrenden Bombenanschlag auf das Murrah Federal Building in Oklahoma inspiriert haben soll, bei dem 168 Menschen umkamen. Als habe er implizit an die »Turner Diaries« erinnern wollen, in denen die destabilisierende Gewalt wilder Afroamerikaner beschworen wird, die die US-Zivilisation unter einer jüdischen Okkupation in Atem hielten und nur durch eine genozidale Revolution zu besiegen seien, beschwor Trump in seinem Wahlkampf gegen alle statistischen Fakten immer ­wieder die Unsicherheit amerikanischer Innenstädte als »schreckliche Todesfallen« voller arbeitsloser Schwarzer, wobei er diese zündelnden Andeutungen perfiderweise mit dem Versprechen verband, er werde die schwarze Bevölkerung mittels law and order vor sich selbst retten.
Bei einer kursorischen Zählung der größeren und kleineren Verschwörungstheorien, mit denen Trump während seiner Kampagne hantierte, kommt man schnell auf mindestens 20 derartige Geschichten, die stets mit der Grundidee der »Protokolle« kompatibel sind. Mit ­etwas Phantasie – und Fans solcher Fake News haben mehr als genug ­davon – kann man selbst Trumps Berufung auf das Narrativ des Birther-Movement über die angebliche Fälschung von Barack Obamas Geburtsurkunde und seine Behauptung, der Kimawandel sei ein Hoax aus China mit dem Ziel, die US-Wirtschaft zu schwächen, damit in Verbindung bringen.
Erfolgreich sind solche Geschichten im Zeitalter der Postmoderne nicht zuletzt deshalb, weil sie verwirrende und krisenhafte Zustände ­vereinfachen, den Anhängern damit Erleichterung, Genuss und Lust verschaffen und noch dazu vermeintlich radikale Lösungen in Aussicht stellen. Verschwörungstheorien restaurieren den Glauben an die Möglichkeit eines Master-Narrativs, wo eine Reflexion auf die Komplexität drängender Probleme nötig wäre. Trump hat sich als eklektizistischer Multiplikator von Ressentiments und rassistischen Lügengeschichten erwiesen, die in den USA und der ganzen Welt schon viel Unheil anrichteten.