Die neue Wohnungspolitik in Berlin hat Gegner

Der kleine Sieg der Gebrauchswerte

Die angekündigte Neuausrichtung der Berliner Wohnungspolitik gefällt der Immobilienbranche überhaupt nicht.

Mit vollmundigen Ankündigungen angetreten, hat die neue Landesregierung in Berlin aus SPD, Linkspartei und Grünen nicht nur in den eigenen Reihen Unterstützer. Auch in der außerparlamentarischen Linken sind die mit dem Regierungswechsel verbundenen Hoffnungen groß. Angehörige stadtpolitischer Initiativen, Bewohner von Hausprojekten und Engagierte in Mieterverbänden haben turbulente Monate hinter sich und erwarten positive Signale von der neuen Koalition.
Unmittelbar am Wahlabend durften bereits die Bewohner von Berliner Hausprojekten aufatmen, insbesondere im Nordkiez des Stadtteils Friedrichshain. Das Ende der SPD-CDU-Koalition bedeutete den Abschied des bisherigen Innensenators Frank Henkel (CDU). Dessen Law-and-Order-Politik, die unter anderem auf die sogenannte Befriedung und Einhegung subkultureller Orte und Veranstaltungen zielte, hatte sich bis dahin prächtig mit den Verwertungsinteressen von Investoren vertragen. Ein bundesweit für Schlagzeilen sorgendes Symbol dieser Allianz war die Teilräumung des Hausprojekts in der Rigaer Straße 94, die das Land­gericht Berlin im Juli für rechtswidrig erklärt hatte. Ihr war im November 2015 die von Henkel angeordnete Etablierung eines sogenannten Gefahren­gebiets im Nordkiez rund um die Rigaer Straße vorausgegangen. Die bereits 2014 im Hamburger Schanzenviertel erprobte Maßnahme ermöglicht verdachtsunabhängige Polizeikontrollen und die einjährige Speicherung der ­erhobenen Daten. Anwohner werteten die polizeiliche Dauerpräsenz sowie die häufigen Razzien in umliegenden Kneipen und Hausprojekten als Einschüchterungsversuch gegen die linksalternative Szene, die in den vergan­genen Jahren verstärkt auf Verdrängungstendenzen im Friedrichshainer Nordkiez und im gesamten Innenstadtgebiet aufmerksam gemacht hatte.
Aber nicht nur die Rigaer Straße war Schauplatz stadtpolitischer Auseinandersetzungen. Alteingesessene Projekte in anderen Bezirken mussten ebenfalls um ihr Überleben kämpfen. So wurden im Mai zwei Räume im Hausprojekt »Linie 206« in Berlin-Mitte geräumt. Gegenwärtig bemüht sich die Hausgemeinschaft mit Unterstützung des Bezirks um Verhandlungen mit den Eigentümern, die Gespräche sollen das Fortbestehen des Projekts sichern.
Um eine langfristige Perspektive ringt auch das Kiezladenkollektiv »Friedel 54« in Neukölln. Nachdem die Eigentümergesellschaft bereits in diesem Jahr eine Räumung angestrebt hatte, konnte das Kollektiv Anfang November in einem gerichtlichen Vergleich eine Duldung bis Ende März 2017 erreichen. ­Ursprünglich wollte die Gruppe das Haus in der Friedelstraße zusammen mit den Bewohnern erwerben und in ein selbstverwaltetes Projekt um­wandeln.
Seinen langjährigen Wohn- und Arbeitsort muss der Inhaber des »Gemischtwarenladens mit Revolutionsbedarf« in der Manteuffelstraße 99 in Kreuzberg verlassen. Nachdem die Hauseigentümer im August und September Räumungstermine hatten ­ansetzen lassen, gelang es jeweils erst in letzter Minute, gerichtlich einen Räumungsschutz für den suizidgefährdeten Betreiber Hans-Georg Lindenau zu erwirken. Nur mit Hilfe von Unterstützergruppen wie dem Bündnis »Zwangsräumungen verhindern« und der Kreuzberger Initiative »Bizim Kiez« konnte ein Ausweichobjekt gefunden werden, in dem Lindenau seinen Laden ab Mai 2017 fortführen kann.
Auch bei den Auseinandersetzungen um die »Rigaer 94« und die »Friedel 54« war es dem Einsatz von Kiezgruppen und solidarischen Unterstützern zu verdanken, dass Räumungen ausgesetzt oder rückgängig gemacht wurden. In den vergangenen Jahren hat sich das Engagement stadtpolitischer Initiativen als Reaktion auf den Wohnungsmangel in der Stadt stark vergrößert, weit über die Hausbesetzerszene hinaus. Das Bürgerbegehren zur zukünftigen Nutzung des Tempelhofer Felds 2014 und der Berliner Mietenvolksentscheid 2015 sind Beispiele für eine zunehmende politische Organisierung, die ihren Ausdruck in Initiativen wie »Stadt von unten«, »Wir bleiben alle« oder »Hände weg vom Wedding« findet. Vor allem der Einsatz ­dieser Gruppen hat dazu geführt, dass Fragen der Stadtentwicklung und des Städtebaus eine zentrale Rolle im zurückliegenden Wahlkampf zukam.
Nachdem sich SPD, Grüne und Linkspartei in unterschiedlicher Weise für Reformen in der Wohnungspolitik ausgesprochen hatten, mussten die divergierenden Vorstellungen im Koalitionsvertrag zusammengeführt werden. Stadtpolitische Gruppen wie die Kreuzberger Initiative »Kotti & Co.« begleiteten die Verhandlungen kritisch und versuchten, ihre Forderungen einzubringen. Dass die Verantwortung für die Stadtentwicklung nach 20 Jahren in SPD-Regie nun an Bausenatorin Katrin Lompscher von der Linkspartei übergeht, gilt ihnen als Aufbruchssignal. Auch die prominente Stellung, die die Themen »Bezahlbares Wohnen für alle« und »Stadtentwicklung« im neuen Koalitionsvertrag einnehmen, ist vielversprechend. Entscheidend sind jedoch die Details der Vereinbarungen. Sie enthalten positive Ansätze wie Pläne zur verstärkten Rekommunalisierung von Wohnungen, angestrebte Mietsenkungen im sozialen Wohnungsbau und eine Umstellung der Härtefallregelung von Nettokalt auf Bruttowarm; Mieter sollen also nicht mehr als 30 Prozent ihres Einkommens für die Bruttowarmmiete ausgeben müssen, bisher galt die Kaltmiete als Orientierungswert.
Offene Fragen gibt es jedoch gerade im Bereich des sozialen Wohnungsbaus. So lösten Hauseigentümer während der Amtszeit der Großen Koalition etwa 80 000 Sozialwohnungen aus der Bindungspflicht. Für diese gelten die jüngst beschlossenen Mietsenkungen nicht mehr. Außerdem können die Wohnungen nach endgültigem Ablauf der Bindung anderweitig vermietet werden, was Berlin nach Angaben der Initiative Mietenvolksentscheid jährlich zwischen 5 000 und 8 000 Sozialwohnungen entzieht. Wird dieses Defizit nicht mit Neubauten ausgeglichen, schrumpft der Bestand an Sozialwohnungen weiter. Deshalb sollen nach Vorgaben des Senats zukünftig mindestens 30 Prozent der Wohnungen eines neuen Bauvorhabens mietpreis- und belegungsgebunden sein. Der Vorsitzende des Immobilienverbands Deutschland (IVD) in Berlin-Brandenburg, Dirk Wohltorf, warnte deshalb Anfang Dezember in der Ber­liner Zeitung vor einer »sozialistischen« Preisvorgabe und der »Quasiverstaat­lichung« des Immobilienbereichs.
Die Berliner Immobilienwirtschaft ist nicht die einzige Gruppe, die sich gegen Stadtentwicklungssenatorin Lompscher und ihre Vorhaben richtet. Auch die Oppositionsparteien CDU, FDP und AfD sowie die bürgerliche Hauptstadtpresse poltern bereits gegen die Koalition und insbesondere die ­Senatoren der Linkspartei. Anlass dafür bietet ihnen gegenwärtig insbesondere die Stasi-Vergangenheit des von Lompscher zum Staatssekretär für Wohnen berufenen Gentrifizierungskritikers und Wissenschaftlers Andrej Holm. Er war ab dem September 1989 fünf Mo­nate als 19jähriger Offiziersschüler für das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) tätig, was er 2007 in einem Interview mit der Taz öffentlich machte. In der anschließenden Debatte distanzierte sich Holm von seiner Entscheidung und sagte, er habe niemanden bespitzelt. Während seiner Beschäftigung an der Berliner Humboldt-Universität (HU) ab 2005 hatte Holm jedoch uneindeutige Angaben über seine Tätigkeit für das MfS gemacht, was ihm derzeit als Verschleierung und Betrug ausgelegt wird. Die Koalitionsführung von SPD, Linkspartei und Grünen beschloss auf einem Sondertreffen am Freitag, eine Entscheidung über Holm zu ­vertagen, bis das arbeitsrechtliche Prüfverfahren der HU abgeschlossen ist. Sollte dabei eine vorsätzliche Täuschung Holm festgestellt werden, wäre der Staatssekretär nach Aussage des früheren Vorsitzenden der Berliner Linkspartei, Klaus Lederer, nicht zu ­halten.
Stadtpolitische Gruppen und Sub­kutan – Zeitschrift für kritische Stadtforschung forderten den Senat dagegen auf, Holm zu schützen. Aus ihrer Sicht dient die Kampagne gegen seine Person vor allem dazu, seine wohnungspolitischen Ansätze zu diskreditieren. Das legen zumindest auch die Auslassungen des Immobilenfachmanns ­Rainer Zitelmann im Portal Wallstreet-Online nahe. Zitelmann, der in den neunziger Jahren der Neuen Rechten und dem nationalliberalen Flügel der FDP nahestand, gibt dort zu, dass nicht Holms lange zurückliegender Dienst beim MfS das Problem sei, sondern dessen derzeitige politische Haltung. Zitelmann zitiert ausführlich Texte Holms, denen zufolge Hausbesetzungen »als effektive Form einer sozialen Wohnungspolitik angesehen« werden könnten: »Jede Besetzung ist ein kleiner Sieg der Gebrauchswerte über den Tauschwert.« Es sollte nicht überraschen, dass der Immobilienbranche ein Staatssekretät für Wohnen nicht gefällt, der eine »faktische Enteignung privaten Immobilienbesitzes« als sinnvolle Maßnahme der Wohnungspolitik erachtet.