Die Labour-Partei geht ratlos mit dem »Brexit« um

Hart austreten

Die britische Regierung veröffentlicht ihre Pläne zum Verlassen der EU. Das britische Parlament wird sich den Vorhaben der Regierung wahrscheinlich nicht in den Weg stellen. Sogar Labour will den »Brexit« mittragen.

Die Handlungsstrategie der britischen Premierministerin Theresa May in Sachen EU-Austritt ist jetzt klar: Großbritannien solle zwar mit der EU befreundet bleiben, aber es handle sich um eine klare Trennung. In einer Rede machte May deutlich, dass sie lieber einen harten »Brexit« in Kauf nehme, als einen »weichen« anzustreben, der ihrer Meinung nach Großbritannien schaden würde.
Ein »guter« Austritt beeinhaltet für May zwölf Punkte. Ganz oben steht der Abschied vom gemeinsamen Markt, um Einwanderung kontrollieren zu können. Da »Rekordlevel an Einwanderung« die öffentlichen Dienste belastet hätten, soll auch die Grenzüberquerung schwieriger gemacht werden. Wichtig ist auch, dass Großbritannien nicht länger unter der Jurisdiktion der EU-Gerichte steht, denn ansonsten sei das Land nicht »unter der Kontrolle seiner eigenen Gesetze«. Großbritannien solle die Zollunion verlassen, aber einen Vertrag als »assoziiertes Mitglied« abschließen, um einen weiterhin problemlosen Handel zu ermöglichen. Nicht länger würden »hohe Geldsummen« an die EU fließen, es solle nur noch gezielt für spezifische Programme bezahlt werden. Anstelle des gemeinsamen Marktes sieht May ein Freihandelsabkommen mit der EU vor, welches ihre Strategie eines »globalen Großbritanniens« unterstütze. Falls die EU diese Punkte nicht akzeptieren sollte und sich kein vorteilhaftes Handelsabkommen abschließen ließe, würde sie Großbritannien zu einem Niedrigsteuerland für Unternehmen machen, um so mit der EU zu konkurrieren.
Mays Rede macht klar, dass die britische Regierung eine unerwartet harte Linie in den Verhandlungen um den EU-Austritt vertreten wird und sich damit noch weiter nach rechts bewegt. Der Vorsitzende der rechten United Kingdom Independence Party (UKIP), Nigel Farage, brachte es auf den Punkt: »Ich kann kaum glauben, dass die Premierministerin jetzt die Formulierungen benutzt, für die ich jahrelang ausgelacht wurde. Echter Fortschritt.«
Die Oppositionsparteien reagierten unterschiedlich auf die Rede von May. Tim Farron, der Vorsitzende der Liberal Democrats, sprach sich für ein weiteres Referendum aus; alles andere sei »Diebstahl der Demokratie«, da nicht alle, die für der Austritt stimmten, den Binnenmarkt hätten verlassen wollen.
Viele Mitglieder der Labour Party kritisieren die Haltung ihres Vorsitzenden Jeremy Corbyn in der EU-Debatte: Eine Umfrage des Institutes Yougov zufolge sind nur noch 51 Prozent der Labour-Mitglieder mit Corbyn zufrieden. Für 48 Prozent macht der Parteichef einen schlechten Job. In einer Umfrage Anfang Mai vorigen Jahres erziehlte er noch eine Zustimmung von 72 Prozent. 
Die Basisbewegung »Labour Against Brexit« veröffentlichte am vergangenen Samstag einen offenen Bief an Corbyn in dem sie ihn bezichtigte die sozialistischen Werte der Partei zu verraten. Unterschrieben wurde der Brief von knapp 2000 Mitgliedern.
Während Corbyn vor allem Mays Idee eines britischen Steuerparadieses kritisiert, ist er anscheinend nicht bereit, mit seiner Fraktion im Parlament gegen die Einleitung des Austrittsmechanismusses nach Artikel 50 des EU-Vertrages zu stimmen. Corbyn galt schon vor seiner Wahl im September 2015 als EU-Muffel. 
Ob dem Parlament überhaupt die Möglichkeit zu dieser Abstimmung ­gegeben würde, war lange unklar. Der Supreme Court entschied erst am 24. Januar, dass die Regierung nicht ohne die Zustimmung des Parlaments den Austritt nach Artikel 50 einleiten kann. Dieses Urteil wird als eine der wichtigsten Verfassungsentscheidungen seit Generationen gesehen.
Während viele Labour-Parteimitglieder dies als Chance sehen, einen harten »Brexit« zu verhindern, weigerte sich Corbyn vor der Gerichtsentscheidung, klar Stellung zu beziehen. Seinen Opportunismus kaum verhehlend ­betonte er, dass seine Partei das Ergebnis des Referendums akzeptiere und den Austritt nicht verhindern werde. Er stellte die Verhandlungsstrategie Mays prinzipiell nicht in Frage, sondern machte deutlich, dass er an einem effektiven Handelsabkommen und einer Beibehaltung von Richtlinien zu Umwelt und EU-Haftbefehlen interessiert sei. Das geht vielen Mitgliedern der ­Labour-Fraktion nicht weit genug.
43 von ihnen haben sich deshalb ­einer Gruppe von Parlamentsmitgliedern verschiedener Parteien angeschlossen, die den harten »Brexit« verhindern will. In einem Brief wandten sie sich direkt an die Premierministern, um ihren Unmut zu äußern. Das Verlassen des gemeinsamen Marktes würde bedeuten, dass Zölle für den Export eingeführt werden, beispielsweise zehn Prozent auf Autos, zwölf Prozent auf Kleidung und 40 Prozent auf Lammfleisch. Dies sei gravierend für Hersteller und Bauern, so die Abgeordneten. Außerdem würden Preise steigen, so dass die britischen Arbeiter letztendlich den Preis für den Austritt zahlen würden.
Die Vorsitzende der Scottish National Party, Nicola Sturgeon, äußerte ihre Opposition zu Mays Plänen wesentlich deutlicher. Sie bezeichnete die Verhandlungsstrategie als wirtschaftliche Katastrophe. Ihrer Ansicht nach werde May von der Obsession der harten Rechten der Tory-Partei getrieben. Sturgeon hob hervor, dass schottische ­Interessen in dieser Frage missachtet würden. Für die Schotten war die Gerichtsentscheidung kein Sieg. Das britische Parlament muss konsultiert werden, nicht aber die regionalen Parlamente. Sturgeon hält daher eine erneute Abstimmung über die schottische Unabhängigkeit für notwendig.
Für Labour ist die Gerichtsentscheidung letztendlich unwichtig, da Corbyn bereits zuvor klargestellt hat, dass seine Partei der Einleitung dem EU-Austritt nicht im Weg stehen werde. Die Regierung betonte gerade dies in einer Presseerklärung und sieht die Entscheidung deshalb nicht als Rückschlag. Vielmehr wird jetzt alles beschleunigt, das Gesetz zum EU-Austritt soll schon in den nächsten Tagen zur Abstimmung gestellt werden.
Fraglich ist allerdings, wie viel Spielraum die britische Regierung in den Verhandlungen mit der EU wirklich hat. Wenn Großbritannien mit Niedrig­steuern gegen die EU konkurrieren will, müsste die Regierung etwa ein bilaterales Handelsabkommen mit den USA abschließen. Der neue US-Präsident Donald Trump wird es May vermutlich nicht leicht machen und in ­jedem Abkommen auf den klaren Vorteil der USA aus sein. Ohne die EU wird es Großbritannien an diplomatischem Einfluss fehlen. Die Gerichtsentscheidung macht es zumindest möglich, einen Kompromiss in Sachen ­EU-Austritt zu erreichen, falls Labour und die Liberal Democrats ihre Stimmen im Parlament nutzen, um die Regierung unter Druck zu setzen. Zeit für lange Debatten wird ihnen die Regierung allerdings nicht geben.